Das Bundesverfassungsgericht hat beschlossen, dass es die Möglichkeit eines dritten Geschlechts geben muss. Petra Follmar-Otto, Juristin beim Deutschen Institut für Menschenrechte, über die Umsetzung.
Interview: Carolin Henkenberens
Frau Follmar-Otto, das Bundesverfassungsgericht hat beschlossen, dass es die Möglichkeit eines dritten Geschlechts geben muss. Was muss der Gesetzgeber nun konkret ändern?
Zunächst einmal hat das Bundesverfassungsgericht festgehalten, dass es ein Recht auf Anerkennung der eigenen Geschlechtlichkeit gibt, solange unsere Rechtsordnung die Zuordnung eines jeden Menschen zu einem Geschlecht fordert. Es gibt also mehrere Optionen, das Urteil umzusetzen. Eine Option wäre, auf das Geschlecht als Ordnungskategorie im Personenstandsrecht ganz zu verzichten. Also bei allen Kindern nach der Geburt kein Geschlecht einzutragen. Eine zweite Option ist, neben männlich und weiblich eine dritte Option zu bieten für all jene, die sich weder als Mann noch als Frau verorten.
Welche Gesetze müssen geändert werden?
Auf jeden Fall das Personenstandsgesetz, das Eintragungen im Geburtenregister regelt. Aber auch andere Bereiche, die an die Geschlechtsangabe im Personenstand anknüpfen, zum Beispiel das Passgesetz oder die Sozialversicherungsnummer. Meiner Meinung nach ist auch das Abstammungsrecht betroffen, das festlegt, wer die Eltern eines Kindes sind. Da werden die Begriffe Mutter und Frau und Vater und Mann klar verknüpft. Für intergeschlechtliche Menschen muss es aber auch eine Möglichkeit geben, Elternschaft zu begründen. Außerdem sollte das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz angepasst werden. Auch andere Bereiche, die nach Männern und Frauen strukturiert sind, brauchen eine Regelung für das „dritte Geschlecht", zum Beispiel der Strafvollzug: Hier schlagen wir ein Wahlrecht für die Betroffenen vor, ob sie in einem Männer- oder Frauengefängnis untergebracht werden. Das Eherecht ist nach der Einführung der „Ehe für alle" nicht mehr betroffen.
Wie sieht es mit alltäglichen Dingen wie der Rente aus?
Da gibt es noch eine Regelung, die Frauen in ihrem Anspruch besserstellt. Aber die läuft ohnehin bald aus.
Klingt, als spielte Geschlecht in etlichen Gesetzen eine Rolle.
Ja, wir haben für ein Gutachten die deutschen Gesetze durchsucht und kommen auf über 600 geschlechtsbezogene Treffer. In vielen Gesetzen ist von Frauen, Männern, Müttern oder Vätern die Rede. Aber an die große Mehrheit dieser Erwähnungen knüpfen sich keine unterschiedlichen Regelungen.
Oft muss sich nichts ändern?
Genau. Man sollte aber in Zukunft darauf achten, in der Gesetzgebung geschlechterinklusive Begriffe zu benutzen.
Welche Fragen wirft der Gerichtsbeschluss auf?
Das Gericht betont ganz klar das Prinzip der Selbstbestimmung. Dem muss der Gesetzgeber jetzt gerecht werden. Die Frage ist, wie. Selbstbestimmung bedeutet, dass auch intersexuelle Menschen sich als Mann oder Frau registrieren lassen dürfen. Bislang stand im Gesetz: „Bei intergeschlechtlichen Kindern IST der Eintrag offenzulassen." Das Offenlassen war ein Zwang bislang. Wenn nun intergeschlechtliche Menschen sich als Frau oder Mann eintragen lassen wollten, stellt sich die Frage, auf welcher Grundlage das passiert. Wird eine medizinische Begutachtung oder ein psychiatrisches Gutachten, wie es derzeit Transsexuelle vorlegen müssen, gefordert? Das sind wieder Fremdbegutachtungen, die der Selbstbestimmung widersprechen.
Ist es nicht ein Rückschritt, wenn der Zwang zum Offenlassen wegfällt und Eltern oder Ärzte möglicherweise entscheiden, ein intersexuelles Kind als Mädchen oder Junge eintragen zu lassen?
Darum haben wir in einem Gutachten für das Familienministerium dazu geraten, dass bei allen Kindern direkt nach der Geburt erst einmal kein Geschlecht eingetragen wird. Stattdessen sollte es später die Möglichkeit geben, das Geschlecht selbstbestimmt eintragen zu lassen. Es ist aber auch immer die Frage, was sich rechtlich regeln lässt, und was sich gesellschaftlich ändern muss. Es braucht einfach ein Umdenken, damit wir nicht immer im zweigeschlechtlichen Schema denken.
Braucht es mehr Unisex-Toiletten?
Oft wird das Thema etwas ins Lächerliche gezogen. Aber gerade die Toilette ist ein Ort, wo Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen massiv passieren. Viele trans- und intergeschlechtliche Menschen werden aus Toiletten rausgeworfen mit dem Argument, dass sie da nicht hingehören. Das ist kein Spaß-Thema. Es braucht mehr Bewusstsein dafür, dass man auch einfach ein Pissoir und eine Sitztoilette abbilden könnte. Bei Behindertentoiletten gibt es ja auch schon lange Unisex-Toiletten - ohne Probleme.
An welchem Land kann sich Deutschland nun orientieren?
Großer Vorreiter ist Malta. Dort gibt es seit 2015 ein Geschlechtsidentitätsgesetz. Dort gibt es etwa ein Verbot von geschlechtsangleichenden Operationen bei Kindern und die Eintragung des Geschlechts basiert auf der Selbsterklärung statt auf Fremdzuordnung. Gut war da vor allem der Prozess der Gesetzgebung: Betroffene und Verbände wurden stark eingebunden. Einen solch transparenten Prozess, der geprägt ist von Kreativität, würde ich mir auch für Deutschland wünschen.
Zur Person
Petra Follmar-Otto leitet die Abteilung Menschenrechtspolitik Inland und Europa beim Deutschen Institut für Menschenrechte, das vom Bundestag finanziert wird und Ministerien bei Menschenrechtsfragen berät. Sie ist promovierte Juristin und hat vor ihrer Tätigkeit beim DIMR für Frauenorganisationen gearbeitet.