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Frauenbilder: Deutschrapperinnen / F.A.Z Magazin

27. Februar 2020 · Sabrina Setlur erinnert sich an die Anfänge des Deutsch-Rap. Eunique erklärt, warum jeder einzigartig sein kann und Loredana, wie man das Rapperin- und Muttersein unter einen Hut bringt. Mit vier weiteren Rapperinnen haben sie sich für unsere Modestrecke fotografieren lassen.



Loredana
Eines hat Loredana Zefi in den vergan­genen zwei Jahren gelernt: „Zum Mutterwerden gibt es nie den perfekten Zeitpunkt.“ Mit 24 Jahren hat die im Schweizer Kanton Luzern geborene und lebende Rapperin kosovo-albanischer Herkunft beides: beruflichen Erfolg und eine Tochter. Als sie sich mit ihrem Mann, dem albanischen Rapper Mozzik, von dem sie inzwischen getrennt lebt, für ein Kind entschied, arbeitete Loredana gerade mit ihren Produzenten Miksu und Macloud an ersten eigenen Tracks. Davor hatte sie sich mit Lip-Sync-Videos – Songs, die sie mit Lippen­bewegungen nachstellt – einen Namen gemacht. Loredana wuchs in einem katholischen Elternhaus mit zwei Schwestern und sieben Brüdern auf, die ihr als Jugendliche den Umgang mit sozialen Medien verboten. Heute folgen ihr dort 2,5 Millionen Menschen. „Sonnenbrille“, ihr erster Track im Trap- und Cloud-Rap-Stil, erschien im Juni 2018 und wurde ein Überraschungserfolg. Im Dezember kam ihre Tochter Hana zur Welt, zehn Tage später stand sie wieder auf der Bühne. „Ich glaub’, ich bin geboren, um zu gewinnen“, rappt Loredana in „Sonnenbrille“, und 2019 schien sich das zu erfüllen. Auf Deezer war sie die in Deutschland am meisten gestreamte Künstlerin des Jahres. Nebenbei verbringt sie so viel Zeit wie möglich zwischen Windeln und Spielzeug mit ihrer Tochter im ländlichen Emmenbrücke. „Natürlich verpasse ich zu Hause viel, aber ich weiß schon jetzt, dass ich Hana später mal was bieten kann. Ich mache alles nur für sie.“ „King Lori“ hieß ihr erstes Album, das im September 2019 erschien und sofort in den Charts war. Im März geht sie auf Tour, auch auf große Bühnen wie die Lanxess-Arena in Köln. Knappe Kleider sind dabei nicht ihr Ding. „Ich will für meine Mucke gefeiert werden, nicht dafür, dass ich mich ausziehe.“ Sie liebt Oversize, Hoodies, Tracksuits, rappt über Nike, Fendi, Louis Vuitton. Im Hip Hop ist Luxus ja noch Sehnsucht und Verheißung – als käme der Goldregen, rappt man nur oft genug darüber, irgendwann automatisch.



Rola

Eine Girlband mit 15, ein Plattenvertrag mit 16, im Vorprogramm von Superstar Rihanna mit 17 - und den Entschluss, professionelle Musikerin zu werden, fasste sie schon mit zwölf. Rola Mardiros Hinterbichler alias Rola verfolgt ihre Ziele seit langem konsequent. Ihre ersten Auftritte hatte die in Ghana geborene Frankfurterin in einer Kirche. 2005 gründete sie mit zwei Freundinnen Sistanova, die erste weibliche deutsche R&B-Band, die auch auf Deutsch sang. Mittlerweile ist Rola, die nebenbei ein Modelabel betreibt, Solokünstlerin. 2018 erschien ihr Debütalbum „12:12". Musikalisch zwischen Rap, R&B und Pop angesiedelt, geht es darin um Blender, die sich „lieber einen Job" suchen sollen statt große Töne zu spucken, und um ihr Glück, das sie in „Zero Fcks" von jetzt an „selbst in die Hand" nehmen will. 2019 ging sie erstmals auf Tournee. Es war für sie „ein unglaubliches Gefühl, nach all den Jahren den Fans so nahe zu sein". Nun plant sie Auftritte im Festival-Sommer, arbeitet an neuen Liedern, und sie ist gerade von Frankfurt nach Berlin gezogen. „Dieses Jahr wird alles anders", sagt Rola mit einem Gute-Laune-Lachen. Fake sind an ihr nur die aufgemalten Sommer­sprossen, ihr Markenzeichen – und ihre Haarpracht. Etwa alle drei Wochen wechselt sie die Frisur. Mal trägt sie kunstvolle Landschaften aus fein gezwirbelten Extensions, mal opulent gelockte Perücken, mal trägt sie ihren Afro auch natürlich. „Dann fühle ich mich immer etwas öko.“ Der Afro sei außerdem extrem zeit- und pflegeintensiv. Rola findet es traurig, dass Afros auch im Jahr 2020 noch ein Politikum sind. Vor allem in den Vereinigten Staaten, wo sie in beruflichem Kontext oft als unprofessionell gelten – und schwarzen Frauen, die ihre Haare glätten, andererseits vorgehalten wird, sich westlichen Schönheitsidealen weißer Frauen zu unterwerfen. „Ich wünsche mir eine Welt“, sagt sie, „in der jeder unabhängig von der Hautfarbe die Frisur tragen kann, auf die er oder sie Lust hat.“



