In Kandel starb die 15-jährige Mia. Seitdem kommt der Ort nicht zur Ruhe.
Der Kreisel am nördlichen Ortseingang zu Kandel ist der Demarkationspunkt: Auf der einen Seite stehen linke Demonstranten und Antifa-Anhänger, sie versammeln sich für Weltoffenheit und Integration von Geflüchteten. Auf der anderen Seite, am Rande der Bundestraße, haben sich AfD-Sympathisanten und Asylkritiker zusammengefunden, die Plakate gegen eine vermeintliche Überfremdung in die Luft halten. „Es ist gruselig und schrecklich zu sehen, wie Deutschland sich teilt“, Nicole Kraus steht mit ihrer Familie im Vorgarten und betrachtet skeptisch, wie mehr und mehr Leute aus allen Richtungen zum Kreisel strömen. „Die sollten sich lieber an einen Tisch setzten und miteinander reden“, sagt sie. Der Grund für die Aufmärsche ist der Mord an der 15-jährigen Mia Ende Dezember: Sie wurde mutmaßlich von ihrem afghanischen Ex-Freund erstochen, nachdem sie sich von ihm getrennt hatte.
Seitdem ist Kandel für Asylkritiker zum Synonym einer angeblich gescheiterten Flüchtlingspolitik geworden. Die Gegenseite hingegen sagt, dass die Beziehungstat genauso gut auch von einem Deutschen hätte verübt werden können. Nicole Kraus möchte sich auf keine der beiden Seiten stellen: „So eine Tat passiert in Deutschland millionenfach. Aber ich habe meine Tochter gewarnt, sich einen muslimischen Freund zu suchen. Was sie dann macht, ist ihre Entscheidung.“
Das sehen Susanne Nicolai und Susanne Hausmann ganz anders. Sie sind Teil der Gruppe „Mütter gegen Gewalt“ und laufen bei „Kandel ist überall“ mit: „Die da drüben sind bekloppt, armselige Geister“, sagen sie und zeigen auf die Demonstration gegenüber. „Wenn das meine Kinder wären, würde ich denen ordentlich in den Hintern treten.“ Ihrer Meinung nach gehört der muslimische Glauben nicht zur Deutschland und würde Gewalt verbreiten: „Es gibt so viele Kulturen hier in Deutschland, die friedlich miteinander leben. Aber die Muslime, die können sich nicht integrieren.“
Eine Gegendemonstrantin aus Kandel ist da anderer Ansicht. Ihren Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen, da sie schon Morddrohungen erhalten habe, wie sie sagt: „Die Leute der anderen Demo, das sind Rassisten, das muss man ganz klar sagen. Und ich gehe auf die Straße, um gegen Rassismus zu kämpfen.“ Sie ärgert, dass der Mord an dem Mädchen stark politisiert werde und so Ängste geschürt würden: „Die Kandler wollen eigentlich nur noch, dass es vorbei geht mit den ganzen Aktionen hier.“
So wie Helga Gensheimer. Sie steht auf einer Verkehrsinsel am Kandler Kreisel. Ein paar Meter links und rechts von ihr ziehen gerade die beiden Demonstrationszüge los auf die Route quer durch die Stadt. Beide Lager stehen nur weniger Meter auseinander und werfen sich gegenseitig Parolen an den Kopf. Gensheimer wohnt seit mehr als 40 Jahren in Kandel, so viel Trubel wie in den letzten Wochen hat sie aber noch nie erlebt: „So langsam ist jetzt mal gut. Das hat mit dem Mädchen ja gar nichts mehr zu tun.“ Gensheimer hat das Gefühl, dass sich Kandel in den letzten zwei Monaten seit der Tat verändert hat: „Es stehen jetzt immer Leute mit Schildern vor dem Rathaus, die den Rücktritt des Bürgermeisters fordern. Aber der kann daran doch gar nichts ändern!“ Viele im Ort stünden aber weiter geschlossen hinter dem SPD-Politiker.
An diesem Samstag ist das anders. Da sind die Leute, die sich gegen eine offene Asylpolitik wenden, deutlich in der Überzahl: Geschätzt 3000 Kritiker der Flüchtlingspolitik haben sich versammelt, die Gegenseite kommt auf knapp 1000 Demonstranten. Für die Polizei eine Herausforderung: „Wir haben auch noch weitere Veranstaltungen hier im Ort, das macht es für uns kompliziert“, sagt Polizeisprecher Sebastian Burkhard. Insgesamt eine mittlere dreistellige Anzahl an Polizisten ist im Einsatz, um eine direkte Konfrontation der Lager zu verhindern. Kurz vor Ende der Kundgebung „Kandel ist überall“, als sich die Demonstration der Linken schon lange aufgelöst hat, ziehen die Beamten ein positives Fazit: Vereinzelt kam es zu kleineren Wortgefechten oder Flaschenwürfen, ansonsten blieb es friedlich. Wie auch bei zwei weiteren Kundgebungen: Die Initiative „Wir sind Kandel“ ließ als Zeichen für den Frieden weiße Luftballons in den Himmel steigen, die lautstarke Kundgebung einer Frauengruppierung ging in „Kandel ist überall“ auf.
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