Der HFC kämpft am Samstag gegen Braunschweig um das Weiterkommen im DFB-Pokal. Vor fünf Jahren klappte das zuletzt. Dank eines heutigen Magdeburgers.
Der Böller explodierte nur drei Meter neben ihm. So einen lauten Knall hatte Jan Glinker noch nie gehört.
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„Das hat richtig gescheppert", erinnert er sich. „Ich habe mich tierisch erschrocken."
Fünf Minuten waren im DFB-Pokalspiel zwischen dem Halleschen FC und dem 1. FC Union Berlin damals noch zu spielen. Halle war für dieses Spiel nach Leipzig ausgewichen, weil das eigene Stadion noch nicht fertig gebaut war. Der Außenseiter aus der Regionalliga führte gegen den Zweitligisten aus der Hauptstadt mit 1:0. Die Sensation nahte. Doch dann warfen Chaoten ausgerechnet aus dem HFC-Fanblock einen Feuerwerkskörper. Jan Glinker, Unions Torwart, wurde fast getroffen.
Am Samstag steht der Hallesche FC wieder in der Auftaktrunde des Pokals. Wieder wartet ein Zweitligist, diesmal Eintracht Braunschweig. Und wieder spielt die Hoffnung mit, den Erfolg von damals, vom 15. August 2010 zu wiederholen. Das ist dem HFC seitdem nicht mehr gelungen. Und Jan Glinker weiß: „Wenn ich mich damals fallen gelassen hätte, wäre das Spiel wahrscheinlich abgebrochen und für uns gewertet worden. Aber in dem Moment eine Verletzung zu mimen, wenn eigentlich gar nichts ist, wäre doch scheiße gewesen."
Ein Vorbild an Fairness
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass jener Jan Glinker, dem der Hallesche FC damals das Weiterkommen dank seiner Fairness maßgeblich zu verdanken hatte, heute beim 1. FC Magdeburg zwischen den Pfosten steht. Beim Erzrivalen von der Elbe, dem seit dieser Saison zweiten Drittligisten aus Sachsen-Anhalt.
In einer Woche geht es für ihn wieder gegen den HFC. „Man muss kein Ur-Magdeburger sein, um zu verstehen, was hier los ist, wenn es um Halle geht", sagt Glinker, der in Berlin geboren wurde und aufgewachsen ist.
In Zeiten schier endloser Theatralik und Schauspielerei auf Fußballplätzen ist Jan Glinker eine wohltuende Ausnahme. Denn sein Verhalten damals war kein Einzelfall. Im Auftaktspiel der laufenden Drittliga-Saison bewies der Keeper einmal mehr, dass es anders geht. Der Erfurter Angreifer Karsten Kammlott traf Glinker bei einer Abwehraktion mit dem Fuß im Gesicht. Blutend musste Magdeburgs Nummer eins behandelt werden. Das Überbleibsel der Wunde ist auch heute, Wochen später, immer noch auf seiner Stirn zu sehen. „Wäre ich länger liegen geblieben, hätte es vielleicht Rot gegeben", vermutet er. „Klar, der Angreifer hat mich gestreift. Aber er hat auch versucht zurückzuziehen. Da sollte er dann nicht unbedingt bestraft werden." Magdeburg gewann das Spiel mit 2:1.
„Alle auf einen Haufen"
Jan Glinker war schon beim 1. FC Union Berlin ein Publikumsliebling. 13 Jahre lang trug er das Trikot der Eisernen, wurde von den Fans viermal zum „Unioner des Jahres" gewählt. 2014 entschied sich der Kult-Klub trotzdem, den Vertrag mit dem Keeper nicht zu verlängern. Glinker wechselte zwei Ligen nach unten und spielte sich auch in die Herzen der Magdeburger Fans - und das, obwohl er FCM-Urgestein Matthias Tischer aus dem Kasten verdrängte.
Wie er sich seine Sympathie erklärt? „Wenn mich die Leute auf der Straße ansprechen, freue ich mich immer, über Fußball quatschen zu können", sagt Glinker. Wenn er von den Heimspielen in seine kleine Wohnung im Magdeburger Stadtteil Neue Neustadt zurückkehrt, ist das zum Beispiel so. „In Berlin hat sich das immer alles verteilt, aber hier sehe ich in jeden Hauseingang einen Blau-Weißen reingehen - alle auf einen Haufen." Zwei- bis dreimal pro Woche setzt er sich trotzdem in sein Auto und fährt nach Berlin. Dort wartet seine Familie, die Frau mit den drei Kindern. Und seine Eltern, die auf dem gleichen Grundstück leben und sich oft um den Familienhund kümmern. Jan Glinker hat seine Heimat alles andere als vergessen und beim FCM doch eine neue gefunden. Sein Vertrag gilt bis Ende dieser Saison, eine vorzeitige Verlängerung ist längst ein Thema. Er könne sich das gut vorstellen, sagt er und schaut wieder auf den Rasen. „Ich habe schon so viele Zweitligaspiele gemacht. Aber wenn ich in dieses Stadion vor diesen Fans einlaufe, kriege ich immer wieder Gänsehaut."
Derby schon in den Köpfen
Die wird am Sonntag fehlen, wenn Magdeburg in der ersten Runde des Landespokals beim beschaulichen Landesligisten Krevese antritt. Doch in den Köpfen spuken längst die Gedanken an das Derby gegen Halle umher. Deshalb wird Jan Glinker den Verlauf des DFB-Pokalspiels gegen Braunschweig auch genau verfolgen.
Doch wer landet am Ende der Saison weiter vorn? Wer ist denn nun die Nummer eins im Land? Halle oder Magdeburg? „Janz ehrlich", sagt die Berliner Schnauze zum Abschied, „dit is mir relativ Latte, solange wir die Klasse halten."
Jan Glinker wird es sportlich handhaben, diesen Klassenerhalt zu schaffen. So wie er es sportlich gehalten hat, als er damals mit Union am HFC scheiterte. „Manche haben gesagt, dass ich mich fallen lassen soll", erzählt er, „aber ich habe mich schnell dazu entschieden, es nicht zu tun. Natürlich waren die Fans sauer, dass wir rausgeflogen sind. Ich weiß aber nicht, ob es besser gewesen wäre, wenn wir wegen mir quasi unsportlich weitergekommen wären."
Dass er die Entscheidung so getroffen hat, macht ihn zufrieden. Am Tag nach dem Ausscheiden stand Glinker schon wieder auf dem Trainingsplatz. Die Schmerzen im rechten Ohr waren verschwunden. „Im Nachhinein habe ich alles richtig gemacht." (mz)