Missbrauch in der Pflege ist immer wieder ein Thema - wenn Fälle bekannt werden, in denen sich Pfleger an ihren Patienten vergehen. Aber auch Pflegekräfte sind oft sexueller Belästigung ausgesetzt. Ein Problem in einer Branche, in der sowieso schon wegen schwieriger Arbeitsbedingungen über Fachkräftemangel geklagt wird. Und ein Problem, das oft unter den Tisch gekehrt wird?
von Carina Huppertz, MDR INFO
Zehn Jahre lang hat Kathrin Schmidt in der Pflege gearbeitet - erst im Krankenhaus, danach als Altenpflegerin. Kathrin Schmidt heißt eigentlich anders. Sie möchte gerne anonym bleiben, denn sie redet über ein Thema, über das viele schweigen. Sie sagt: In Pflegeberufen steht sexuelle Belästigung an der Tagesordnung. Das merkte sie gleich, als sie ihre Ausbildung begann: "Damals war ich 17 Jahre alt. Vor allem männliche Patienten meinten, Anspielungen bezüglich Brüste oder Hinterteil machen zu müssen. Und es kam immer wieder vor, dass wirklich verbal grobe Ausfälligkeiten wie 'Mädchen hast du dicke Titten' kamen."
Schmidt hat auch erlebt, dass es nicht bei Kommentaren blieb: "Es ist auch schon passiert, dass mir jemand gezielt an die Brust griff. Ein älterer dementer Herr hat mir in den Intimbereich gegriffen. Und es kommt im alltäglichen Geschäft immer und immer wieder vor." Bei dementen Patienten ist die Situation besonders schwierig, weil sie sich oft ihrer Handlungen nicht bewusst sind. Die Folgen muss der Pfleger trotzdem tragen: "Es ist Wut, es ist Widerstand, es ist teilweise auch eine Form von Verzweiflung, weil man nicht weiß, wie man damit umgehen soll."
Das Thema ist kaum erforscht. Laut einer fast zehn Jahre alten Studie ist beinah jede fünfte Pflegekraft innerhalb eines Jahres belästigt worden. Aber die Dunkelziffer sei deutlich höher, sagen Experten aus der Branche. Sexuelle Belästigung gehe von Patienten aus, aber auch von Angehörigen - und ziehe sich durch alle Bereiche: von großen Krankenhäusern bis zum ambulanten Dienst.
Die Mitarbeiter zu schützen, ist Aufgabe der Arbeitgeber. Andreas Märten hat seit 15 Jahren einen ambulanten Pflegedienst in Leipzig und engagiert sich im Berufsverband. Er sagt: "Wir haben auch schon solche Fälle gehabt. Wenn sowas angesprochen wird, dann ist mein nächster Weg sofort zum dem Kunden, dann wird mit dem Klartext geredet, dass er das zu unterlassen hat. Wenn er denkt, dass das normal ist, dann versuche ich mit den Ärzten ins Gespräch zu kommen." Wenn alles nicht hilft, beende er auch den Pflegevertrag, so Märten. Aber kann er es sich überhaupt leisten, einem Kunden wegen solcher Vorwürfe zu kündigen? Seine Meinung: "Früher war das sicher so, dass man alles getan hat, dass der Kunde im Unternehmen bleibt. Aber wenn ich das Gefühl bekomme, dass der Kunde meinen Mitarbeitern schadet und die sehr ungern zu demjenigen fahren, dann wird der Auftrag gekündigt. Wir haben ja kein Auftragsproblem, wir haben ein Personalproblem. Das Personal ist unser Goldschatz. Den müssen wir hegen und pflegen."
Auch Kathrin Schmidt hat das Gespräch mit ihrem Chef gesucht: "Dabei habe ich mir direkt die Finger verbrannt. Mir wurde mit Konsequenzen gedroht, wenn ich das nicht hinnehme. Wenn einem nicht gefällt, wie es gehandhabt wird, könne man sich ja was anderes suchen." Sie hat das Problem schließlich ohne Unterstützung ihres Arbeitgebers gelöst - mit einer klaren Ansage an den Patienten, dass sie die Anspielungen und Berührungen nicht weiter hinnehmen würde.
Dazu rät auch Silvia Grauvogl. Sie leitet das Referat für Beratung beim Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) Südost und ist auch für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zuständig. Sie sagt: Wer betroffen ist, bekomme Hilfe - aber nur, wenn er sie selbst einfordere, und das erfordere Mut. Was fehlt, seien regelmäßige Beratungen, sogenannte Supervisionen: "Da lerne ich, dass ich nicht die einzige Kollegin bin, die das Problem hat, und welche Strategien die anderen anwenden. Das ist eine ganz wichtige Sache, die komplett hinten runterfällt. Es gibt weder die finanziellen Mittel, noch sehen die Träger die Notwendigkeit, so etwas zu machen." Der Leipziger Pflegedienstleiter Märten versucht, in Teamsitzungen über solche Probleme zu sprechen.
Kathrin Schmidt hat den Pflegeberuf mittlerweile aufgegeben: Sie hat studiert und arbeitet jetzt in einer leitenden Position in einem Altenheim. Die Pflege ist immer noch ihr Traumjob - aber lieber mit etwas Sicherheitsabstand.
Zuletzt aktualisiert: 15. Februar 2015, 14:04 Uhr