Roland Emmerich hat es uns in "Independent Day" erzählt, Steven Spielberg in "Krieg der Welten", Tim Burton in "Mars Attacks". Was passiert, wenn die Aliens kommen, wissen wir: Es gibt Krieg. Um Ressourcen, um den Planeten, ums Überleben.
"Wir gegen die" heißt es da immer, das Narrativ lässt keinen Spielraum für Zwischenlösungen. Und deshalb, klar, drückt man der eigenen Spezies immer mehr die Daumen als den außerirdischen Invasoren. Genau so einen Roman hätte Hank Green schreiben können. Gut, dass er das nicht getan hat.
Vielleicht, weil das irgendwie nichts Neues gewesen wäre. Vielleicht aber auch, weil es ihm in "Ein wirklich erstaunliches Ding", seinem literarischen Debüt, gar nicht um die Außerirdischen geht - obwohl natürlich alles mit ihrer Ankunft beginnt.
Als sich April May (da hat sich Green wohl einen kleinen Witz erlaubt) nach einem zähen Tag aus dem Start-up, in dem sie als Produktdesignerin arbeitet, in die New Yorker Nacht schleppt, steht da plötzlich, mitten auf der 23. Straße, ein über drei Meter großer Transformer in Samurai-Rüstung. Und macht: nichts. Weil man in New York ja nicht unbedingt gleich an eine Alieninvasion denkt, wenn etwas Merkwürdiges passiert, hält sie den Krieger zunächst für eine ziemlich aufwändige Kunstinstallation.
Green sprengt die Grenzen des Genres
Und weil natürlich die Maxime "Picture, or it didn't happen" gilt ("Mach ein Foto, sonst ist nie passiert"), ruft sie ihren Kumpel an, einen schlaksigen YouTuber, der eigentlich an seinem Podcast über die besten Sterbeszenen der TV-Geschichte bastelt, und die beiden drehen ein Video für die sozialen Medien. Das geht über Nacht viral. Denn es stellt sich heraus, dass niemand das Aufstellen der Figur gesehen hat, dass Bilder von Überwachungskameras gelöscht wurden, dass neben dem New Yorker Krieger weltweit noch 63 weitere herum stehen.
Dass es sich dabei tatsächlich um Aliens handelt, spielt eigentlich keine Rolle. Es wird auch erst Monate nach deren Entdeckung ausgesprochen - als sich nämlich ein Attentäter in der Nähe des New Yorker Carl (so werden die Besucher mangels passender Definition genannt) in Traubengelee verwandelt. Dass Green auf Humor setzt, wo andere Sci-Fi-Autoren pathetischem Ernst verfallen, das zeigt sich nicht bloß an dieser Stelle. Green sprengt die Grenzen des Genres.
Nicht bloß, weil die Außerweltlichen eine Nebenrolle spielen (sie kriegen so viel Text wie sonst bloß Disney-Prinzessinnen der Neunziger, also fast keinen), sondern weil Green sie zur Folie macht für Xenophobie, für Rechtspopulismus, für die Doppelmoral einiger Medien, für die Hysterie sozialer Netzwerke und die zunehmende Spaltung der Gesellschaft.
Gespür für die Bedürfnisse und die Welt
Denn obwohl die Carls nur rumstehen, bricht auf der Erde ein Streit darüber aus, wie mit ihnen umzugehen ist. Wegen ihrer Andersartigkeit sehen die einen in ihnen eine Gefahr und wollen sie eher der Schrottpresse übergeben, als sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Dafür wird überall getrommelt, gelogen und schließlich gebombt. Die anderen wollen bloß Geld mit ihnen verdienen, egal wie. Und dann gibt es die, die Gutes in den Aliens sehen. Die hoffen, dass man zusammenleben und voneinander lernen kann. Zu denen zählt, klar, Greens Protagonistin April May.
Dass Green die 23-Jährige aus der Ich-Perspektive erzählen lässt, hätte auch schiefgehen können - wenn Jugend-Slang übel imitiert, statt clever angewendet worden wäre. Green jedoch lässt May lässig mit den Lesenden plaudern. Ihre Stimme tut der Geschichte gut. Weil die bisexuelle Start-upperin clever ist, witzig und selbstbewusst. Und trotzdem so von ihrer plötzlichen Internet-Popularität überrascht, dass sie schnell süchtig wird nach Klicks und Aufmerksamkeit. Bis sie damit nicht bloß Freunde verliert, sondern sich selbst.
Dass Hank Green gerade das so lebensnah schildert, liegt vielleicht daran, dass er sich damit ganz gut auskennt. Seit 2007 betreibt er mehrere sehr populäre Vlogs und YouTube-Kanäle, darunter einen mit seinem ziemlich berühmten Schriftsteller-Bruder John Green. Auch dessen Romanen, dem Bestseller "Das Schicksal ist ein mieser Verräter" etwa oder "Eine wie Alaska", liest man das Gespür für die Bedürfnisse und die Welt seiner jugendlichen Protagonisten ab. Doch wer John Greens Geschichten kennt, weiß auch: Nicht selten driften die in den Kitsch ab oder in klischeehafte Plattitüden.
Ein Glück, dass Bruder Hank in seinem Erstling damit bricht. Sowie mit der ebenso alten Grundregel, dass Protagonisten besser nicht sterben sollten, wenn man mehr als einen Roman mit ihnen vorhat. Green, so heißt es, arbeitet bereits an einer Fortsetzung.
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