1 abonnement et 0 abonnés
Article

Lazarusorden: Das Turnier der neuen Ritter

Bedächtig öffnet die Nonne die Pforte, kneift im Sonnenlicht kurz die Augen zusammen und bittet herein. Das Kloster St. Lazarus in Seedorf, Kanton Uri, ist Wirkungsstätte von Benediktinerschwestern. Heute aber hat es einen Gast. An einem Mahagonitisch erhebt sich Philippe Piccapietra, der "Großkanzler des Militärischen und Hospitalischen Lazarusordens zu Jerusalem" - eine Art Generaldirektor dieser Organisation. Am Blazer prangt ein Zeichen, wie man es sonst von Apotheken kennt: Es ist ein grünes Malteserkreuz. Das Signet des Ordens. Mit den kurzen Haaren, der zupackenden Begrüßung und dem Zürcher Dialekt erinnert der Großkanzler kaum an versunkene Ritterwelten. Doch Philippe Piccapietra trägt einen Grafentitel, der laut eigenen Aussagen im Neapel des Spätmittelalters seinen Ursprung hat. Und er leitet einen Orden, der sich selbst eine große Geschichte zuschreibt: Bis ins Jahr 360 nach Christi Geburt sollen die Wurzeln der Lazariter zurückreichen. Damals gründeten Armenier ein Spital außerhalb der Stadtmauern von Jerusalem zur Pflege von Leprakranken. Und in der Heiligen Stadt befindet sich heute wieder der Hauptsitz des Ordens. Die ältesten Statuten des Lazarusordens allerdings sind hier in Seedorf aufbewahrt, in einem Glasschrank des Benediktinerinnenklosters.


Viel Geschichte also. Doch stimmt sie auch? Im Umfeld des Lazarusordens stößt man nicht nur auf christliche Hilfsbereitschaft, sondern auch auf Intrigen, Streitigkeiten, Gerichtsverfahren und eitlen Tand. Auf echte und falsche Ritter. Auf Erben und Erbschleicher einer geschichtlichen Tradition. Denn Lazarus, die wiedererweckte Legendenfigur, kann sich schlecht wehren gegen die Vereinnahmung heutiger Menschen, und sein Name ist nicht geschützt. So gibt es viele Lazarusorden und Lazarusritter auf dieser Welt, wobei sich Philippe Piccapietra immerhin rühmen darf, dass sein "Verein des Militärischen und Hospitalischen Ordens des Heiligen Lazarus von Jerusalem" im Handelsregister des Kantons Uri eingetragen ist. Zwar nicht seit Jahrhunderten, aber immerhin seit Juli 2004. Strittig bleibt damit, wie sehr er in einer Reihe steht mit anderen Persönlichkeiten, die sich Lazarusritter oder -dame zu nennen belieben - darunter der Erzbischof von Canterbury, König Juan Carlos von Spanien, der Fürst von Schwarzenberg oder, als Teilmitglied, der Dalai Lama.


Wer ist Herr Piccapietra? Keiner von uns, sagen die Lazariter

Keine Freude an Herrn Piccapietra hat Clemens Stroetmann. Er ist Kanzler der Großballei Deutschland, einer Organisation, die sich ebenfalls Lazarusorden nennt. Früher arbeitete er auch als Staatssekretär unter Helmut Kohl. Der Träger des Bundesverdienstkreuzes kennt den Zürcher Lazarusgrafen persönlich. "Herr Piccapietra ist eine Randnotiz in Bezug auf die Geschichte des Lazarusordens", sagt er. "Er ist keiner von uns." Auch lassen sich nur schwer Informationen über eine Adelsfamilie mit dem Namen des Lazarusgrafen finden - Piccapietra ist in Italien höchstens bekannt als Dialektbegriff für einen Platz in Genua. Laut Clemens Stroetmann ist der Adelstitel, mit dem sich Piccapietra schmückt, nirgends nachgewiesen. Doch auf solche Spitzfindigkeiten antwortet der Großkanzler gelassen: "Es geht uns um Inhalte und Werte. Ich habe kein Problem, wenn Sie den Grafentitel nicht erwähnen."

