1 abonnement et 1 abonné(e)
Article

„Bei Ford in Köln bangen viele um ihre Zukunft"

Ford-Jugendvertreter Deniz Glatzel: „Was wird aus uns?“ (Foto: Charleen Florijn / Orange)

Ford macht Verluste in Europa und will Tausende Stellen streichen. In Köln steht die europäische Zentrale des amerikanischen Autobauers. Wir blicken hinters Werkstor.


Schon von Weitem türmt sich das Ford-Logo neben den Bahngleisen auf. Dahinter eine blau-graue Festung. Wer hier rein will, muss das schwere Drehkreuz passieren oder durch rot-weiß leuchtende Schranken hindurch. Die Gebäude dahinter wirken heruntergekommen, an manchen Stellen blättert Farbe von den Wänden, Shabby Chic würde man heute wohl dazu sagen. Der Charme des Verkümmernden.


„Bei Ford in Köln bangen viele um ihre Zukunft“

Hier ist Deniz‘ zweites Zuhause. Hier kommt er seit fünf Jahren jeden Tag hin, hält routiniert seinen Ausweis ans Lesegerät und schlüpft durch das eiserne Drehkreuz. Doch seit ein paar Wochen begleitet ihn dabei ein mulmiges Gefühl.


Denn auf der anderen Seite hat sich etwas verändert. Die Stimmung im Werk ist umgeschlagen. Ungewissheit schwebt wie eine düstere Wolke über den Fordwerken im Kölner Norden. Deniz und seine Kollegen warten nur noch darauf, dass sich der aufgestaute Druck in einem Blitz entlädt. Denn Ford ist in die Krise gefahren.


Deniz Glatzel: „Wir wollen wissen, was Sache ist.“ (Foto: Charleen Florijn/ Orange)


In der Nacht auf Donnerstag veröffentlichte der Autobauer die Geschäftszahlen für das letzte Quartal im Jahr 2018. Zwischen Oktober und Dezember machte Ford einen Verlust von 116 Millionen Dollar, im Vorjahreszeitraum lag das Ergebnis noch bei 2,5 Milliarden – im Plus. Ein Grund für die roten Zahlen ist das schwache Europageschäft. Eine Lösung präsentiert Ford in diesem Unternehmensbericht: „Significant reduction in personnel and structural costs“ – auf Deutsch: Mitarbeiter entlassen.


Vor rund zwei Wochen hatte Europachef Steven Armstrong angekündigt, das Geschäft neu aufzustellen und Tausende Jobs zu streichen. Von den rund 50.000 Arbeitsplätzen auf dem Kontinent werde „eine beträchtliche Anzahl“ wegfallen. In Deutschland beschäftigt Ford etwa 24.000 Menschen, den Großteil davon in Köln, wo der US-Konzern seine Europazentrale hat.


Deniz Glatzel arbeitet seit fünf Jahren bei dem Autobauer. Schon während seiner Ausbildung zum Industriemechaniker wählten ihn seine Kollegen zum Vertrauenskörper, das ist sowas wie ein Jahrgangssprecher. Heute ist Deniz freigestellter Jugendvertreter.


„Wer weiß, wie es nach 2022 bei Ford in Deutschland weitergeht“

Freigestellt bedeutet, dass er sich Vollzeit um die Anliegen und Probleme der Auszubildenden kümmert. Er regelt die Übernahme der Azubis, achtet darauf, dass Gesetze und Tarifverträge eingehalten werden – und hat immer ein offenes Ohr. Seit Wochen kommen seine jungen Kollegen mit der immer gleichen Frage zu ihm ins Büro: Was wird aus uns?


Deniz kann dann nur mit den Schultern zucken. Er kann ihnen nichts dazu sagen, was sie jeden Tag in den Medien mitbekommen: dass tausende Menschen wahrscheinlich gehen müssen, dass ihr Werk vielleicht schließt, dass es ihren Arbeitsplatz, so wie er jetzt ist, eventuell nicht mehr geben wird. Davon weiß Deniz offiziell nichts.

Von der Geschäftsführung heißt es lediglich, es werden alle Strukturen überprüft. Konkretere Infos gab es nicht. „Viele bangen um ihre Zukunft. Sie wollen sich später mal ein eigenes Auto kaufen, vielleicht ein Haus. Aber dafür braucht man nun mal einen sicheren Arbeitsplatz. Aber wer weiß, wie es nach 2022 hier aussieht“, sagt Deniz.


Deniz am Arbeitsplatz: „Viele Azubis sind verunsichert wegen der Berichterstattung.“ (Foto: Charleen Florijn/ Orange)


Bis 2022 werde es keine betriebsbedingten Kündigungen geben, das sicherte Ford den Beschäftigten in Köln zu. Betriebsbedingt bedeutet, dass der Kündigungsgrund beim Arbeitgeber liegt, nicht beim Angestellten. Der Arbeitgeber kann etwa Arbeitsplätze abbauen, wenn die Geschäftsführer die Kosten senken wollen. Im Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger sagte der Betriebsratschef Martin Henning aber, diese Vereinbarung sei nicht in Stein gemeißelt. Im schlimmsten Fall könnten also doch schon vorher Leute entlassen werden.


