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Kraftstoff aus CO₂: Wie eine Chemikerin den Klimawandel stoppen will

Berlin - Wie können wir den Klimawandel stoppen? Das ist eine Frage, mit der sich auch die Wissenschaftlerin Charlotte Vogt in ihrer Arbeit auseinandersetzt. Ihre Antwort: mit der Chemie. Die 30-Jährige forscht derzeit in Tel Aviv an neuen Katalysatoren, die die Erderwärmung aufhalten sollen, und leitet dort eine eigene Arbeitsgruppe. Dafür wird die gebürtige Niederländerin in diesem Jahr mit dem Clara Immerwahr Award des Exzellenzclusters UniSysCat der Technischen Universität Berlin ausgezeichnet. Ein Gespräch über die Klimarettung durch Katalysatoren, warum Frauen es noch immer schwer in der Wissenschaft haben und wie die jüngeren Generationen die entscheidenden Veränderungen mit sich bringen könnten.


Berliner Zeitung: Frau Vogt, Clara Immerwahr hat 1900 als erste Frau in der physikalischen Chemie in Deutschland promoviert. Mit 30 Jahren. Sie werden in diesem Jahr mit dem Clara Immerwahr Award ausgezeichnet - und sind ebenfalls 30. Was ist das für ein Gefühl für Sie?

Charlotte Vogt: Es ist ein sehr bedeutender und schöner Preis für mich. Clara Immerwahr war eine großartige Wissenschaftlerin, und doch ist ihre Lebensgeschichte unglaublich traurig. Ich habe erst letztens mit meinen Studenten über sie gesprochen. Clara Immerwahr war mit dem berühmten Chemiker Fritz Haber verheiratet. Sie bekamen einen Sohn und letztendlich musste sie deswegen auch ihre Karriere in der Forschung aufgeben. Nicht mehr forschen zu können und stattdessen Hausfrau und Mutter zu sein - das machte sie unglücklich. Es war wahrscheinlich auch einer von mehreren Gründen, warum sie dann auch Selbstmord beging. Dass eine Frau ihre Karriere aufgeben muss, das kommt immer noch vor und erinnert mich auch an meine Familie.


Inwiefern?

Ich bin ja selbst aus den Niederlanden, und Nordeuropa ist konservativer, als man glauben mag. Oft ist es eben noch so, dass Frauen eingeredet wird: Du wirst Mutter und dann hörst du auf zu arbeiten oder musst weniger arbeiten. Ich bin selbst in solch einem Umfeld aufgewachsen. Es gibt auch immer noch viel zu wenig Unterstützung, wenn Frauen Kinder bekommen. Und dann fehlt es eben an Vorbildern. Ich kannte selbst keine Frau in meinem direkten Umfeld, die als Wissenschaftlerin in einer höheren Position gearbeitet hat, und ich denke, das geht vielen Frauen so. Sie kommen dann auch gar nicht erst auf die Idee, dass das eine Option sein könnte. Ohne meinen Vater, der selbst Chemiker ist, hätte ich auch nicht gewusst, was es überhaupt bedeutet, in der Wissenschaft zu arbeiten.


Also hat Ihr Vater Sie zur Chemie gebracht?

Nein, tatsächlich war es meine Mutter. Sie meinte, ich soll ein MINT-Fach studieren, etwas Richtiges, ansonsten würde sie mein Studium nicht bezahlen. Denn ja, Mütter wissen letztendlich, was zu einem passt, und ich war schon immer sehr ehrgeizig, liebe Herausforderungen. Und das Chemiestudium war definitiv eine Herausforderung, gerade was das Bachelorstudium betraf. Ich habe damit anfangs sehr gehadert.

Ich mochte es nicht, stillzusitzen und all die Grundlagen zu lernen, in Mathe, Physik. Die ersten Jahre waren hart, und ich war auch nicht gerade gut. Im dritten Jahr hatte ich dann die Katalyse, also das Feld, in dem ich jetzt auch arbeite, und endlich hatte ich Spaß daran und dadurch auch gute Noten.


Danach haben Sie Ihren Master in Chemie und Unternehmensführung gemacht und in einem großen Chemieunternehmen gearbeitet. Warum haben Sie dann noch promoviert?

Eine meiner Mentorinnen, mit der ich gearbeitet habe, meinte zu mir: Selbst wenn du in einem Chemieunternehmen arbeitest und ehrgeizig bist, wird es eine gläserne Decke geben. Die Leute werden dir viele Grenzen setzen, gerade wenn du eine Frau bist. Wenn du die höchstmögliche Bildung erlangst, kannst du aber dagegenhalten. Ich hatte es selbst gar nicht in Erwägung gezogen, zu promovieren. Ich habe mich dann informiert, es gewagt, und es war definitiv der richtige Schritt.


