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US-Wahl in Wien: Ein Ergebnis, mit dem niemand rechnen wollte

Marco Verch Follow Rockefeller Center during Election Night / http://foto.wuestenigel.com

Washington/Wien (APA) - Schon von der Ferne leuchten die Standlichter der Polizeiautos, die vor dem „Wien Museum" Spalier stehen. Dort hat die US-Botschaft am Dienstagabend zur Wahlnacht geladen. Die aktuelle Ausstellung „Sex in Wien" mit ihren skurrilen Exponaten musste weichen, stattdessen säumen nun die Fahnen der US-Bundesstaaten die Ausstellungshalle, in der sich Auslandsamerikaner und Österreicher tummeln.

In der Mitte der Halle auf einem Podium ist eine Wahlbox aufgestellt. Jeder der Gäste kann dort seine Stimme abgeben. Kurz vor 01:00 Uhr und bevor es ernst wird, wird die hauseigene Wahl entschieden. Sie geht zugunsten der Demokratin aus: Hillary Clinton erreicht 64 Prozent. Viele der Gäste jubeln. Optimismus liegt in der Luft. „Ich glaube, dass Clinton gewinnen und die Politik von Obama fortführen wird. Das wird Fortschritt beim Freihandel bringen aber auch zu einer offeneren Gesellschaft führen", sagt ein junger Mann, der in der amerikanischen Botschaft gearbeitet hat.

Es ist kurz vor 01.00 Uhr. Vor der großen Leinwand im Hauptsaal hat sich eine Menschentraube gebildet. CNN berichtet live. Schlagworte wie „Key Race Alert" und „too early to call" prasseln untermalt von Soundeffekten, die einer amerikanischen Footballshow entstammen könnten, auf die Zuschauer nieder. Manchen der Gäste sieht man sofort an, für welchen Kandidaten sie heute zittern werden: an der Farbe ihrer Kleidung oder an den Buttons, die sie auf ihrer Brust tragen. Spätestens als die Auswertung des ersten Bundesstaats verkündet wird, zeichnet sich an den Blicken, den Gesten ab, dass hier vorwiegend Clinton-Anhänger versammelt sind.

Es ist 01.00 Uhr. Wummernder Bass übertönt die Stimme der Moderatoren. Im Halb-Stundentakt wird das Murmeln durchbrochen und ein weiteres Ergebnis verkündet. Die Stimme des Moderators überschlägt sich, denn die Auszählung in Florida beginnt und damit einer der sogenannten „Swing States", ein Bundesstaat, dessen Wahlausgang nicht vorhersehbar ist, der aber viele Wahlmänner vereint. Clinton liegt zunächst vorne, doch je später der Abend umso häufiger färben sich die Bundesstaaten rot ein. Rot steht für den Republikaner Trump, Clinton hat in den blau gekennzeichneten States die Nase voran.

Als die Türen des Wien Museums um 02.00 Uhr schließen, ist noch lange kein Endergebnis in Sicht. Die Swing States fielen nicht, wie viele erwartet haben, auf Clinton. Wer noch an einen Sieg für die Demokratin glaubt, zieht weiter ins „Golden Harp". In dem irischen Pub im dritten Bezirk hat sich „Democrats Abroad", die Organisation für US-Demokraten im Ausland, eingemietet. Statt schicken Abendkleid und Krawatte wird hier Rollkragenpulli und Jeans getragen.

Bier strömt aus den Zapfsäulen, schwere Krüge werden über die Theke geschoben. Auch hier läuft CNN auf der großen Leinwand im Untergeschoß, das berstend voll ist. Eine Frau hält ein Poster in der Hand. Darauf eine Illustration von Hillary Clinton, darüber der Schriftzug „Mrs President".

Je später der Abend, umso mehr dominiert das Rot die US-amerikanische Karte. Damit haben hier viele nicht gerechnet. „We have to go, it's too depressing", verabschiedet sich eine junge Frau von ihren Freunden. „It's so sad" schließt sich ihr Begleiter an. Ein Mann, der seine Trauer in Alkohol ertrunken hat, torkelt aus dem Lokal.

„Wir sind extra hergekommen, natürlich bleiben wir jetzt bis zum Schluss", sagt eine Gruppe aus New York. Die Gesichter sind müde, doch die Hoffnung stirbt zuletzt. Hörbar. Jedes Mal wenn dann doch noch ein Staat an Hillary Clinton geht, bricht wieder Jubel aus.

Doch nicht nur Hoffnung gibt es, auch viel Angst. „Ich bin nervös, Trump führt in mehreren Bundesstaaten, bei dem ich ihn nicht gesehen hätte", sagt eine junge Studentin. Braune lange Haare, gequältes Lächeln. In ihrem Gesicht zeichnet sich Müdigkeit ab. Sie kommt aus Alabama, einem traditionell republikanischen Bundesstaat. „Die ältere Generation, meine Eltern und Großeltern, alle haben sich für Trump ausgesprochen", sagt sie. In den ländlichen Bundesstaaten war das Thema Migration entscheidend, ist die junge Demokratin überzeugt. „Es macht mir Angst, daran zu denken, dass Trump vielleicht Präsident wird", sagt sie „Ich bin müde, ich muss morgen in die Arbeit, aber ich halte noch durch bis zum Schluss und hoffe auf das Beste."

So wie ihr, geht es auch der Gruppe einen Tisch weiter. „Ich habe noch Hoffnung. Die Dinge haben sich verändert. Ich habe gerade so viele Gefühle, auch Kritik für die demokratische Partei, die Umfragen ignoriert hat, laut denen Bernie Sanders die bessere Wahl gewesen wäre", sagt ein junger Mann aus New York. Auf seiner Anzugjacke heftet ein Bernie Sanders-Button. „Ich sollte wohl Hoffnung haben, aber ich habe wirklich, wirklich Angst", sagt sein Freund, der aus Massachusetts kommt und in eine schwarze Zukunft mit Trump blickt: „Trump wird uns den Krieg bringen, er ist sexistisch, er repräsentiert nicht das Amerika, das ich kenne. Ich habe Angst davor, was er mit der muslimischen oder mexikanischen Community macht."

Warum Trump so erfolgreich ist? Dafür finden die jungen Männer viele Gründe. Trump bediene Ängste und er finde Schuldenböcke. Außerdem spräche er diejenigen an, die mit dem bisherigen politischen System unzufrieden sind. Und Clinton verkörpere dieses System, auch wegen der Präsidentschaft ihres Mannes Bill. Eine Frau am Nebentisch hackt ein: „Trump macht viele Versprechungen. Er will eine Mauer vor Mexiko bauen und neue Jobs schaffen und die Menschen glauben ihm. Ich bin New Yorkerin, aber ich studiere in Wien. Ich weiß, dass Trump seine Versprechen nicht halten kann." Aber die Menschen in den ländlichen Gebieten, weiß sie, hätten diesen Zugang zur Bildung nicht.

Es ist 06:00 früh. Amerika hat sich entschieden, für den Unternehmer Donald Trump. Dass die Nacht so lang wird, dachte niemand im Golden Harp. Ein paar hoffnungsvolle Seelen harren noch aus vor der Leinwand im unteren Stock, ihre Gesichter sind fassungslos und müde. Die Bar schenkt seit zwei Stunden nichts mehr aus und das Personal hängt die Wahlposter ab. Ein Clinton-Poster liegt zerknüllt auf dem schmutzigen Boden. Von der Hoffnung ist nun fast nichts mehr übrig.

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