Freiheit ist einer der Grundwerte und Errungenschaften unserer offenen Gesellschaft. Die Freiheit selbst bestimmen zu dürfen, wie und wo wir leben, wen wir lieben, was wir arbeiten, was wir wollen und was nicht. Doch wie frei sind wir am Ende unseres Lebens? Wer todkrank ist und keine Heilung mehr erwarten darf, kann in Deutschland seinen Tod nicht mit Hilfe einer Organisation oder eines spezialisierten Sterbehelfers herbeiführen.
Seit Dezember 2015 ist „geschäftsmäßige Förderung von Selbsttötung" in Deutschland verboten. Es drohen bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe, wenn jemand ein Medikament verschafft, einen Kontakt vermittelt oder einen Raum zur Selbsttötung gewährt. Professionelle Sterbehilfe-Vereine mussten ihre Arbeit einstellen. Straffrei bleibt, wer nicht geschäftsmäßig handelt und entweder ein Angehöriger des Toten ist oder diesem nahe steht. Zuvor war der assistierte Freitod straffrei. Der oder die Todeswillige musste die Mittel nur selbst einnehmen.
Doch das Bundesverfassungsgericht verhandelt an diesem Dienstag und Mittwoch mehrere Klagen von schwer kranken Menschen, Sterbehilfe-Vereinen und Ärzten. Sie halten das Gesetz für verfassungswidrig. Die Kranken, weil sie aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben ableiten; die Vereine, weil sie die Vereinsfreiheit bedroht sehen und die Ärzte, weil sie ihre Gewissens- und Berufsfreiheit eingeschränkt sehen.
Dass Ärzte Klarheit wollen, ist verständlich. Es ist nämlich unklar, ab wann Ärzte geschäftsmäßig handeln. Andrea Nahles (SPD) erklärte 2015, es komme auf die Intention an: „Wer Leiden lindern will, im Grenzfall seinem Gewissen folgt und Sterbehilfe leistet, fällt nicht unter das Kriterium der Geschäftsmäßigkeit." Dem Deutschen Anwaltverein zufolge bedeutet „geschäftsmäßig" im Juristendeutsch, dass etwas auf Wiederholung angelegt ist und nicht, dass Geld gezahlt wird.
Mehr Klarheit ist auch deshalb dringend nötig, weil die Debatte um Sterbehilfe seit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts 2017 noch komplizierter geworden ist. Demnach muss der Staat in Ausnahmefällen tödliche Präparate für Sterbehilfe zur Verfügung stellen, wenn sich ein Sterbewilliger in einer „extremen Notlage" befindet. Konkret betrifft dies das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Das Urteil läuft dem Sterbehilfe-Verbot allerdings zuwider und wird bisher vom Bundesgesundheitsministerium einfach ignoriert.
Sterbehilfe ist ein sensibles Thema. Weil der Tod etwas Unumkehrbares ist. Weil er Trauer und Schmerz verursacht. Und weil Sterbehilfe das Welt- und Menschenbild berührt. Nach christlicher Vorstellung hat Gott den Menschen das Leben geschenkt. Für Gläubige liegt die Entscheidung, wann wir die Erde verlassen, in der Hand des Schöpfers. Die Debatte im Bundestag war nicht einfach. Eineinhalb Jahre wurde diskutiert, es gab vier konkurrierende Anträge. 360 von 602 abgegebenen Stimmen entfielen damals auf den Antrag, der in Paragraf 217 des Strafgesetzbuchs mündete.
Das Gesetz zielt klar auf organisierte Hilfe ab. Die Vorstellung einer Organisation, die, negativ formuliert, den Tod wie ein Produkt anbietet, finden viele abstoßend und unmoralisch. Dabei sind Sterbehilfe-Organisationen natürlich keine dubiosen Hinterzimmer-Clubs, die mit dem Tod werben. Diese Vorstellung ist überzogen. Sie bieten auch Beratung an, halten Menschen vom Suizid ab.
Aus dem aktuellen Sterbehilfe-Gesetz folgt, dass Sterbewillige sich einem Angehörigen oder einer nahe stehenden Person anvertrauen müssen. Sie müssen jemanden, der sie liebt, überzeugen, dass ihre Entscheidung richtig ist. Natürlich ist für Angehörige der Freitod ohne Vorwarnung eine erhebliche Last. Wenn sie vorher Bescheid wissen, könnte das helfen. Aber was, wenn jemand einen solchen Angehörigen oder Freund nicht hat? Mindestens genauso schwierig muss es sein, der oder die Eingeweihte zu sein. Wie geht man mit diesem Dilemma um? Dass Profis nicht behilflich sein dürfen, erscheint paradox.
Die Debatte über aktive Sterbehilfe ist auch verbunden mit der Frage: Drängt die Gesellschaft Kranke und Alte möglicherweise in den Suizid? Kritiker finden: Ja. Es würde ihnen vermittelt, dass sie zur Last werden, dass ihr Leben nichts mehr wert sei. Dieser fatale Eindruck muss verhindert werden. Aber nicht durch ein Sterbehilfe-Gesetz, sondern dadurch, dass die Pflege in Krankenhäusern und Altenheimen besser wird. Die Frage, ob und wie wir unser Leben beenden und mit wessen Hilfe, sollte selbstbestimmt und frei sein.
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