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Interview

Jazz-Flöte - Jamie Baum

Die New Yorker Musikerin Jamie Baum ist eine der renommiertesten Flötistinnen im Jazz. 2019 besteht ihr Septett, inzwischen Septett plus, seit 20 Jahren. Mit sonic sprach sie übers Komponieren, ihre stilistisch vielfältige Inspiration, die Besonderheiten von Altus-Flöten, und ihren Improvisations-Workshop für klassische Musiker.


Christina M. Bauer


sonic: Wie hast du dich für die Flöte entschieden?

Jamie Baum: Es war nicht mein erstes Instrument, ich habe mit dem Flöte spielen relativ spät begonnen. Ich hatte relativ früh mit dem Klavier spielen angefangen, mit drei oder vier Jahren, weil meine Mutter Klavierlehrerin war. Aber das war nur eines von vielen Dingen, die ich in diesem Alter gemacht habe. In der High School probierte ich die Flöte aus, zuerst nur zum Spaß. Ich wollte etwas mobiles, das ich zum Strand mitnehmen oder in der Marching Band spielen könnte. Dann nahm ich Unterricht, und es machte mir Spaß, verschiedene Musik auf der Flöte zu spielen, Klassik, Rock, oder Jazz, was auch immer. Als ich ans College ging, beschäftigte ich mich dann mehr mit dem Instrument.

sonic: Wie hast du den Jazz für dich entdeckt?

Jamie Baum: Meine Eltern nahmen mich als Kind zu allen möglichen klassischen und Jazzkonzerten mit. So bekam ich in sehr jungen Jahren die Gelegenheit, Duke Ellington, Ella Fitzgerald, Louis Armstrong, Dizzy Gillespie und einige andere Ikonen zu hören. Ich habe Jazz immer geliebt. Aber ich liebte auch Klassik, und verschiedene andere Musikstile. Meine älteren Brüder hörten damals Aufnahmen von Miles Davis und John Coltrane. Mein Flötenlehrer an der High School unterrichtete mich zwar in klassischer Flötentechnik, aber er stellte mir verschiedene Flötisten vor, wie Eric Dolphy, Roland Kirk und Herbie Mann. Ich hatte dann Glück, dass ich am Konservatorium in das Programm Third Stream kam. Zu der Zeit war ich noch nicht auf dem Niveau, dass ich als klassische oder als Jazzflötistin akzeptiert worden wäre. Third Stream basierte mehr auf der Fähigkeit, gute Ohren zu haben. Ich musste dafür zuerst einige Stücke von Aufnahmen lernen und nachsingen. Die Teilnehmer konnten dort Klassik, Jazz und andere Richtungen lernen. Gunther Schuller und Ran Blake leiteten das. Nach einem Jahr in dem Programm war mir klar, dass ich Jazz studieren wollte. Ich arbeitete hart und wechselte in die Jazzabteilung. Dort machte ich meinen Abschluss in Jazzflöte und Jazzkomposition. Dann zog ich nach New York, und absolvierte an der Manhattan School of Music meinen Master in Jazzkomposition.

sonic: Dort unterrichtest du seit einiger Zeit.

Jamie Baum: Ich bin dort an der Fakultät. Großenteils gebe ich Einzelunterricht und biete Coaching für Ensembles an.

sonic: Du schreibst teilweise sehr komplexe Musik, dafür waren die Kompositionsstudien wahrscheinlich hilfreich.

Jamie Baum: Ich würde sagen, das war hilfreich als Flötistin. Als ich in den 1990ern nach New York ging, dauerte es einige Zeit, bis ich mich als Jazzmusikerin etablieren konnte. Für einige Jahre spielte ich viele funktionale Auftritte, wie Parties oder Unternehmensfeiern. Dort trat ich viel mit klassischen Gruppen auf, Flöte mit Harfe und Cello, Flötenquartett, oder Ensemble mit Streichern. Das war viel Barockmusik, Bach, solche Dinge. Auch dadurch lernte ich viel über das Komponieren für verschiedene Instrumente. 1999 startete ich das Septett.

sonic: Es besteht jetzt seit fast 20 Jahren.

Jamie Baum: Genau. Das neueste Album „Bridges“ ist das vierte in dieser Band. Ich schreibe seit fast 20 Jahren für diese Besetzung, dadurch habe ich viel gelernt.

sonic: Die Musik reflektiert sehr unterschiedliche musikalische Einflüsse.

