Die kanadischen Punkrocker Billy Talent machen auf der Bühne der ausverkauften Max-Schmeling-Halle zuckrige Revolutionsmusik.
Elisa von Hof
Rote Hemden, schwarze Hosen, fein gestylte Haare. Alles ist so brav aufeinander abgestimmt, man könnte sie fast für eine Boyband halten. Aber die wollen keine nette Schwiegermutter. Die wollen die Revolution.
Über 8900 Zuschauer haben die kanadischen Punkrocker Billy Talent am Freitagabend in ihrer Mission unterstützt. Beim ausverkauften Konzert in der Max-Schmeling-Halle wurde sich gemeinsam Luft gemacht - über den gewählten US-Präsidenten beispielsweise und über Waffengewalt. Aber auch so generell. Schließlich, sagte Gitarrist Ian D'Sa neulich in einem Interview, sei Punkrock Revolutionsmusik. Und die kann man ja aktuell ganz gut gebrauchen.
Scheinwerfer kreisen über der Bühne, Gitarren kreischen fast so sehr wie die Stimme von Sänger Ben Kowalewicz. Billy Talent starten nicht mit Stücken des aktuellen Albums "Afraid Of Heights". Nein, bevor man der Gegenwart den Stinkefinger zeigt, geht's zurück in die Vergangenheit, ins Jahr 2006, zu "Billy Talent II" und zum Durchbruch der ehemaligen Highschool-Band.
Kowalewicz, der den ganzen Abend über die Bühne flitzt, als wolle er allein durchs Rennen gegen die ach so träge Welt demonstrieren, singt von Teufeln und - "Rette mich, rette mich" - von unerträglichem Liebeskummer. Das mit der Revolution, das kommt dann später. Erst mal will die Band ohnehin etwas klar stellen. "Egal ob ihr homo-, hetero- oder transsexuell seid", schreit Kowalewicz, "es ist uns egal." Und auch welche Hautfarbe man habe, welchen Glauben man praktiziere - jeder sei willkommen. Statements wie dieses, die wie Honig zwischen den Liedern kleben, lassen die Halle toben. Da stoppen selbst die Menschenwirbel, die sonst jeder Schlagzeugwumms aufeinander prallen lässt.
Die vier Kanadier mixen neue Stücke wie das punkige "Big Red Gun" mit Dauerbrennern wie "Fallen Leaves" und dem dreizehn Jahre alten "Try honesty", oszillieren immer zwischen Rock, Punk und Gitarrenhymnen. Und wenn Kowalewicz die mit der so unverkennbar hohen Stimme singt, dann schlägt die Revolution in zuckrige Liebe um.
Aber auch dann wird der Punk in die Liebeslieder gepresst, dass die vier auf der Bühne detonieren. Kowalewicz spielt Luftgitarre, hüpft, rennt, schreit, bis ihm schweißnasse Strähnen auf der Stirn kleben. Und bevor Billy Talent ihre berühmte rote Fahne hissen und mit den "Kids of tomorrow" endgültig diese Welt erstürmen, kommt Schlagzeuger Aaron Solowoniuk auf die Bühne. Weil er mit Multipler Sklerose kämpft, ist er auf dieser Tour eigentlich ersetzt worden. Aber an diesem Abend wolle sich für die Unterstützung seiner Fans bedanken. "Wenn ich könnte, würde ich euch alle drücken", sagt er und das revolutionsbereite Publikum jauchzt.
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