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Energie: Kommt der Strom bald aus dem Meer? - WELT

Energiealternativen werden schon lange erforscht. Wissenschaftler Jan Peckolt verfolgt nun einen ganz neuen Ansatz: Mithilfe von Meereswellen möchte er bis zu 800 Haushalte mit Strom versorgen.

Von Duisburg aus arbeitet Jan Peckolt mit seinem Team an einem neuartigen Meereswellenkraftwerk. Wenn er aus dem Fenster seines Büros im Technologiezentrum Tectrum schaut, dann blickt er auf das Studentenviertel Neudorf. Die Universität ist nicht weit weg. Das Meer aber sehr wohl. Rund 200 Kilometer trennen Duisburg und die Nordsee. Dass sich Jan Peckolt genau diesen Standort für sein junges Unternehmen Nemos ausgesucht hat, ist kein Zufall. Duisburg hat eine lange Tradition im Schiffsbau. Die Stadt mit dem größten Binnenhafen Europas hatte einst viele Werften. Noch heute spielt die Schifffahrt in der hiesigen Wirtschaft und auch an der Universität Duisburg-Essen eine wichtige Rolle. Deswegen fand Jan Peckolt ideale Bedingungen vor Ort vor.

Die Idee eines Meereswellenkraftwerks verfolgt der Ingenieur bereits seit seinem Studium. Seine Diplomarbeit schrieb er über dieses Thema am Entwicklungszentrum für Schiffstechnik und Transportsysteme in Duisburg. Das Forschungsinstitut ist an die Universität Duisburg-Essen angedockt und bot Peckolt mit seinen Versuchsanlagen, der vorhandenen Messtechnik und den Simulationsmethoden die Möglichkeit, die Grundlage für das Meereswellenkraftwerk zu schaffen.

Peckolts Fragestellung: Wie kann man die Kraft der Welle effizient für Energie nutzen? Seine ersten Versuche waren vielversprechend. Deswegen gründete er 2012 das Start-up Unternehmen Nemos. „Zudem forschen in Deutschland nur noch wenige Firmen ernsthaft an dem Ansatz, die Kraft der Meere für Stromerzeugung nutzbar zu machen", sagt Peckolt. Neben Nemos existiere noch das bayerische Start-up Sinn Power. Das Potenzial der Technik sei aber groß. Jan Peckolt hat berechnet, dass später wahrscheinlich 700 bis 800 Haushalte pro Jahr mit der Energie aus Wellen mit einem einzigen Kraftwerk versorgt werden könnten.

Zunächst testete der Forscher sein Modell in Duisburg, in einem riesigen Tank, 200 Meter lang und zehn Meter breit. Danach folgte ein erster Feldversuch in einem Fjord in Dänemark. Seit September ist der Prototyp des sogenannten „Wave Energy Converters" vor der belgischen Nordseeküste nahe der Hafenstadt Ostende in der Versuchsphase. Es ist ein Testlauf unter annähernd den Bedingungen, die das Meereswellenkraftwerk aushalten muss, wenn es einmal kommerziell Strom produziert.

Der Prototyp ist ein acht Meter langer und zwei Meter breiter Schwimmkörper. Riemen verbinden ihn mit einer 16 Meter langen Stahlkonstruktion unter Wasser. An der Wasseroberfläche treffen die Meereswellen gegen den Schwimmkörper und setzten die Riemen in Bewegung. Die Hydroenergie der Wellen wandelt sich in mechanische Energie um. Ein Generator wiederum erzeugt aus der mechanischen Energie Strom. Bis zu 70 Prozent betrage der Wirkungsgrad der Anlage. Andere Anlagen lägen hier nur zwischen 40 bis 50 Prozent, erklärt der 38-Jährige.

Bis zur kommerziellen Nutzung von Meereswellenkraftwerken ist es aber noch ein weiter Weg. Ein Problem solcher Anlagen war bislang, dass die „extrem hohen Investitionskosten nicht im Verhältnis zu den erzielbaren Erlösen" stünden, wie es in einer Analyse der Technische Universität München heißt. Hinzu komme etwa noch die Sturmsicherheit. Daher würden viele Projekte nicht fortgeführt.

Für Alexander Martha, Betriebsleiter bei Nemos, scheiterten viele Projekte auch, weil die Entwickler ihre Konzepte zu schnell in die Praxis umsetzen wollten. Von einem Modell oder Prototyp den Sprung in einen kommerziellen Maßstab zu wagen, das sei riskant. Kleine Fehler könnten bereits eine große Wirkung haben. Deswegen will sich das Unternehmen Zeit lassen, bevor es sein Ziel erreicht hat, einen zirka 40 Meter langen Schwimmkörper, der für die kommerzielle Nutzung geeignet ist. „Den Prototypen zu schnell, zu hoch zu skalieren, das kann einem solchen Projekt das Genick brechen", sagt Alexander Martha.

Noch zehn Jahre bis zur Marktreife

Die Strategie des Duisburger Start-ups lautet deswegen, Schritt für Schritt vorzugehen. „Wir setzen uns immer wieder an den Schreibtisch und verändern Details, wenn wir bemerken, dass etwas nicht funktioniert", sagt Julius Schay. Der Ingenieur kümmert sich um die Test-Anlage in Belgien und verbringt dort auch einen Großteil des Jahres, weil das Start-up Nemos dort mittlerweile einen Forschungsstandort unterhält. Mit den vor Ort gewonnenen Daten entwickeln die Forscher in Duisburg ihr Konzept weiter. In Duisburg befindet sich allerdings das Kontrollzentrum für das Meereswellenkraftwerk. Im Grunde lasse sich die Anlage von überall auf der Welt steuern.

„Mindestens ein Zwischenmaßstab in der Testphase wird noch nötig sein, bevor wir den kommerziellen Maßstab erreichen werden", sagt Nemos-Chef Peckolt. Er geht davon aus, dass es sicherlich noch zehn Jahre bis zur Marktreife dauern wird. „Natürlich könnte die Entwicklung schneller gehen", erklärt Alexander Martha, aber die Investitionen in die Branche seien zurückgegangen.

Er berichtet über das Misstrauen gegenüber Meereswellenkraftwerken, weil früher Projekte gescheitert seien und Geldgeber Verluste gemacht haben. Vor allem die großen Energiekonzerne seien zurückhaltend. „Wir sind aber in der glücklichen Lage, dass Investoren und das Bundeswirtschaftsministerium unsere Entwicklung fördern", sagt Peckolt. Begrüßen würde er es allerdings, wenn sich auch die Energieerzeuger wieder stärker für diese Technik engagieren würden.

Die jungen Unternehmer haben sehr genaue Vorstellungen von der Zukunft ihrer Technik. Sie möchten, dass die einzelnen Schwimmkörper Offshore zusammenstehen. Das heißt, sie würden wie die heutige Windkraftanlagen auf dem Meer in sogenannten Parks gebündelt. Das werde dann aber nicht mehr in der Nordsee sein, wo der Wellengang nicht konstant genug ist, sondern vermutlich vor den Kanarischen Inseln oder vor Portugal. Überall dort, wo heute auch Surfer schon die Kraft der Wellen für ihren Sport nutzen, wäre zukünftig ein Wellenkraftwerk im Meer denkbar.

Dieser Text ist aus WELT AM SONNTAG. Wir liefern sie Ihnen gerne regelmäßig nach Hause.
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