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"Die Ideen feiern, wo sie geschehen" | NZZ

Jörg Koch, kreativer Kopf hinter dem Kunst- und Kulturmagazin "032c", ist seit einem Jahr auch Chefredakteur der deutschen Ausgabe des Andy-Warhol-Magazins "Interview" - ein Porträt des Medienmachers.


Jörg Koch geht durch sein Atelier in Berlin-Mitte. Der Betonraum mit dem massiven Glaskasten ist an diesem Freitagabend proppenvoll mit Künstlern, Verlegern, Regisseuren oder Gastronomen. Der Schweizer Fotograf Walter Pfeiffer präsentiert sein Fotobuch. Das zieht die Kreativen an. Und obwohl sich der Hausherr des "032c"-Workshops recht unauffällig bewegt, ist er nicht zu übersehen. Mit seiner Körpergrösse von zwei Metern überragt Jörg Koch alle. Dabei schaut er keineswegs von oben herab, sondern schüttelt gleichzeitig Hände, dreht an der Musikanlage und räumt leere Gläser ab.

Während viele in Berlin nur zuschauen und sich dazustellen, wo vermeintlich Interessantes geschieht, ist Jörg Koch, 39, ein Macher. An diesem Ort hat er - "so schön idealistisch, wie man nur im jungen Alter in Berlin sein kann" - vor fünfzehn Jahren einen Ausstellungsraum mit Freunden gegründet. "Den Raum benutzten wir als dreidimensionales Fanzine", erzählt Koch. Dazu wollten sie ursprünglich auch eine Video-Onlineplattform lancieren. Doch damals fehlte die Bandbreite dafür.

"Das ist das Drama meines Lebens: Ich war immer zu früh", sagt er - nicht selbstsicher, sondern nüchtern. So entstand schliesslich zusammen mit Sandra von Mayer-Myrtenhain die Idee des Magazins "032c", benannt nach dem gleichnamigen Code der Farbe Rot bei Pantone. "Das Magazin war ein totales Do-it-yourself-Projekt", sagt Koch. Bereits als er Mitte der neunziger Jahre nach Berlin kam, lernte Koch Journalismus nicht durch eine Schule kennen, sondern durch Erlebnisse - mitten im Leben, das in Berlin vor allem auch nachts pulsiert.

Heute ist "032c" eines der beliebtesten Kunst- und Kulturmagazine Europas und vereint Architektur, Urbanität, Literatur und Mode. Beflügelt hat den Erfolg des Magazins der "Berlin-Hype" nach der Jahrtausendwende. "Wir hatten kein Geld, aber Zeit", sagt Jörg Koch, "daraus entsteht eine andere Sprache und Haltung, als wenn ein Magazin in einem grossen Verlag am Reissbrett entsteht." "032c" sei nicht kommerziell ausgerichtet gewesen. "Sonst hätten wir kaum so einen bescheuerten Namen gewählt", sagt Koch lachend.

Jenseits des Mainstreams

Blättert man in der roten Zeitschrift, fällt auf, wie radikal die Bildsprache, wie untypisch die Grafik ist, wie anders die Fotostrecken und wie vorausblickend die Geschichten sind. "Diese Anti-Position konnte man sich in Berlin leisten", sagt Koch. Die Modelabels schätzten den neuen Ansatz und buchten Anzeigen. Apropos Mode: "Wenn wir Fashion im Magazin zeigen wollen, dann gehen wir aufs Ganze", sagt Koch, "mit Fotografen wie Juergen Teller, Danko Steiner oder Alasdair McLellan haben wir Geschichten realisiert, die eine grosse Intensität haben und aus dem visuellen Einheitsbrei hervorstechen."

Seine visionäre Arbeitsweise verhalf Jörg Koch vor Jahresfrist zu einem weiteren gewichtigen Amt: Er wurde Chefredakteur der neugegründeten deutschsprachigen Ausgabe des Andy-Warhol-Magazins "Interview". In Zeiten, wo Chefredaktionen doppelt besetzt werden, führt er nun also zwei Magazine in Personalunion. Dabei agiere er wie ein Architekt, der einmal ein Hochhaus, aber auch eine Stadtvilla baue. "Warum sollte das im heutigen Journalismus nicht möglich sein?", fragt Koch selbstbewusst.