Sie leiten am Technion Institute of Technology in Israel Ihre eigene Arbeitsgruppe. Ihr Ziel: Mithilfe von Katalysatoren wollen Sie den Klimawandel stoppen. Können Sie kurz erklären, was Katalysatoren überhaupt sind?

Ein Katalysator ist ein Stoff, der chemisch Dinge geschehen lassen kann, die sonst nicht geschehen würden - er ist quasi ein chemischer Zauberstab. Katalysatoren beschleunigen die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion, ohne dabei selbst verbraucht zu werden. Die Reaktion passiert also viel schneller und kostet dadurch weniger Energie. Katalysatoren sind etwa an einem Drittel des gesamten globalen Bruttoinlandsprodukts beteiligt. Allein 90 Prozent der Chemieindustrie katalysieren Prozesse: von der Ölraffinerie bis zur Lebensmittelindustrie.


Und wie können diese Katalysatoren nun den Klimawandel bekämpfen?

Letztendlich ist das zentrale Problem der Klimaerwärmung der steigende CO₂-Gehalt in der Atmosphäre. Eine Möglichkeit ist also, dass wir das CO₂, das etwa in großen Industrieanlagen entsteht, nicht in die Atmosphäre lassen, sondern es in etwas Nützliches umwandeln mithilfe von Katalysatoren, zum Beispiel in Kraftstoffe. Das nennt man dann CO₂-neutral. Allerdings sind die Katalysatoren, die wir haben, oft nicht gut genug, sie können zum Beispiel nicht das gesamte CO₂ umwandeln. Und sie erzeugen meist nicht nur das Produkt, das wir haben wollen, sondern auch viele Nebenprodukte. Das führt dazu, dass diese Prozesse noch nicht wirtschaftlich sind.


Und Sie versuchen, diese Prozesse zu verbessern?

Genau, meine Forschung liegt vor allem darin, neue, bessere Katalysatoren mithilfe von sogenannten spektroskopischen Experimenten zu entwickeln, um zu untersuchen, was passiert, wenn wir CO₂ umwandeln, oder auch bereits bestehende Prozesse mithilfe von Katalysatoren effizienter zu machen, damit weniger CO₂-Emissionen entstehen. Man kann mithilfe von Katalysatoren zum Beispiel neben CO₂ auch Biomasse in Biokraftstoffe umwandeln.


Und wann könnten diese ganzen Technologien umgesetzt werden?

Es dauert immer sehr lange, bis sich solche neuen Technologien durchsetzen. Selbst wenn wir morgen einen Durchbruch erzielen, würde es Jahrzehnte dauern, bis wir sie in großem Maßstab einsetzen können. Aber wenn wir CO₂, das wir momentan noch als „Abfall" sehen, oder auch überschüssige Solarenergie sinnvoll nutzen können, wäre das ein Riesenfortschritt. Und es wäre ja auch wirtschaftlich sinnvoll, CO₂ in Nützliches umzuwandeln. Wichtig ist aber auch, all diese Dinge wie erneuerbare Elektrizität, die Elektrifizierung von Privatfahrzeugen und die Forschung an nachhaltigen Technologien wie Brennstoffzellen weiter voranzutreiben. Wir müssen auch damit anfangen, nicht nur CO₂-neutrale Kraftstoffe zu entwickeln, sondern wir müssen zusätzlich für negative CO₂-Emissionen sorgen.


Können Sie das näher erklären?

Bei CO₂-neutralen Umwandlungsprozessen nehmen wir Kohlendioxid aus der Luft und verwandeln es zum Beispiel in Kraftstoff. Verbrennt man den Kraftstoff wieder, gelangt das CO₂ zurück in die Luft. Es wird also nichts hinzugefügt, aber auch nichts weggenommen - der CO₂-Gehalt bleibt neutral. Für negative CO₂-Emissionen nehmen wir das Kohlendioxid aktiv aus der Atmosphäre und speichern oder schließen es zum Beispiel im Boden oder in Hightech-Baustoffen ein. Wir entnehmen der Atmosphäre also aktiv CO₂, die Bilanz ist damit negativ. Und diese Technologien für negative CO₂-Emissionen müssen wir auf jeden Fall entwickeln.


Wird denn Ihrer Meinung nach politisch genug getan, um in solche Technologien zu investieren und den Klimaschutz voranzubringen?

