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Interview

„Kinder wollen gesehen werden“

Kinderförderung geht aber weit über die reine Wissensvermittlung hinaus. Kinder und Jugendliche sollen zu selbstbewussten, starken und resilienten Menschen heranwachsen. Wie das gelingen kann, weiß Psychologin Dr. Ulrike Just.


Interview: Elisabeth Werder


WILA Arbeitsmarkt: Gerade in Krisenzeiten wie jetzt ist Resilienz wichtiger denn je, auch und besonders für Kinder. Was macht ein resilientes Kind aus?


Dr. Ulrike Just: Resilienz bedeutet psychische Widerstandskraft und innere persönliche Stärke. Ein resilienter Mensch kann sich in schwierigen Zeiten gut behaupten, kann sich an neue Lebensverhältnisse anpassen, selbst Lösungen finden und sich neu orientieren. Resilienz kann gelernt werden. Mit jedem Mal, wo wir gestärkt aus einer Krise herausgehen, trainieren und erlernen wir Resilienz.


Also ist Resilienz nicht angeboren, sondern ein lebenslanger Lernprozess?


Es gibt eine umfangreiche Studie von Emmi Werner und Ruth Smith zum Thema Resilienz von Kindern (siehe Infokasten). Eine grundlegende Erkenntnis aus dieser (und anderer) Studie(n) ist, dass ungünstige Voraussetzungen nicht zwingend zu Elend und Misserfolg führen müssen. Resiliente Kinder und Erwachsene verfügen über bestimmte Eigenschaften und Strategien, die ihnen ermöglichen, nicht an widrigen Umständen zu zerbrechen. Einen Teil unserer Schutzfaktoren bekommen wir mitgegeben, zum Beispiel durch unser Elternhaus, unseren Charakter und die Umstände, unter denen wir aufwachsen. Den anderen Teil lernen wir, idealerweise auch schon in unserer Kindheit.


Bedeutet das, Kinder müssen Krisen bewältigen, um Resilienz zu entwickeln?


Es muss nicht gleich eine Krise sein, sondern eine Erfahrung. Kinder machen Vieles zum ersten Mal im Leben, jede Entscheidung ist prägend und das kann gut oder schlecht sein. Manche Menschen begegnen einem im Leben nur einmal, die sagen einen Satz und der kann manchmal viel mehr bewirken als das was man jeden Tag von den eigenen Eltern hört. Wenn ein Kind in diesem Moment das Gefühl hat, dass es richtig gesehen wird und eine neue Lösung oder eine gute Idee angeboten wird, dann stößt das auf positive Resonanz. Aus solchen Erfahrungen lernen Kinder Resilienz: Wenn sie sein dürfen, wie sie sind und wissen, es gibt jemanden, der an mich glaubt.


Ist genau das der Schlüssel, wie man Kinder ideal fördert?


Jeder kann irgendwas. Und genau das zu entdecken, zu wecken und zu stärken ist die Aufgabe von Eltern, Pädagog*innen und jedem, der mit Kindern zusammenarbeitet. Wenn Kinder merken, dass sie etwas gut können, dann kommen sie aus sich heraus und wollen es auch zeigen. Alle Kinder wollen gesehen werden und dazugehören. Es geht vor allem darum, ein Gefühl dafür zu kriegen, wo der Platz eines einzelnen Kindes in einer Gemeinschaft ist. Da geht’s nicht um Gleichmacherei, sondern um das Wertschätzen der Unterschiedlichkeiten.


Ist das Zusammenarbeiten mit Kindern etwas, wozu man sich schon in der Ausbildung berufen fühlen muss?


Ich selbst habe während des Studiums nicht unbedingt daran gedacht, vorrangig mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten. Im Laufe meines Berufslebens kam ich immer wieder mit ihnen in Berührung und habe so im Lauf der Jahre festgestellt, dass hier mein Platz ist. Und ich denke, so wird es vielen gehen – nur durch das Ausprobieren und Erfahrungen machen kann man lernen, was einem besonders viel Spaß macht und was man gut kann.


Welche Fähigkeiten und Eigenschaften sollte jemand mitbringen, der in der Kinderförderung arbeiten möchte?


Fantasie, Offenheit, Neugierde und Kreativität. Man muss bereit sein, die Erwachsenen-Perspektive zu verlassen. Ohne die Fähigkeit, sich richtig auf das Kind einlassen zu können, wird es nicht funktionieren: Wenn ein Kind sagt, dass es Angst vor einem Monster unterm Bett hat, kann man entweder auf rationaler Ebene erklären, dass es keine Monster gibt und hoffen, dass das Kind diese Erklärung versteht. Oder man holt den Staubsauger und saugt die Monster weg.


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Infokasten:

Kauai-Längsschnittstudie

Emmi Werner und Ruth Smith haben 2008 die Kauai-Längsschnittstudie veröffentlicht. Das Team hat 40 Jahre lang 698 Kinder auf ihrem Weg ins Erwachsenenleben begleitet. Das Hauptziel der Studie war es, die Langzeitfolgen von prä- und perinataler Risikobedingungen sowie die Auswirkungen ungünstiger Lebensumstände in der frühen Kindheit auf physische, kognitive und psychische Entwicklung der Kinder festzustellen.