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Sprühend souverän


Saxofonistin Lakecia Benjamin weiß, wie man Schwung in einen Club bringt – mit soulig-funkig-jazzigen Songs, Spontaneität und sprühender Energie. Ihr Powersound am Altsaxofon war schon in den Bands von Clark Terry, Reggie Workman, Alicia Keys und Stevie Wonder zu hören. Vier Jahre nach ihrem Debut als Leader mit der Band SoulSquad veröffentlicht die New Yorkerin nun auf „March On“ neue Songs aus eigener Feder.

 

Lakecia Benjamin spielt ihr Saxofon so geradeheraus, wie sie bisweilen ihre Meinung sagt. Steht sie auf der Bühne und stellt sich den Sound anders vor, bräuchte die sportliche Musikerin mit den langen, schmal geflochtenen Haarsträhnen und den dunklen Augen genau genommen nicht mal sprechen - das tut schon ihr Blick. Sie nutzt an einem sonnigen Nachmittag im Mai ein Zeitfenster gleich nach ihrer Ankunft in München für ein Interview. Durch den Jazzclub, wo die Band gerade mit dem Soundcheck für das spätere Konzert anfängt, driften lose Pianoakkorde und Songlinien. Schon 2012 brachte Benjamin mit ihrer Gruppe SoulSquad ihr Debut heraus, das unter dem Titel „Retox“ bei Motéma Music erschien. Den Großteil der Songs schrieb sie selbst, am Piano, bisweilen auch per Kompositionssoftware. Ihr Saxofonspiel verknüpft sie gern mit Gesangslinien, um Instrumental- und Vokalmusik zusammenzubringen, „das beste aus beiden Welten“, wie sie sagt. Für ausdrucksstarke Sängerinnen hat die Bandleaderin ein gutes Händchen. So waren schon Krystle Warren, Chinah Blac und Charenée Wade mit dabei. Was herauskommt, ist angejazzter Soul, popdurchsetzter Funk, R’n’B, sanfte Balladen - auf jeden Fall gruppiert um eine souveräne Altsaxofonistin mit markantem, rauhen bis samtigen Ton. Bei Auftritten sprüht sie regelrecht vor Energie, transferiert diese manchmal gleich noch in eine Tanzchoregrafie. Es erstaunt nicht, wenn sie feststellt: „Ich langweile mich schnell. Deswegen spiele ich gern viele unterschiedliche Musikstile.“

Die bisherige Riege ihrer Kooperationen als Saxofonistin, und als Arrangeurin, passt dazu. Sie arbeitete schon mit Alicia Keys, Macy Gray und Stevie Wonder, gleichermaßen mit den Jazzern Clark Terry und Reggie Workman. „So bleibe ich nicht in einer bestimmten, kleinen Schublade hängen, und kann ein hohes Level an Kreativität aufrechterhalten.“ Maceo Parker, einem ihrer Vorbilder, widmete sie einen Song. In den packte sie, auf Parkers Kritik an ihrem rasanten Spiel hin, so viele enorme Intervallsprünge und temporeiche Lines wie möglich. Ihr erster Auftritt mit Stevie Wonder war eine Spontanaktion. Von der Bühne der Feier zu Barack Obamas Präsidentschaftsbeginn ließ sie sich mit einigen Mitstreitern direkt zum Konzert des Sängers lotsen, wo sie aus dem Stand den kompletten Auftritt mitspielten. Auch auf einem Song des Soundtracks zu „Miles Ahead“ von Don Cheadle ist ihr Saxofon zusammen mit Wonder zu hören. Seit etwa 15 Jahren spielt sie ein Selmer Super Action 80. Sie wählte dazu ein Klassik-Mundstück von Vandoren. An dem, so die Musikerin, kann sie den Sound, anders als bei den Jazzpendants, vollständig selbst gestalten. Ihre Blätter sind Java Filed Red-Cut Reeds der Stärke 3 ½, ebenfalls von Vandoren. Bei Konzerten redet die Saxofonistin gern mit ihren Zuhörern, animiert sie zum Mitklatschen und Tanzen. Hat sie gerade einen Tourfahrer dabei, der zufällig Gitarre spielt, holt sie ihn für einen Song mit auf die Bühne. Indes soll die Musik ihres nächsten Albums etwas reflektierter sein. Immerhin fließen vier Jahre musikalische und persönliche Weiterentwicklung ein. Ein Hauch Folk und Country, ein Quentchen Hip Hop, etwas mehr Reflexion über ihre Erfahrungen, ein bisschen weniger Partypower. Das titelgebende Stück hat sie dem Durchhalten, Aufstehen und Weitermachen im Leben gewidmet, es heißt „March On“. Am Weiterfeiern hindert sie das aber nicht, denn: „Ich habe immer noch gern eine gute Zeit.“

