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Ghost Kitchen: In diesen Restaurants soll man nicht essen

Vado lì ist Italienisch und bedeutet: Ich gehe dort hin. Vadolì heißen auch zwei Restaurants in Berlin - und das Besondere an diesen Restaurants ist, dass man dort gerade nicht hinzugehen braucht. Erstens weil es dort nicht viel zu sehen gibt, außer ein paar leeren Tischen mit Stühlen dran und Grünzeug drauf. Zweitens weil die neapolitanische Pizza, für die das Restaurant steht, sowieso nach Hause geliefert wird. In regelmäßigen Abständen kommen Kurierfahrer mit leeren Taschen an die Theke und gehen wieder, wenn diese gefüllt sind.

Hier gibt es Pizza und Pasta. Und Hummus, den Vadolì gar nicht anbietet. Und Bowls. Und bald auch asiatische Sommerrollen und Hotdogs. Alles zubereitet in einer Küche. Das merkt man erst mal nicht, wenn man doch mal hingeht, in ein Restaurant, das keine Gästetoiletten besitzt und erst gar nicht zum Verweilen einladen soll, sondern bloß zum Bestellen. Das Vadolì tut so, als wäre es eine Pizza- und Pastabar, wie es sie in vielen Großstädten gibt - doch eigentlich ist es etwas ganz anderes, eine Ghost Kitchen.

Ghost Kitchens, heißt es in einem kürzlich im Magazin The New Yorker erschienen Text, gehöre die Zukunft. Das Konzept: Es gibt irgendwo eine Küche, in der Essen zubereitet und von dort ausgeliefert wird. In den USA liegen solche Küchen mitunter in Lagerhallen und werden deshalb auch Dark Kitchens genannt. Im deutschen Sprachraum ist auch der Name Ghost Restaurant geläufig, obwohl zu einem Restaurant eigentlich gehören würde, dass man in einem Gastraum an einem Tisch Platz nehmen und sich Essen servieren lassen kann. In diesem Fall aber gibt es keine Kellnerinnen und Kellner, sondern nur Küchenpersonal. Und das kocht unsichtbar für verschiedene Restaurants - die genau genommen gar keine Restaurants sind, sondern Marken.

Beschir Hussain, 33, spricht deshalb auch nicht von einem Restaurant, wenn es um das Vadolì geht, sondern von einem Store. Seit über sieben Jahren knobelt er an neuen Food-Delivery-Konzepten. Er ist in Berlin-Kreuzberg aufgewachsen, seine Familie besaß mehrere mediterrane Restaurants. Hussain schrieb das beste Abitur seiner Schule, erhielt eine Begabtenförderung und studierte Philosophie und Wirtschaft in New York und später an einer privaten Wirtschaftshochschule in Deutschland. Die Kombination dieser Fächer sei prägend gewesen, sagt er, denn dadurch habe er sich ständig gefragt, warum etwas so ist, wie es ist. Und dann: Wie kann es besser sein?

Der Geschäftsführer sitzt an einem der trotz allem noch vorhandenen Tische im Vadolì in Berlin-Mitte und sagt, eine physische Präsenz schaffe dann doch immer eine emotionale Bindung, und darauf habe er nicht verzichten wollen. Der Umsatz hier vor Ort mache jedoch nur zwei Prozent des Geschäfts aus. Man soll zwar mal reinkommen dürfen, aber dann bitte von zu Hause bestellen und liefern lassen. 2017 gründete Hussain die Vertical Food GmbH, eine digitale Restaurantkette, die unterschiedliche Food-Marken versammelt, Fresh's für Bowls, Salate und Wraps, Spagettini für Pastagerichte, Spyces für mediterrane Speisen und die bislang stärkste Marke: Vadolì, Spezialität Pizza.

Hussain sagt: "Die meisten Restaurants, von denen Essen bestellt wird, sind immer noch Restaurants, die sich auf die Zubereitung von Speisen spezialisieren, die vor Ort konsumiert werden sollen." Es sei doch so: Die Essensbestellungen sind weitgehend digitalisiert, es gibt alle nötigen Plattformen und Algorithmen. Was aber besser sein könnte, sei der Produktionsbereich, also das Essen selbst. Ein Pastagericht ist oft nicht dafür gemacht, lange durch die Stadt gefahren zu werden. Es verliert dabei an Qualität. Beschir Hussain fragt: "Was kann ein digitaler Marktplatz dafür, wenn Essen von Partnerrestaurants erst nach 75 Minuten ankommt und den Kunden dann nicht schmeckt?"

Hier wollte er ansetzen. Seine Stores müssten an Standorten mit einer großen Reichweite liegen und möglichst viele Menschen auf sich aufmerksam machen, die Lieferungen müssten schneller sein und die Qualität besser, befindet Hussain. Also ließ er den Pizzaweltmeister aus Neapel einfliegen. Sie tüftelten ein paar Tage am idealen Teig und probierten für den Transport Taschen mit wärmezuführenden Induktionsplatten aus, damit die Pizza nicht lauwarm und labberig ankommt. Die Pasta der Marke Spagettini werde im Store exakt so lange gekocht, dass sie auf dem Weg zum Kunden weitergaren kann und erst am Ziel al dente ist. Dafür muss jeder Schritt perfekt getimt werden. Die Software dazu und das Kassen- und Bestellsystem entwickelt Vertical Food über eine Tochtergesellschaft selbst.

Die Bestellungen brachten Beschir Hussain Daten, und die Daten zeigten: Pizza wird abends gegessen, eher von Männern und oft geteilt, etwa zu Events. Wenn Sport im Fernsehen kommt oder so. Und sie zeigten: Pizza allein reicht nicht, erst ein Ansatz mit mehreren, komplementär aufgestellten Marken bringt über den ganzen Tag verteilt mehr Bestellungen und höhere Margen. Was unterschiede Vadolì sonst von Domino's Pizza, Smiley's und all den anderen Pizzalieferdiensten, die es längst gibt? Hussain entwickelte andere Marken. Noch im selben Jahr Fresh's, eine Marke für Bowls und Salate, eher für Frauen und für mittags, und dann eine für mediterrane Speisen wie Taboulé und Couscous, für mittags und abends.

Mit den richtigen Daten und der Flexibilität einer Ghost Kitchen lassen sich leicht Standorte erschließen, ohne ein Restaurant zu eröffnen. Zum Beispiel: Welche Gerichte laufen an einem kühlen, regnerischen Dienstag zwischen zwölf und 14 Uhr wo und wie gut? Die Antwort: Pasta in Charlottenburg! "Das bringt unglaublich viel", sagt Hussain, "wenn wir mit unserer Plattform einen neuen Standort erschließen, öffnen in der Nachbarschaft über Nacht 15 digitale Restaurants." Die Gerichte können dann entsprechend vermarktet werden. Zum Beispiel über Facebook und Instagram, wo jede Marke von Vertical Food einen eigenen Account bekommt.

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