Er wisse ums Problem, dass gerade die Adelswelt attraktiv sei für Menschen, denen Äußerlichkeiten wichtig sind: Ein Ritterorden, der schon in den Kreuzzügen zu Zeiten von Sultan Saladin mitkämpfte, eine Organisation, deren Mitglieder sich "Kommandeur", "Seniorkaplan" oder "Dame" nennen - der Lazarusorden mag durchaus interessant sein für Titeljäger. "Wir suchen wahrhaftige Leute, die aus Überzeugung helfen möchten", sagt Piccapietra. "Egal aus welcher sozialen Schicht: Erstrebenwert ist der Weg von unten nach oben." Er selbst erhielt im März eine der höchsten Auszeichnungen des Ordens für sein Lebenswerk. Eine schlichte, kleine Kupfermedaille, deren Wert ihm aber unbezahlbar erscheint. "Diese Ehre kann man mit keinem Geld der Welt kaufen."

Und an der Ehre will Philippe Piccapietra nun auch ganz bürgerliche Menschen packen. Diesen Samstag findet im Zürcher Belvoirpark ein Wohltätigkeitsball statt, bei dem für Strahlenopfer der AKW-Katastrophe von Fukushima gesammelt wird. Dabei will sich der Orden für Nichtadlige öffnen. Welche Gäste geladen sind, ist noch geheim, allein: der japanische Botschafter hat sich angemeldet.


Was für ihn wirklich zähle, betont Piccapietra, sei die Gesinnung: "Nur durch seine Handlungen wird jemand zum wahrhaften Ritter." Und eine Prinzessin, die sich nicht wie eine Dame benehme, schaffe es höchstens in die Klatschspalten. Das Selfmade-Rittertum im Namen des armen Lazarus fasziniert auch andere Schweizer. Zum Beispiel den Fernsehkomiker Peter Pfändler. Er spaltete sich von Piccapietras Orden ab und gründete sein eigenes "Lazarus Reiter Regiment". Unter diesem Namen veranstaltete er im März 2007 im Hotel Hilton in Glattbrugg einen Charity-Ball, um bedürftigen Kindern heilpädagogischen Reitunterricht zu ermöglichen. Keck präsentierten Pfändler und seine Mitstreiter ihre mit grün bebandeten Orden behängten, schnittigen weißen Uniformen. Laut Programm tanzten sie später zu den Klängen des Willy-Scher-Orchesters und von DJ Rolf Menzi.

Philippe Piccapietra, ob mit oder ohne Grafentitel, aber will mehr. Zum Beispiel mit dem Projekt "Water Pilgrim". In Jerusalem möchte sein Lazarusorden auf jedem historischen Platz einen Wasserbrunnen installieren. In den Hotelzimmern wiederum würde allen Pilgern und Gästen eine Aluminiumflasche, die mit einem Chip versehen ist, zur Verfügung gestellt. Damit könnten sie aus diesen Brunnen Wasser beziehen und verursachten keinen Abfall durch Plastikflaschen. Jeder getrunkene Liter würde zudem in gleicher Menge an Bedürftige in Drittweltländern gespendet. Deshalb muss der Orden nun Geldquellen außerhalb der Aristokratie finden. Man stehe in Kontakt zum weltgrößten Wasserkonzern Veolia, sagt Piccapietra. Die Presseabteilung in Paris bestätigt dies: Eine erste Präsentation beim Bürgermeister von Jerusalem habe im Oktober stattgefunden. Welcher Ordensmann damals vor ihnen stand, weiß bei Veolia aber niemand. Vielleicht müssten sie es mal mit den Worten Jesu versuchen: "Lazarus, komm heraus!"

Rétablir l'original