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Philipp Poisel nimmt seine Berliner Fans mit nach Amerika

Philipp Poisel bringt die Konfettikanone zu 13.000 Zuschauern in die Mercedes-Benz Arena in Berlin.

Elisa von Hof


Der weinende Junge mit der Gitarre und dem zertrümmerten Herz ist er nicht mehr. Klar, Seelenpein, heiße Tränen und Liebeslieder gibt es auch. Aber nicht nur. Denn Philipp Poisel will mehr sein. Deswegen hat er gleich Discokugel und Konfettikanone mit auf die Bühne gebracht, menschliche Tetris-Figuren und Super Mario sind auch dabei und ein Bühnenbild, das sich zu jedem Stück ändert. Bloß keine Stagnation, bloß keine Langeweile. Er hat eben auch mehr vor.

Statt auf der intimen Kleinbühne kann man den Schwaben jetzt in der Konzertarena singen hören, und die will bespielt werden. So wie am Montagabend. Da hat er seine neue Platte, "Mein Amerika", die viel weniger politisch ist, als sich der Titel momentan anhören muss, mit in die Mercedes-Benz Arena gebracht. Und sie in eine Disco verwandelt.

Die Stücke des aktuellen Albums katapultieren die Zuschauer nach Amerika

Wolkenkratzer strecken sich dem Bühnenhimmel entgegen, Philipp Poisel stürmt in die klaffenden Stadtschluchten, immer dem Publikum entgegen, als wollte er mitten hinein springen. Sowieso läuft er an diesem Abend mit fliegenden Haaren auf dem Steg, den er extra mitgebracht hat, damit die Arena doch ein bisschen intimer wird, so viel hin und her, als habe er sich den nächsten Fitnessstudiobesuch sparen wollen. Er rennt, als "wurd' ihm die Welt zu klein", wie in seinem neuen Lied "Zum ersten Mal Nintendo". Die Stücke seines aktuellen Albums katapultieren die 13.000 Zuschauer in ein Amerika, wo Kornfelder und endlose Straßen den Horizont markieren, ein Ort, an dem sich Poisel frei fühlt.

Seine Platte, für die er sich fast sieben Jahre Zeit gelassen hat, hat er in Nashville aufgenommen. Das war immer ein Traum, sagt der 33-Jährige. Poisel haucht mehr als er singt, als wollte er seine Zeilen im Nirwana dieses grenzenlosen Landes verschwinden lassen. Da geht ums "anders als die anderen sein", um Sommernächte und wildes Tanzen in San Francisco. Und, klar, um die Liebe "für immer".


Sentimental wird es dann bei Poisel natürlich doch

Auch wenn er sich mit dieser Konzertshow, mit den Hymnen auf Freiheit und Unbeschwertheit, mit den Lasern und dem exorbitanten Bühnenbild dagegen wehrt, sentimental wird es doch. Denn wenn Poisel so heiser jauchzt und haucht, dass man nur jede zweite Silbe versteht und den Rest aus seinem angestrengten Gesicht lesen muss, ist da eine Melancholie, die auch aus diesen schnellen Pop-Stücken nie ganz verfliegen will. Die auch in Amerika nicht fortgeht, die an Poisel klebt so wie an seinen alten Liedern, die er an diesem Abend auch spielt. Man sei, singt er da ganz zart, "die Liebe seines Lebens" und er wolle nur sagen: "Ich hab' dich immer noch lieb." Ja, "wie kann ein Mensch das ertragen?" Mit Musik, ist Poisels Antwort.

Und dann, als er die Tränen auch bei den harten Kerlen hat fließen lassen - ohne die kommen die Stücke aus seinen beiden Vorgängeralben "Bis nach Toulouse" und "Wo fängt dein Himmel an?" einfach nicht aus -, da holt Poisel einen DJ auf die Bühne. Der lässt den Beat wummern und Poisel auf einem Bein tanzen, mit den Händen in der Luft, die Augen geschlossen. Er tanzt, als wolle er all den Schmerz abschütteln, der bis eben noch in seinen Knochen und Liedern steckte, der diesen Poisel-Sound ausmacht. Er "tanzt, als gäb's kein Morgen mehr".

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