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Weihnachten in der Fremde

Aus Mossul in Irak floh Familie Noel nach Jordanien. (Foto: Dunja Ramadam)

Etwa 500 000 Iraker sind nach Jordanien geflohen, viele von ihnen sind Christen.


Unter der goldenen Kuppel der syrisch-orthodoxen St. Ephrem-Kathedrale in der jordanischen Hauptstadt Amman herrscht Feststimmung. Tannenzweige mit Schleifen schmücken die Sitzreihen, die Frauen tragen bestickte Kopftücher, die Männer Anzug und Krawatte. Wenn die Messdiener das Weihrauchfass schwenken, klingeln die Glöckchen. Die Gläubigen singen Lieder und sprechen Bibelverse auf Arabisch, Aramäisch und Assyrisch. Der morgendliche Gottesdienst in der vollbesetzten Kirche ist der Familie mit dem passenden Namen Noel aus dem irakischen Mossul vertraut: dieselbe Sprache, dieselben Lieder - nur treffen sie diesmal auf viele neue Gesichter. Die fünfköpfige Familie lebt seit Ende August in Jordanien. Es ist ihr erstes Weihnachtsfest fern der Heimat.

Als die Terrormiliz Islamischer Staat Mossul im Juni 2014 eroberte und von dort aus das Kalifat ausrief, mussten die Noels wie hunderttausend andere Christen fliehen. Es gab verschiedene Auslöser, sagt die dreifache Mutter Hoda Hanna. Drohanrufe, Lautsprecherdurchsagen - man gab ihnen zu verstehen, dass sie nicht mehr erwünscht waren. "Erst waren es Zeichen, dann Aufforderungen, dann Fristen", erzählt die 38-Jährige. Ihre Verwandten leben mittlerweile überall auf der Welt - in den USA, in Australien oder noch im Irak. "Vor allem an Festtagen ist die Distanz nur schwer zu ertragen", sagt Hanna. In der Kirche treffen sie auf Hunderte irakische Familien mit ähnlichem Schicksal. Dreimal die Woche kommen sie hierher.


Nach ihrer Flucht aus Mossul lebte die Familie zehn Monate in der Hauptstadt Bagdad, dort aber war es nicht sicher, außerdem fühlten sie sich einsam - es gab kaum noch Christen in der Stadt. Dabei ist Hoda Hanna dort aufgewachsen. Unter dem früheren irakischen Machthaber Saddam Hussein sei das Leben sicherer gewesen, erzählt die 38-Jährige. Als sie damals in die Kirche ging, standen Polizisten am Eingang, die sie mit Respekt behandelten. Doch als im März 2003 das US-Militär in den Irak einmarschierte, verschlechterte sich die Lage. Vor der Invasion der Amerikaner lebten zwei Millionen Christen im Irak. Mittlerweile sind es nur noch etwa 300 000 - weniger als ein Prozent der Bevölkerung. Damit folgt das Land einem traurigen Trend im Nahen Osten: Die Zahl der Christen in der Region geht stetig zurück, in den meisten Ländern ist der Anteil der Christen unter fünf Prozent gesunken.

Eine Rückkehr nach Mossul schließt die Familie aus, obwohl irakische Streitkräfte ihre Heimatstadt im Sommer 2017 von den Terroristen befreit haben. Doch die derzeitige Regierung tue nichts, um die Christen zurück ins Land zu holen, meint die Familie. Am 1. Weihnachtsfeiertag verkündete die Regierung in Bagdad zwar, dass Weihnachten nun für alle Bürger ein nationaler Feiertag sei - doch dieses Signal ist vielen Christen zu wenig. "Wenn wir ehrlich sind, gibt es für uns in der ganzen Region keinen Platz mehr zum Leben - wir leben hier unter einem Vulkan", sagt der Ehemann von Hoda Hanna, Nabil Noel. Der 50-jährige Familienvater fühlt sich schon seit Jahren nicht mehr als Iraker. Selbst im nordirakischen Erbil, wo die Familie drei Jahre lang lebte, waren sie Fremde. "Man hat uns angesehen, als wären wir Tiere in einem Zoo. Die Menschen sprechen Kurdisch, wir Arabisch. Wir waren im Irak und irgendwie auch nicht. Schlimmer kann es also nicht mehr werden", sagt Hoda Hanna.


In Jordanien zu bleiben kommt für die Familie aber auch nicht infrage. Obwohl der jordanische König Abdallah II. sich für den Schutz der Christen einsetzt, kann sich die Mehrheit hier kein neues Leben aufbauen. "Wenn nicht mal die Einheimischen Jobs haben, wie sollen wir dann hier überleben?", fragt Nabil Noel, der in Mossul als Ingenieur gearbeitet hat. Da irakische Flüchtlinge in Jordanien keine Arbeitsgenehmigung erhalten, arbeiten viele illegal. Die Caritas hilft den Noels mit dem Schulgeld für die Kinder.

In den vergangenen Jahren kamen etwa 500 000 Iraker in das kleine Königreich. "Jordanien ist für die Mehrheit der irakischen Christen ein Transitland. Die meisten wollen weiter: in die USA, nach Kanada, Australien oder nach Europa", erzählt George Jamil Hazou, Ökumenebeauftragter der Kathedrale. Er hat viele Flüchtlingskrisen erlebt: Seine Familie floh einst aus Jerusalem hierher, 2011 folgten Flüchtlinge aus Syrien, nach 2014 kamen vor allem Iraker. Über ein Resettlement-Programm des UN-Flüchtlingswerkes versuchen die Familien, dauerhaftes Asyl im Ausland zu erhalten. Doch bislang nehmen nur wenige Staaten Flüchtlinge über festgelegte Kontingente auf - laut Caritas gibt es jährlich nur etwa 80 000 Plätze. Familie Noel stellt sich auf eine lange Wartezeit ein. Die älteste Tochter ist in vier Jahren volljährig, dann wird ihr Fall gesondert behandelt. Sie hoffen, dass sie nie vor die Entscheidung gestellt werden, sich trennen zu müssen. Wohin man sie schickt, ist der Familie egal. Nur eins ist ihnen wichtig: dass sie nach all den Jahren zur Ruhe kommen. "Ich möchte wieder sagen können: das ist das Zuhause meiner Kinder", sagt Hoda Hanna. "Hier sind wir sicher."

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