Eunique

„Ich möchte allen zeigen, dass jeder für seine Einzigartigkeit kämpfen kann", sagt Eunique. Ihr Name wird ausgesprochen wie das englische unique - womit die Hamburgerin in Sachen Einzigartigkeit gleich weit vorne liegt: Eunique Cudjo Berkeley ist ihr wirklicher Name. Im Rap ist er Kampfansage und Omen zugleich. Gezeigt hat es die 24 Jahre alte Musikerin mit amerikanischen und ghanaischen Wurzeln zunächst den Rappern in ihrem Umfeld. Weil die sie nicht mitmischen lassen wollten, weil sie ihr das als Frau nicht zutrauten, stellte sie kurzerhand selbst ein Video ins Netz. Ihr Freestyle-Rap schlug ein. Damals, 2015, war die Kobra noch Teil ihres Künstlernamens, bis heute ist sie für Eunique eine Art Wappen selbstbewusster Kämpferinnen. Sie träumte damals von einer Armee weiblicher Kobras, einer Community zwischen Freundinnen und Fans, die sich im Vorwärtskommen unterstützten. Doch erst mal wollte sie es selbst schaffen. Dafür ging sie ins Bootcamp und begann mit ihrem damaligen Manager Michael Jackson zusammenzuarbeiten – der auch wirklich so heißt. Los ging es mit der Arbeit am ersten Album „Gift“ und einem halbjährigen Drillprogramm: Kampfsport, Schlafentzug, Feilen an Beats und Texten. Eunique ging für die Rapkarriere physisch und psychisch an ihre Grenzen. In „Becoming Eunique“, einer Reality-Serie auf Youtube, konnten Fans sie von 2018 an begleiten. Kritik an der Selbst­darstellung wischt sie weg. „Lieber stelle ich mich selbst dar, als das anderen zu überlassen.“ Auch Instagram ist für sie ein wichtiges Kontrollwerkzeug und Sprachrohr. Mit ihren Followern teilt sie Ein­blicke in ihr Leben und Weisheiten für weibliche Selbstermächtigung. Immer wieder geht es dabei auch um Sexualität als Ausdruck von Selbstbestimmung. Sexistischen Gangsta-Rap schlägt sie mit dessen eigenen Waffen. In diesem Jahr kämpft Eunique auch gegen den inneren Schweinehund: Mit ihren Kobras wird sie einen Halbmarathon laufen, außerdem will sie zehn Kilogramm zunehmen. Und Ende Februar kommt endlich ihr zweites Album „Visions“ heraus.


Ace Tee

Eine junge Hamburger Musikerin stellt einen Track mitsamt hübschem Clip ins Netz. Nichts passiert. Über Umwege landet das alles in den Vereinigten Staaten, wo Mode- und Musikplattformen begeistert sind von dieser Unbekannten, deren Lyrics sie nicht verstehen, die aber so entspannt rappt und dabei den Moment einfängt: ein bisschen R&B, der an die Girlgroup TLC in den neunziger Jahren erinnert, und ein Video, in dem die tanzende Crew auch optisch an die Crop-Top- und Mom-Jeans-Ära anknüpft. Schließlich schwappt der Hype dann doch noch zurück nach Deutschland. „Bist du down?" wurde Anfang 2017 zum sommerlichen Wintersong - und Ace Tee zur Lieblingsrapperin der Modewelt. Im selben Jahr erschien Tarin Wilda, wie sie mit bürgerlichem Namen heißt, zur Métiers-d'Art-Show in der Hamburger Elbphilharmonie von Kopf bis Fuß in Chanel. Für eine schwedische Modekette durfte sie eine eigene kleine Kollektion entwerfen. Regelmäßig stand sie bei Mode-Events auf der Bühne, in der ersten Reihe war sie ein gern gesehener Gast, wenn sie nicht gerade auf Tour war. Ace Tee kommt das gerade recht. „Ich bin ein visuell denkender Mensch. Wenn ich an einem neuen Track sitze, habe ich eine ganze Welt vor Augen." An der Mode schätzt sie die Möglichkeit, „mal Straße zu sein, dann wieder Dame". Wenn man High Heels trägt, geht man eben anders als in Sneakern. Nun arbeitet sie auch schon an eigenen Modeentwürfen. Vorrang hat für sie aber zunächst die Musik. Gerade läuft die Arbeit an einer neuen Platte. Die Hamburger Musikszene inspiriert sie immer wieder, auch für Kooperationen mit anderen Künstlern ist sie offen. In der Hansestadt gebe es viele verschiedene Communitys. „Hamburg weiß, wie man Kontakte pflegt“, sagt Ace Tee. Für eine Karriere im Kreativbusiness kann das nur von Vorteil sein.