Ford in der Krise: Schuld sind der SUV und Elektroautos

Sahin Uludogan engagiert sich im Betriebsrat. Der 30-Jährige wünscht sich mehr Klarheit von der  Geschäftsführung. „Wir warten täglich auf Informationen. Unsere Kolleginnen und Kollegen sind unruhig, haben Angst und sind sehr verunsichert“, so Sahin. Die Geschäftsführung habe von „Redesign“ und einem „Reset-Knopf“ gesprochen. Was genau sich dahinter verbergen soll, wisse aber niemand.


Aber warum steckt Ford eigentlich in der Krise? Wir haben bei Stefan Bratzel von der Fachhochschule für Wirtschaft in Bergisch Gladbach nachgefragt. Seine Diagnose: Ford hat den Trend hin zum Geländewagen nicht ernst genommen.


Mit dem Kleinwagen-Modell Fiesta lasse sich nun mal nicht so viel Geld verdienen wie mit einem SUV. Da komme es auf eine hohe Stückzahl an, um die Kosten gering zu halten. Da der Fiesta aber beispielsweise nur noch in Europa gefertigt wird und nicht mehr in den USA, steigt der Preis für die Produktion. So bleibt nach dem Verkauf weniger Geld für den Hersteller übrig.

Ford Modelle

Aufsichtsratsvorsitzender Bill Ford (l.) und Chef James Hackett (r.) von Ford: In den USA will der Autobauer nur noch SUVs und Pick-ups bauen. (Foto: Getty Images)


Auch was Elektromobilität angeht, liege Ford laut Automobilexperte Bratzel weit zurück. Ford sei zwar eine starke und etablierte Marke auf dem Markt, komme aber nicht drum herum, jetzt Zukunftsthemen anzugehen. „Die Leute kaufen immer mehr Geländewagen und Elektroautos. Dann muss man das auch anbieten“, sagt Bratzel.


Ein harter Brexit könnte Ford schaden

Wie es mit Ford weitergeht, hänge nun davon ab, wie sich das Unternehmen aufstellt. „Der Autobauer muss jetzt an verschiedenen Stellschrauben drehen, um die Kosten zu senken. Nur so kann das Unternehmen auch weiterhin in Europa bestehen.“


Ausschlaggebend für die Zukunft von Ford dürfte auch der Austritt von Großbritannien aus der EU werden. 30 Prozent seiner Autos verkauft Ford ans Vereinigte Königreich. Ein harter Brexit würde die Kosten schlagartig in die Höhe treiben. Denn dann müsste Ford plötzlich Zölle auf die Waren zahlen, sobald sie die Grenze überqueren. Dieser Aufschlag lässt sich nicht an die Kunden weitergeben, weil sie nicht bereit wären, höhere Preise zu zahlen und zur Konkurrenz wechseln würden.


„Unsere Kolleginnen und Kollegen verfolgen gespannt jede Abstimmung in London. Wir hoffen alle, dass das gut ausgeht“, sagt Deniz.  Doch es gibt auch Hoffnung in den Kölner Ford-Werken. Letzte Woche hatten Ford und VW bekanntgegeben, dass sie in Zukunft zusammenarbeiten werden. „Viele Kolleginnen und Kollegen schauen der Kooperation positiv entgegen“, erklärt Deniz.


Unter den Auszubildenden gehört der „Reset-Knopf“ zum Pausengespräch dazu. „Das betrifft einen schon, man macht sich Sorgen“, erzählt Mecid. Er macht eine Ausbildung zum Elektroniker für Automatisierungstechnik. Ein Job mit Zukunft, sagt er. Trotzdem: Die Gerüchte brodeln und keiner weiß, wohin die Fahrt mit Ford geht.


„Wer eine Ausbildung bei Ford gemacht hat, wird mit Handkuss genommen“

Mecid hofft, dass Ford ihn übernimmt und er weiter bei dem amerikanischen Autobauer arbeiten kann. Hier fühlt er sich wohl, hier kennt er sich aus. Doch selbst wenn er gehen müsste, Zukunftsangst hat Mecid nicht: „Wer bei Ford ausgebildet wurde, wird mit Handkuss genommen auf dem Markt. Da mache ich mir keine Sorgen.“ 


Ford Deutschland

Fertigungsstraße im Ford-Werk in Köln-Niehl: Hier läuft der Ford Fiesta vom Band. (Foto: Imago)


Tim lässt sich von den Gerüchten um den geplanten Jobabbau nicht verrückt machen. Der 20-Jährige macht bei Ford seine Ausbildung zum Industriekaufmann. Eigentlich heißt er anders, möchte aber lieber unerkannt bleiben. „Hier im Unternehmen ist die Stimmung gar nicht so schlimm, wie es in den Medien immer dargestellt wird“, so Tim.


Er hat keine Angst vor möglichen Entlassungen. In der Vergangenheit sei das immer glimpflich abgelaufen. Tim sieht darin auch eine Chance für Ford. „Das Unternehmen stellt sich für die Zukunft auf. Ford baut Hierarchien ab, verkürzt Prozesse. Eine Entscheidung, die früher durch fünf Ebenen musste, geht heute nur noch durch drei.“


Jugendvertreter Deniz stellt sich trotzdem die Frage, warum sich nicht schon früher etwas geändert hat. Die vielen Hierarchieebenen etwa bemängle der Betriebsrat schon seit Jahren. „Aber Ford reagiert natürlich erst, wenn uns das Wasser bis zum Hals steht und es ordentlich Druck aus den USA gibt.“ Dabei wirbt der Autobauer mit dem Slogan: „Immer eine Idee weiter“.

Rétablir l'original