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Landesgartenschau Kamp-Lintfort: „Werden alles öffnen, was möglich ist" - WELT

Die Stadt Kamp-Lintfort will mit der Landesgartenschau zeigen, wie sie den Strukturwandel meistert. Jetzt kämpft man dort mit den Einschränkungen der Corona-Krise. Eine Alternativplan muss her.

Jan Holsteg muss aufpassen. Im Zechenpark bewässern Rasensprenger die Grünflächen, Bäume und Blumenbeete. Wenn Holsteg keine Dusche abbekommen will, muss er sich im Slalom über das Areal bewegen. „Das Klima macht uns schon zu schaffen", erklärt der 31-Jährige. Ohne üppige Bewässerung geht es bei der Landesgartenschau in Kamp-Lintfort nicht.

Holsteg arbeitet für den Veranstalter als Bauherrenvertretung. Das bedeutet, dass er sämtliche Firmen koordinieren muss, die für die Gartenschau tätig sind - vom Landschaftsgärtner bis zum Tiefbauunternehmen. „Ein Traumjob", sagt Holsteg. Er war dabei, als im Herbst 2018 die Bauarbeiten auf dem Gelände des stillgelegten Bergwerks West begannen. Von da an fieberte der 31-Jährige dem 17. April 2020 entgegen. An diesem Tag sollte Kamp-Lintforts Bürgermeister Christoph Landscheidt die Landesgartenschau eröffnen. Doch dann kam die Corona-Epidemie.

Ein Alternativplan musste her: Nach dem derzeitigen Stand sollen die Besucher zum ersten Mal am 5. Mai aufs Gelände dürfen. Sie werden dann einen Rundgang machen können, vorbei an blühenden Tulpen, Gärten mit Wasserspielen und Obstbäumen - und das alles vor einer imposanten Industriekulisse. Der 70 Meter hohe Förderturm ist vom Bergwerk West geblieben, ebenso das historische Stahlgerüst in grüner Farbe. Ein altes Verwaltungsgebäude komplettiert das Ensemble.

Endlich kommt die Bahn

Dort, im zweiten Stock, hat Heinrich Sperling sein Büro bezogen. Der Gärtner und Diplom-Ingenieur für Garten- und Landschaftsplanung hat einige Erfahrung mit solchen Veranstaltungen. Sperling packte bereits 1983 bei der Internationalen Gartenschau in München mit an. 1995 betreute er seine erste Landesgartenschau als Geschäftsführer - damals in Grevenbroich.

Nun verantwortet der Essener die Veranstaltung in Kamp-Lintfort. Als ihn die Landesarbeitsgemeinschaft Gartenbau und Landespflege für den Posten vorschlug, kannte Sperling die Stadt am Niederrhein noch nicht. „In den Staumeldungen hatte ich davon gehört. Das war es auch", sagt er. Sperling hörte auch davon, dass die ehemalige Zechenstadt nicht den besten Ruf hat. Leerstände in der City schaden dem Image, ebenso die Tatsache, dass die 38.000-Einwohner-Stadt keinen Anschluss ans Bahnnetz hatte. Jetzt sollen bald auf einer ehemaligen Zechentrasse Züge nach Kamp-Lintfort rollen.

Das Beispiel Bahnanschluss zeigt, wie die Veranstaltung der Stadt einen Schub bringen könnte. „Durch die Landesgartenschau werden wir zeigen, dass wir den Strukturwandel geschafft haben", sagt Sperling. Wenn er aus seinem Bürofenster blickt, sieht er einen Schotterparkplatz. Nach dem Ende der Landesgartenschau am 11. Oktober soll dort gebaut werden. Rund tausend Wohnungen sollen entstehen. „Friedrich Heinrich" heißt das neue Stadtquartier in Anlehnung an einen ehemaligen Zechennamen. 25 Hektar Grünfläche sind dank der Landesgartenschau schon vorhanden. Wenn Bürgermeister Landscheidt über die Anlage spricht, dann scheut er sich nicht vor großen Vergleichen, der SPD-Politiker spricht gerne vom „Central Park". Als wäre Kamp-Lintfort New York.