Im Gegensatz zu vielen anderen Jazzern hatte Benjamin nie einen Grund, aus ihrer Geburtsstadt wegzuziehen. Sie ist gebürtige New Yorkerin, wuchs bei Eltern und Großmutter in Washington Heights auf. Von dort aus musste sie nur noch die inneren Stadtviertel für sich entdecken. Erste Stücke schrieb sie schon früh, improvisierte als 12-jährige am Saxofon zu eigenen Pianoeinspielungen. Das nahm sie zugleich gern mal als Gelegenheit wahr, den Schulunterricht zu schwänzen – sozusagen zugunsten höherer Ziele. Ihr war früh klar, dass es ihr um weit mehr ging, als darum, ihr Instrument zu beherrschen. „Ich wollte nicht nur Saxofonistin sein, sondern Musikerin.“ Von Vorschriften hielt sie indes nichts. Als ihr damaliger Saxofonlehrer sie dazu bringen wollte, vom Alt- zum Tenorsaxofon zu wechseln, ging sie einfach nicht mehr zum Unterricht. Deswegen das Saxofon aufgeben? Nicht doch. Sie übte zu Hause weiter, am Alt. Bisweilen tat sie das exzessiv, bis zu 14, 15 Stunden am Tag. Freunde sorgten schließlich dafür, dass der Lehrer sie zwei Jahre später zu einem Vorspielen einlud. Er wunderte sich zuerst, was sie alles nur anhand von Lehrbüchern gelernt hatte. Dann ließ er sie in der Band seines After-School-Programms mitspielen, samt regelmäßiger Konzerte.

Inzwischen spielt Benjamin bei Bedarf auch Sopran- und Tenorsaxofon, sowie im Wesentlichen alle anderen Holzblasinstrumente, außer der Oboe. Das Alt blieb aber immer ihr Hauptinstrument. Sie ist bis heute in gutem Kontakt mit dem damaligen Lehrer, der auch schon viel mit Ron Carter arbeitete. So gehört inzwischen auch der renommierte Bassist zu ihrem näheren Umfeld und gibt ihr schon mal bei einem Kaffee den ein oder anderen Karrieretip. Während ihre Eltern irgendwann wieder in den Süden der USA zogen, blieb Tochter Lakecia, studierte an der New School. Seit jeher ihr großes Idol: John Coltrane. Nicht nur wegen seiner starken Saxofonstimme und der innovativen Ideen. Auch sein Lebensweg faszinierte Benjamin schon als Jugendliche. „Dieser Kerl, der anfangs gerade mal zwei, drei Noten mittelmäßig spielen konnte, wurde die größte Saxofonlegende.“ Später freundete sie sich mit Coltranes Frau Alice an, einer Pianistin, und mit ihrem Sohn Ravi, ebenfalls Saxofonist. Seit einigen Jahren unterrichtet sie nun bei Jazz at Lincoln Center Saxofon, Jazzgeschichte und Improvisation. „Viele der Schüler sind aus meinem Viertel. So habe ich das Gefühl, etwas zurückzugeben.“ Ihr Lieblings-Livemusikclub ist Le Poisson Rouge, unter anderem mit viel jungem Publikum, wo sie auch selbst schon auftrat. Dass in New York alle nur vom LPR reden, ist leicht erklärt: „Wir haben gar nicht die Zeit, den vollständigen Namen auszusprechen.“