Jamie Baum: In den ersten zehn Jahren hatte die Musik vor allem viele Einflüsse klassischer Komponisten. Das erste Repertoire verarbeitete Elemente von Strawinsky und Bartók. Ich studierte Stücke dieser Komponisten und integrierte einige ihrer Techniken in meine Kompositionen. Das zweite Repertoire wurde beauftragt von Chamber Music America. Sie wollten Musik mit Einflüssen von Charles Ives. Ab 2010 integrierte ich dann viele Inspirationen, die ich auf Reisen und Tourneen in Südasien gesammelt hatte.

sonic: In deiner Band hast du klassische Musiker dabei, etwa Chris Komer am Horn.

Jamie Baum: Er ist ein sehr talentierter Musiker. Er spielt im New Jersey Symphony Orchestra, und war vor vielen Jahren mit Leonard Bernstein auf Tour. Über die Jahre hat er viele Musikstile gespielt, und bringt diesen Aspekt mit ein. Alle Musiker bringen sehr interessante Hintergründe in die Band mit, die zum Gesamtklang beitragen.

sonic: Du warst mit deinen Ensembles viel auf Reisen und hast in den verschiedenen Musikkulturen einige Inspiration gefunden.

Jamie Baum: Ich habe mit mehreren Bands gespielt, die diese unterschiedlichen Einflüsse reflektieren. Das Septett, inzwischen Septett plus, war dabei immer so etwas wie meine Muse, wenn es ums Komponieren geht. Für mich ist das ein Ort, um als Komponistin verschiedene Dinge zu probieren. Daher feature ich mich in diesem Ensemble nicht bei jedem Stück selbst. Das sehe ich mehr als kompositorische Gesamtheit. Ein Repertoire beginnt meist damit, dass ich bemerke, dass mich etwas musikalisch besonders interessiert. Dann versuche ich herauszufinden, was das ist, und ob ich etwas davon in meine Stücke einbauen kann. In meinem Trio mit Jerome Harris und Kenny Wessel war ich schon 2002 in Südasien auf Tournee. Es war eine Jazz Ambassador Tour, gesponsert vom State Department. Wir reisten durch Indien, und ich lernte die Musik von Nusrat Fateh Ali Khan, und von anderen Musikern, kennen. Danach war ich einige Male in Nepal, um auf dem Jazzmandu Festival aufzutreten. Ich spielte mit verschiedenen Künstlern, eine Band von dort kam für Auftritte nach New York. Sie spielten nepalesische Musik, vermischt mit Modern Jazz. Das begleitete mich etwa über zehn Jahre. Ich dachte darüber nach, was mich an dieser Musik anzog, und wie ich etwas davon in meine Kompositionen einbauen könnte. Ich diskutierte mit dem Trompeter Amir ElSaffar, der Maqam und östliche Musik studiert hat, und mit vielen anderen Musikern. Es stellte sich heraus, dass viel von dieser Musik der traditionellen jüdischen Musik ähnelt, mit der ich aufgewachsen bin. Als ich 2014 ein Guggenheim Stipendium bekam, konnte ich mich damit genauer beschäftigen. Dann ereignete sich 2015 das Erdbeben in Nepal. Das war für mich sehr bedeutsam. Das Rubin Museum beauftragte mich damit, darüber die Shiva Suite zu schreiben. Ich fand heraus, dass es zwischen dem neunten und dreizehnten Jahrhundert viele Kontakte zwischen Sufi und jüdischen Gelehrten gab. Manche von ihnen teilten ihre Musik, ihre Gesänge und Gebete. Einige Leute denken, dass viel von der Musik des Mittleren Ostens zuerst aus Südasien kam.

sonic: Gibt es neue Länder, oder Kulturen, die du dir derzeit erschließt?

Jamie Baum: Ich weiß noch nicht, was mein nächster Schritt sein wird. Es ist eine Herausforderung, mit einer solchen Band international auf Tournee zu gehen. Dadurch, dass wir so viele Konzerte nacheinander spielen konnten, konnten sich die Stücke weiterentwickeln. Es war toll, das mit dem Publikum teilen zu können.

Sonic: Das klingt, als hättet ihr deine Kompositionen in einem etwas anderen Zustand wieder mit in die USA gebracht, als ihr sie vorher nach Europa mitgenommen hattet.

Jamie Baum: Absolut, und das ist etwas, das ich immer hoffe. Ich versuche, so zu komponieren, dass die Musiker in der Band Möglichkeiten haben, sich individuell auszudrücken. Sie sollen den Raum haben, Ideen zu erweitern, auch wenn ich bestimmte Vorstellungen von den Kompositionen habe.

sonic: Hast du jemals etwas von deiner Musik mit einem Orchester gespielt?