Derzeit scheint es allerdings sinnvoller, den Zechenpark mit den botanischen Gärten des Landes zu vergleichen. Denn für die Gartenschau gelten derzeit dieselben Regeln wie für botanische Gärten: Die Besucher müssen Abstand halten, Gruppen sind zu vermeiden. Dafür gab es am vergangenen Montag einen Testlauf. Ein Rundweg im Schatten des Förderturms stand Spaziergängern offen. 1428 Besucher nutzten dieses kostenlose Angebot. Ordner am Wegesrand passten auf, dass sich die Menschen nicht zu nahe kamen oder den aufgezeichneten Weg verließen. Eingreifen mussten sie kaum. „Die Besucher haben sich sehr zivilisiert verhalten", sagt Sperling. „Es gab überhaupt keine Hektik."

Allerdings hängt die Zukunft der Gartenschau nicht nur von der Disziplin der Besucher ab. Sollte die Zahl der Corona-Infizierten nach oben schnellen, könnte dies strengere Auflagen zur Folge haben. „Wir fahren aktuell im Nebel auf Sicht", so beschreibt Sperling die Situation. An seiner ursprünglichen Kalkulation hält er weiterhin fest. Vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie rechneten die Kamp-Lintforter mit 560.000 Besuchern. Und dabei soll es bleiben. „Die Stornierungsrate ist bislang sehr niedrig", sagt Sperling. Von rund 400 angemeldeten Gruppen hätten bislang nur 15 ihren Besuch abgesagt.

Was den Besuchern auf dem Gelände ab dem 5. Mai erlaubt ist und was nicht - das ist noch offen. Kaum vorstellbar ist eine Fahrt mit dem Fahrstuhl auf den Förderturm. Jan Holsteg war schon oft auf dieser Plattform, sie ist sein Lieblingsort auf dem Gelände. „Die Aussicht ist klasse", sagt er. Von dort aus kann er bis zum Kloster Kamp schauen, die berühmten historischen Gärten der Klosteranlage sind ein Nebenschauplatz der Landesgartenschau. Ein sogenannter Wandelweg verbindet die ehemalige Abtei mit dem Zechenpark. Doch noch ist das „Kamper Gartenreich" geschlossen.

Öffnen, was möglich ist

„Wir werden alles öffnen, was möglich ist", sagt Gartenschau-Chef Sperling, der ständig im Austausch mit der Landesregierung steht. Freuen würde er sich, wenn Familien den südlichen Teil des Parks erkunden könnten. Dort hat das Ehepaar Stephanie und Reiner Winkendick einen kleinen Tierpark aufgebaut. Wer den Weg entlangläuft, hört die Hühner gackern, die Schafe blöken und die Ponys schnauben.

Es gibt auch exotische Tierarten, etwa Alpakas und Erdmännchen. Erdmännchen „Kalli" ist das Maskottchen der Landesgartenschau. Deshalb bewohnt nun eine zehnköpfige Erdmännchenfamilie ein Gehege. Die putzigen Raubtiere verstecken sich unter Federgräsern, die sie aus ihrer Heimat Südafrika kennen.

Dass ein deutscher Tourist in diesem Jahr Erdmännchen in freier Wildbahn zu sehen bekommt, scheint angesichts der Corona-Einschränkungen ausgeschlossen. Da könnte also ein Kurztrip zur Landesgartenschau eine kleine Entschädigung für den stornierten Sommerurlaub sein. Aus solchen Überlegungen zieht Heinrich Sperling Hoffnung, er strahlt Optimismus aus. Der Geschäftsführer sagt, es sei zwar „ein emotionaler Schock" gewesen, die große Eröffnungsveranstaltung abzusagen. Von diesem Schock habe er sich mittlerweile aber erholt.

Auch Jan Holsteg lässt sich die Laune nicht vermiesen. „Auf meinen Bereich hat sich die Pandemie auch nicht wirklich ausgewirkt", sagt er. Natürlich spricht er mit den Dienstleistern jetzt vor allem am Telefon oder per Videokonferenz. Bei der Gestaltung der Gärten und Grünflächen ist aber vieles wie immer. Das Coronavirus befalle weder Hopfenbuche noch Stiefmütterchen, sagt Holsteg. Diese Gewächse haben eher Probleme mit der Trockenheit - aber dafür gibt es ja Rasensprenger.

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