Ich finde es immer schwierig, Politik zu bewerten. Ich bin Wissenschaftlerin und mag es gerne, wenn man klar etwas bestimmen kann, wenn man mit Zahlen arbeiten kann. Die Politik hat viel zu viele Variablen. Das Einzige, worauf ich zurückgreifen kann, ist mein Wissen über die Vergangenheit und mein Glaube, mein Optimismus, was menschlichen Erfindungsreichtum betrifft. Ich meine, wir haben bereits in der Vergangenheit wichtige Technologien entwickelt. Meist ist das aber auch unter Druck geschehen, weil die Notwendigkeit bestand. Bei den Kohlendioxidemissionen ist das etwas schwieriger.

Wir werden die Auswirkungen der CO₂-Emissionen, die wir heute ausstoßen, erst in zehn Jahren zu spüren bekommen. Das ist gefährlich, denn die Menschen erkennen das Ausmaß erst, wenn es bereits zehn Jahre zu spät ist. Deswegen ist es ja auch so wichtig, dass wir heute anfangen, aktiv Technologien zu entwickeln, Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen. Und wir sehen ja schon heute eine wirklich drastische Zunahme von Unwetterereignissen.


Aber Technologien allein werden wahrscheinlich nicht ausreichen, den Klimawandel zu stoppen. Letztendlich müssen wir ja auch unsere Lebensweise ändern. Oder wie sehen Sie das?

Ja, die Fleischindustrie, das Fliegen, aber auch der hohe Plastikverbrauch sind natürlich schädlich für die Umwelt. Und man sollte diese Sachen einschränken. Aber letzten Endes wird die wirkliche Veränderung von den Grundlagen ausgehen, also von der Art und Weise, wie wir Materialien und Dinge herstellen. Denn letztendlich ist es so: Im Jahr 2100 werden rund zwölf Milliarden Menschen auf der Erde leben, und die brauchen auch in Zukunft Materialien, selbst wenn man den Verbrauch reduziert. Wir müssen die Chemie grundlegend verändern, um den Klimawandel zu stoppen. Und dass uns Menschen solch eine Veränderung gelingt, beweist ja auch die Vergangenheit.


Können Sie da ein Beispiel nennen?

Ich vergleiche das gerne mit dem Mittelalter, als es noch keine Kanalisation gab. Wir haben alles auf die Straße geworfen, unseren Abfall, und wir wurden krank. Die Leute bekamen Cholera, und dann haben sie gedacht: Vielleicht ist es keine so gute Idee, dass ich einen Eimer mit Fäkalien auf den Kopf meines Nachbarn werfe. Vielleicht sollten wir einen Abwasserkanal bauen. Und das ist im Grunde das, was wir jetzt tun. Wir werfen alles weg, was wir produzieren. Wir stoßen CO₂ in die Luft aus. Uns fehlt also metaphorisch gesprochen noch das Abwassersystem. Ja, solch ein System kostet eine Menge Energie und Geld. Aber es ist unerlässlich für unsere Gesundheit, unsere Zukunft.


Aber glauben Sie, dass das jedem so klar ist, dass wir etwas verändern müssen?

Ich denke, wir haben schon das Wesentliche verstanden. Und mich stimmen vor allem die jüngeren Generationen optimistisch, die Klimaaktivisten wie Greta Thunberg, aber auch die Studenten an meiner Universität. Den meisten jungen Leuten ist mittlerweile bewusst, dass der Klimawandel ein großes Problem ist und wir dagegen angehen, etwas verändern müssen. Eigentlich möchten fast alle meiner Studenten, die unter 25 Jahre alt sind, an Nachhaltigkeitsthemen arbeiten. Es ist unglaublich schön, zu sehen, dass diese ganze brillante Generation junger Menschen an eben dieser Sache forschen will. Natürlich konzentrieren sich nicht alle darauf. Aber man kann deutlich erkennen, dass vor allem Klima und Nachhaltigkeit Themen sind, die die jungen Menschen immer mehr beschäftigen. Das kann mich doch nur optimistisch stimmen.


Ist es das, was Sie auch in Ihrer täglichen Arbeit erfüllt?

Ich dachte ja immer, dass es als Wissenschaftlerin vor allem darum gehen wird, eine Publikation nach der nächsten zu veröffentlichen. Aber am Ende des Tages ist die Arbeit mit meinen Studenten das, was ich wirklich liebe, ihnen die Wissenschaft beizubringen und zu sehen, wie sie sich zu individuellen Denkern entwickeln, wie sie sich für die Forschung begeistern. Ich denke, dass das auch das wirkliche Vermächtnis eines guten Wissenschaftlers sein sollte, einerseits natürlich selbst zu forschen, aber eben auch neue, herausragende Wissenschaftler heranzuziehen, die Lösungen entwickeln - wie neue Katalysatoren.

Das Gespräch führte Elena Matera. Rétablir l'original