Jamie Baum: Leute haben mich darauf angesprochen. Beim Monterey Jazz Festival meinte jemand, die Shiva Suite müsste mit Orchester gespielt werden.

sonic: Sie klingt so.

Jamie Baum: Das würde ich wirklich gern machen, wenn mich jemand beauftragen möchte. Das braucht etwas Zeit und Ressourcen. Einige meiner Kompositionen habe ich für Bigband arrangiert, und teilweise haben andere das gemacht. Das wurde vor zwei Jahren beim Guimaraes Jazzfestival in Portugal zum ersten Mal gespielt, wo wir zu der Zeit Artists in Residence waren. Leute haben mich immer wieder gefragt, ob ich etwas von meiner Musik für Bigband arrangiere. Für mich ist es oft eine Entscheidung, ob ich das mache, oder neue Stücke schreibe.

sonic: Wie hast du die Altus Flöten entdeckt, die du spielst?

Jamie Baum: Das ist lange Zeit her, ich spiele sie seit vielen Jahren. Als 1993 mein erstes Album herauskam, hatte ich eine Altflöte mit einem geraden Kopfteil. Ich bin relativ klein, und daher machte mir das einige Schwierigkeiten mit meinem Hals und den Händen. Altus war das erste Unternehmen, das eine Altflöte mit einem gebogenen Kopfstück anbot. Ich wollte so eine, weil das für mich viel besser funktionierte. Ich fragte die Firma, ob sie mir ein Endorsement und eine ihrer Flöte anbieten würden. Sie meinten, ich solle für sie eine Clinic machen. Seitdem biete ich die Clinic „A fear free approach to improvisation for the classical trained flutist“ an - und habe einige ihrer Flöten. Es ist auch eine Bassflöte dabei. Aber heutzutage ist Reisen so schwierig geworden, dass ich sie nicht auf Tour mitnehmen kann. Es besteht immer die Sorge, ob ich mit einer großen Instrumententasche ins Flugzeug darf.

sonic: Wie viele Flöten hast du jetzt von dem Unternehmen?

Jamie Baum: Ich habe eine C-Flöte, eine Altflöte, eine Flute d’Amore, und eine Bassflöte. 

sonic: Spielst du die alle?

Jamie Baum: Ich spiele alle, aber meistens die Sopran- und die Altflöte.

sonic: Gibt es bestimmte Mikrofone, die du bevorzugst?

Jamie Baum: Ich bringe meine eigenen Mikrofone mit. Meist verwende ich Sony Lavalier Mikrofone, die ich direkt an der Flöte anbringen kann.

sonic: Konntest du mit deiner Clinic schon viele klassisch ausgebildete Musiker davon überzeugen, dass sie auch improvisieren können?

Jamie Baum: Absolut, das ist ein sehr belohnender Workshop. Ich habe selbst klassische Musik gerlernt, und viel Klassisches gespielt. Das macht mir immer noch Spaß. Aber ich habe schon als Kind viel andere Musik gespielt. Ich habe nie diese Einteilung in Stile wahrgenommen, für mich war das alles einfach Musik. Aber ich verstehe die Hürden, mit denen viele klassische Musiker sich konfrontiert sehen, wenn sie improvisieren wollen. Vieles von ihrer Angst kommt daher, wie Musik in der westlichen Kultur unterrichtet wird. Das ist sehr visuell. Es geht darum, Musik zu lesen. Es geht wenig darum, sie nach Gehör zu lernen, nach Gehör zu spielen, oder zu improvisieren. Je länger Musiker so lernen, desto besser werden sie darin, Musik zu lesen. Aber sie bekommen zugleich mehr Angst, ihren Ohren zu vertrauen. Sie haben Sorge, dass sie Fehler machen, dass sie womöglich nicht gut klingen. Sie denken, Improvisieren, oder nach Gehör spielen, das wäre ein bestimmtes Talent. Aber das ist es nicht, es ist eine gelernte Fähigkeit. Jazzmusiker arbeiten daran sehr hart über Jahre. All die improvisierenden Musiker aus anderen Kulturen, sei es aus Indien, oder Afrika, verbringen Jahre oder ihr ganzes Leben damit, das zu üben. Das wird oft nicht unterrichtet, oder sogar entmutigt, weil Lehrer es nicht können. So entsteht dieser Mythos, klassische Musiker könnten nicht improvisieren. Meine ganze Clinic besteht vor allem darin, diesen Mythos zu beenden, und den Musikern Beispiele zu zeigen. Dann können sie anfangen, an der Improvisation zu arbeiten. Viele Teilnehmer haben daran Gefallen gefunden.


www.jamiebaum.com