"Die Tonalität der beiden Magazine ist sehr unterschiedlich", erklärt Koch. Die Geschichten von "032c" seien sperrig und avantgardistisch, "Interview" hingegen sei ein kommerzielles Entertainment-Magazin. "Interview" entsteht in Westberlin, "032c" im ehemaligen Osten. "‹032c› muss immer wieder mit neuen Bedeutungen aufgeladen werden und vorwärtsgehen. ‹Interview› ist dagegen mehr Leuten zugänglich. Ich mag dieses Spannungsfeld", sagt Koch.

Sein erstes Jahr als Chefredakteur bei "Interview" betrachtet Jörg Koch als Reise in das "dunkle Herz der Celebrity-Culture". Er habe viel über Prominente gelernt, sagt Koch, und ergänzt: "Es ist wenig Prätentiöses dabei. Was banal ist, ist banal, was klug ist, ist klug - und das kann nebeneinanderstehen." "032c" vergleicht er dagegen mit einem Feuilleton. "Es sind viele anachronistische Codes enthalten, die man nicht erwartet. Viel Osteuropäisches und Referenzsysteme zwischen Kunst, Kultur und Politik", so beschreibt Koch den Inhalt. Es ist das Spannungsfeld, das auch Berlin ausmacht.

Und in Berlin kennt Jörg Koch alle und jeden. Koch ist nicht einer, der Kontakte wie Schmetterlinge an die Wand spiesst, seine Zusammenarbeit mit bekannten Fotografen, Designern und Musikern entwickelt er über Jahre. Wenn er sich für jemand entschieden hat, taucht dieser immer wieder in seinem Kosmos auf. Er wolle vor allem sozialen Raum schaffen, wo die Musik, die Drinks und die Kunst stimmen - wie eben in seinem "032c"-Workshop. Die "New York Times" bezeichnete Jörg Koch in einem Porträt als Berliner Stil- und Designguru. Er winkt ab: "Heute werden unabhängige Magazine rasch personalisiert. Das ist aber nicht der Eitelkeit geschuldet, sondern die kaltblütige Erkenntnis dazu, wie ein Magazin in der heutigen Zeit funktionieren kann."

Den Zeitgeist demontieren

"032c" hat neue Medientrends früh aufgegriffen - etwa die Vereinigung von Print und Online, woran Koch zurzeit bei "032c" intensiv arbeitet. "Wichtig ist, nicht nostalgisch oder sentimental zu reagieren", sagt Koch. Weil das Gedruckte für Koch mehr Bedeutung hat, weil es besser archiviert werden kann als Material im überfüllten Internet, ist er auch für die Zukunft des Magazins zuversichtlich: "‹032c› funktioniert weltweit. Deshalb wird es immer genug Verrückte geben, die das Magazin lesen." Auch für "Interview" ist er zuversichtlich: "Wir konnten in den letzten Monaten einige grossartige Geschichten realisieren."

Was Jörg Koch von anderen Akteuren im Medienfach unterscheidet, ist sein Verständnis eines zeitgenössischen Magazins: "Es muss Momente geben, in denen der Zeitgeist absichtlich demontiert wird." Ihn inspiriere Innenarchitektur oder Design und nicht nur Mode oder Filme, wie man es heute bei den meisten Lifestyle-Magazinen als Referenzpunkte sieht. Kochs Ideen sind nicht von Marken und Meinungsmachern angeschoben, sondern erzählen von ungewöhnlichen Orten und Menschen. "Nur so können die Magazine eine Schnittstelle zwischen Mode, Kunst, Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Design werden, weil in Räumen alles kollidiert", sagt Jörg Koch. "Am Ende feiern wir Ideen, wo immer sie geschehen."

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