Ebow

„Denn diese Kanakin hier macht sich zu wichtig / Ist zu gebildet, sieht zu gut aus / Zersprengt eure Kästen, muslimischer Frauen. Autsch!": Am besten lässt man Ebru Düzgün, Jahrgang 1990, selbst zu Wort kommen. Unter dem Künstlernamen Ebow rappt die in München geborene Tochter alevitischer Eltern gegen Sexismus, Rassismus, Homophobie - und darüber, wie es ist, mit der Erfahrung aufzuwachsen, nicht Teil der Mehrheitsgesellschaft zu sein. Auf ihrem dritten Album „K4L" (kurz für „Kanak for Life") geht es um „Nazi-Lehrer, die meinten, du wirst nie etwas erreichen" und um „zu viele weiße Jungs im Rap" - womit sie die Strukturen der Branche anprangert. Ebow rappt queer, feministisch und postmigrantisch. „Vielleicht lasse ich gerade deshalb die Herzen weißer Cis-Männer im Feuilleton höher schlagen." Die Architektin, die in Wien und Berlin lebt, spricht viele Communitys an. Ist das nun Aneignung oder nicht? Ihre Musik schreibt sie jedenfalls „für queere Personen und solche, die sich mit meinem postmigrantischen Background identi­fizieren können". An ihrem ersten Album begann Ebow zu arbeiten, als sie noch nicht mal 20 war. Die Entwicklung ihres Musikstils habe auch mit ihrer Politisierung zu tun. „Als jüngere Frau habe ich vieles, was mir passierte, als falsch empfunden. Aber es fehlte das Vokabular, um mich zu artikulieren." Dass Ebow auf Deutsch rappt, in der Sprache, in der sie sich am wohlsten fühlt, ist auch Ton Steine Scherben zu verdanken. Was es in ihrer Jugend an Deutschrap gab, empfand sie damals als langweilig, Rio Reisers spielerischen Umgang mit Sprache dagegen „super nice“. Gerade hat sie mit einer eritreischen Freundin ein eigenes Label gegründet: Alvozay ist ein Wortspiel aus dem kurdischen „Alvosa“ und dem tigrinischen „Mahozay“, beides heißt Freundin. Dort wollen sie auch Künstler unter Vertrag nehmen, die sich mit ähnlichen Themen beschäftigen wie sie – woanders aber kein Gehör finden.


