Es gab eine Zeit, in der wurde Indien gern als Elefant beschrieben, der sich langsam - sehr langsam sogar - aber stetig voran bewegt. Als “Hindu rate of growth” wurde in diesem Zusammenhang ein Wirtschaftswachstum beschrieben, das zwischen zwei und drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts vor sich hindümpelt.
Erst kürzlich fühlte sich Finanzminister Arun Jaitley genötigt, noch einmal darauf hinzuweisen dass die Welt sich heute nicht mehr über die „Hindu rate of growth“ lustig mache. Bei einem Wachstum von mehr als sieben Prozent wäre dies auch gewagt. Für einen der wichtigsten Minister in der Hindu-nationalistischen Regierung von Premierminister Narendra Modi ist der Hinweis eine Pflichtübung.
Selten ist ein Politiker mit einem so deutlichen Mandat für den Wandel an die Macht gekommen wie Modi 2014. Doch sonderbarer Weise geht es vielen Beobachtern inzwischen wie in dem berühmten Psychoexperiment: Woran denken Sie, wenn man Sie auffordert, nicht an Elefanten zu denken? Natürlich an die Dickhäuter!
Zwei Jahre nach der Machtübernahme von Modi sieht Indien immer noch wie Indien aus. Und wenn man es recht bedenkt, ist dies auch gar nicht überraschend. Die Regierung Modi hat einiges auf die Reihe gebracht und anderes nicht. Indien ist eine stabile Demokratie und ein prosperierendes Land. War da jemand, der von Modi eine Revolution erwartet hat?
Ob die „guten Tage“ (Hindi: achhe din), die er in seiner Wahlkampagne versprochen hat, tatsächlich gekommen sind, mögen die Wähler 2019 entscheiden. Viel wird davon abhängen, ob oppositionelle Kongress-Partei bis dahin noch immer so ein desolates Bild abgibt wie heute. In diesem Fall dürfte der Wahlsieg für Modis Bharatiya Janata Partei (BJP) ein Selbstläufer sein.
Aber drei Jahre sind in einer Demokratie bekanntlich eine Ewigkeit. Und auch wenn es Modis Wahlkampfstrategen nicht gefallen sollte: die BJP-geführte Regierung reiht sich relativ nahtlos in das wirtschaftliche Modernisierungsprojekt ein, das 1991 mit dem damaligen Finanzminister Manmohan Singh begann (und das in seiner Zeit als Premier nicht zuletzt auch wegen der Korruption in der Verwaltung ins Straucheln kam).
Das bedeutet, der indische Reformprozess bleibt weitgehend auf den Staat fixiert. Je nach politischer Präferenz mag man das gut oder schlecht finden. Dies der Grund sein, warum der international geschätzte Zentralbank-Gouverneur Raghuram Rajan sein Hut nehmen musste, obwohl er die Rupie zu einer stabilsten Währungen der Welt gemacht hat.
Ein Ökonom der Chicago School, der sich zudem die Freiheit nimmt, die Regierung bei Bedarf zu kritisieren, passt nicht ins Bild. Dass Rajan gegen die faulen Kredite bei indischen Staatsbanken vorgehen wollte, hat ihm auch keine Freunde gemacht. Politischer und ökonomischer Liberalismus hat in Indien keine Heimat und wenige Anhänger.
Es ist daher kein Wunder, dass das Land gerade mit der Einführung der „Goods and Service Tax“ (GST) eine landesweite Steuer als die „mutigste Reform seit der Unabhängigkeit“ (Indian Express) feiert. Dies sollte in der Tat der Wirtschaft einen kräftigen Schub geben, da nun beim Handel innerhalb Indiens keine Steuern mehr anfallen.
Andere wichtige Initiativen wie die die Öffnung des Verteidigungs- und Luftfahrtsektors für auslândische Direktinvestitionen als Teil der „Make in India“-Kampagne, die Elektrifizierung der Dörfer und der Ausbau der Solarenergie, bleiben ebenfalls staatsfixiert.
Der blinde Fleck in Indiens Politik sind die private Wirtschaft und verbunden damit - das Individuum. Eine Reform der restriktiven Arbeitsgesetzgebung steht nicht auf der Agenda. Der Vorstellung, dass der Privatsektor die Millionen von Arbeitsplätzen schaffen könnte, die Indien bei seinem Bevölkerungswachstum braucht, vertraut offenbar niemand.
Die wichtigsten Kritiker Modis sind daher auch Kasten wie die Patidars in Gujarat, die zum Teil gewalttätig dafür demonstrieren, dass sie in den Kreis der Benachteiligten aufgenommen werden, für die einst Quoten für Verwaltungsjobs geschaffen wurden.
Ob die Ausbildungsinitiative („Skill India“) der Regierung dazu beiträgt, eine grundsätzliche Änderung herbeizuführen, ist fraglich. Tatsächlich hat die BJP-Regierung die Bildungsausgaben 205/16 gekürzt und Indien gibt weiterhin nicht mehr als drei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Bildung aus.
Man muss der Regierung zugute halten, dass sie das Ziel formuliert hat, bis 2022 400 Millionen Menschen auszubilden, auch wenn dies sehr ambitioniert erscheint. Die indische Klassengesellschaft glaubt nicht wirklich daran, dass notwendig ist, auch diejenigen auszubilden, die manuelle Arbeit zu leisten haben.
Modi, der selbst aus bescheidenen Verhältnissen stammt, kennt das Problem. Aber viele seiner Parteifreunde engagieren sich lieber darin, die unteren Gesellschaftsschichten mit religiösen Themen gegeneinander auszuspielen. Wie etwa der Frage, ob das Schlachten von Kühen verboten werden soll. Tatsächlich ist das Land, in dem einem großen Teil der Bevölkerung die Kuh als heilig gilt, einer der größten Exporteure von Rindfleisch weltweit.
Kampagnen gegen das Schlachten von Kühen und entsprechende Verbote in einigen Bundesstaaten haben nicht nur dazu geführt, dass muslimischen Schlachtern die Existenzgrundlage abhanden kommt.
Der Mord an einem Angehörigen der frühere als Unberührbare bezeichneten Dalits, weil dieser einer bereits toten Kuh das Fell abgezogen hatte, nötigte Modi nach langem Zögern jene Gruppen aus dem BJP-Umfeld zu kritisieren, die eine Pogrom-Stimmung gegen das Kuh-Schlachten herbeigeführt haben.
Dies alles trägt dazu bei, dass wir beim Thema Indien immer wieder an Elefanten denken. Aber in den allermeisten Fällen sind dies ja ganz sympathische Tiere. Und niemand hat je behauptet, dass sie sich nicht bewegen.
Britta Petersen ist Senior Fellow bei der Observer Research Foundation, einem Thinktank in Neu-Delhi. Zuvor war sie Südasien-Korrespondentin der Financial Times Deutschland und Büroleiterin der Heinrich Böll Stiftung in Pakistan.