Sabrina Setlur

Sie war die erste Rapperin mit einem Nummer-eins-Hit in den deutschen Single-Charts. Von Mitte der neunziger Jahre an verkaufte sie mehr als zwei Millionen Tonträger, erst als Schwester S, später als Sabrina Setlur. Vielen späteren Rapperinnen hat sie damit den Weg geebnet. Eigentlich wollte die Musikerin, die indisch-amerikanische Wurzeln hat, Medizin studieren. Weil sie am Abend vor dem Test zu viel gefeiert hatte, wurde sie aber statt Doktor S erst mal Schwester S. An dem Projekt der Frankfurter Produzenten Moses Pelham und Thomas Hofmann vom Rödelheim Hartreim Projekt habe sie mit ihrem Sprechgesang, ihrer Person und ihrer Persönlichkeit mitgewirkt, sagt sie heute. „Du bist die Sahnetorte" und „Ich will dein Badewasser saufen", rappten die Jungs, und sie antwortete: „Bevor ich einen von euch nehm', nehm' ich keinen." Sich als einzige Frau in einer Umgebung von lauter Männern zu behaupten, noch dazu ohne Teil der weißen Mehrheitsgesellschaft zu sein, war in den neunziger Jahren bemerkenswert. Für Sabrina Setlur nehmen Fragen des ­Geschlechts und der Hautfarbe aber wenig Raum ein: „Schatz, pass auf, ich habe mich immer als Menschen gesehen und mich auf meine Talente fokussiert." Ob aus dem anfänglichen Spaßprojekt etwas werden könnte, stand zunächst in den Sternen. „In den frühen Zeiten des Deutschraps wusste ich wirklich nicht, wo das hinführen sollte. Für mich hatte es anfangs einen leichten Schlagertouch." Als klar wurde, dass sie den Zeitgeist trafen, wollte sie es richtig machen, unter eigenem Namen. 1997 erschien beim Label 3P ihres Produzenten und langjährigen Weg­begleiters Moses Pelham ihr zweites Studioalbum „Die neue S-Klasse". Mit der Musik heute und den sozialen Medien hat Setlur ihre Probleme. „Es tut mir leid, aber ich kann die alle nicht auseinanderhalten“, sagt sie zur Flut an Influencern. „Und in der Musik hört sich vieles gleich an.“ Sie glaubt an eine Rückbesinnung auf Menschen und Musik mit Wiedererkennungswert. Und arbeitet an eigenen Tracks. Wann es ein neues Album geben wird, bleibt ihr Geheimnis.



Keke

„Viel zu viel, viel zu laut, viel zu dreist“: Kaum ist Keke da, nervt die Wiener Rapperin auch schon. Kiara Hollatko, wie die Fünfundzwanzigjährige mit bürger­lichem Namen heißt, verkörpert so gar nicht die Zurückhaltung, die von Frauen noch immer oft erwartet wird. Mit Stimme, Körper, Meinung so wenig Raum einzunehmen wie möglich, davon hält Keke nichts. Weil das vielen anderen Frauen genauso geht, wurde sie für die Lyrics ihres ersten Tracks „Donna Selvaggia“ („Wilde Frau“) wie für viele andere Songs von ihren Fans gefeiert.

Keke ist ausgebildete Jazzsängerin, schon mit elf Jahren hatte ihr Klavierlehrer ihr das Genre nähergebracht. „Ich habe auch andere Sachen gehört, Avril Lavigne zum Beispiel", sagt sie. 50 Cent und Eminem fand sie ebenfalls „dope", weiter reichte ihre Rap-Affinität da aber noch nicht. In den Sprechgesang verfiel sie beim spontanen Herumprobieren mit ihrem Produzenten Shawn The Savage Kid vor zwei Jahren. Sie fühlte sich sofort wohl damit, schätzte das Greifbare und Reale, über das sie Zugang zu ihren Geschichten findet. Gegen normierte Schönheitsideale und Rollenbilder anzurappen ist für Keke Alltag. Seit ihrer Jugend kämpfte sie mit ihrem Körper, litt unter Essstörungen, Angststörungen und Depressionen. Sie findet es befreiend, über ihre Probleme zu reden, wie in ihrem Track „Paradox“: „Hab’ mich verrannt in der Angst / Hätte sie so gern verbannt.“ Die mediale Aufmerksamkeit seit „Donna Selvaggia“ war für sie eine neue psychische Herausforderung. 2019 war ein Jahr mit Höhen und Tiefen, in dem sie zu der Erkenntnis kam, dass man sich vom Musikbusiness nicht aussaugen lassen und die Gesundheit nicht aus dem Blick verlieren darf. Mittlerweile kommt sie besser klar und will auch anderen Frauen dabei helfen, sich von Normen zu lösen. Ihre Botschaft: Nie einzwängen lassen!



Fotografin: Eva Baales Styling und Konzeption: Leonie Volk Texte: Celina Plag Make-up: Arzu Kücük Haare: Maria Ehrlich Haare/Make-up für Keke: Nadine Thoma Haare/Make-up für Loredana: Dafiné Neziri Stylingassistenz: Pina Riederer Fotoassistenz: Farina Esser, Sandra Ommer Social-Media-Redakteurin: Aylin Güler Casting und Produktion: Leonie Volk & Celina Plag

Ace Tee und Rola wurden geschminkt mit Produkten von Chanel, Loredana mit Produkten von Fenty Beauty und Kylie Cosmetics, Sabrina Setlur und Ebow mit Produkten von Charlotte Tilbury, Eunique mit Produkten von MAC Cosmetics und Keke mit Produkten von Laura Mercier.

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