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Work-Life-Balance: Wir wollen noch weniger arbeiten!

Zeit für die Kleinsten muss sein.

Wo hört die Arbeit auf und beginnt die Freizeit? Diese leidige Frage ist in Zeiten permanenter Erreichbarkeit bekanntlich kaum mehr klar zu beantworten. Längst hat sich auch der Gesetzgeber des Problems angenommen. Die Ziele sind eineindeutig: Klarere Grenzen zwischen Beruf und Familie schaffen, weniger Stress und dafür mehr Raum, um sich um private Angelegenheiten zu kümmern - eine bessere Work-Life-Balance eben. Ein prominentes Mittel, dies zu erreichen, ist zum Beispiel, die Zeit, die ein Angestellter je Woche maximal arbeiten darf, per Gesetz festzuschreiben.


In Deutschland sind das momentan 48 Stunden je Woche. Die tatsächliche Arbeitszeit liegt freilich darunter und zwar durchschnittlich bei knapp 40,9 Stunden, laut dem „2005 International Social Survey (ISSP)", in dem 32 Staaten untersucht werden. In den meisten Industrieländern sind rund 40 Stunden die Norm. Nun würde man annehmen, in Staaten, wo die durchschnittliche Wochenarbeitszeit eher gering ist, beklagen sich Arbeitnehmer auch seltener über Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Arbeit und Familie.


Das dachten auch Leah Ruppanner und David Maume. Die beiden Wissenschaftler von der Universität Melbourne und Cincinnati haben in einer Studie untersucht, wie oft Angestellte aus 32 Nationen von Problemen berichten, Arbeit und Familie unter einen Hut zu bringen. Ihre Erkenntnisse haben sie in der Folge zusammen mit den Arbeitszeit-Daten aus dem Social Survey analysiert - und kamen zu einem überraschenden Ergebnis.


Weniger Arbeit, trotzdem mehr Probleme bei Vereinbarkeit

Die meisten Probleme bei der Vereinbarkeit von Arbeit und Familie beklagten ausgerechnet Angestellte aus Ländern, wo vergleichsweise wenig gearbeitet wird. Auch nach Einbeziehung von Faktoren, die je nach Land bisweilen deutlich variieren, wie beispielsweise Elternzeitregelungen, Frauenerwerbsquote oder auch Einkommensstrukturen, blieb das Bild unverändert: Aus Ländern mit längeren Arbeitszeiten kommen weniger Berichte über Schwierigkeiten, Beruf und Familie zu vereinbaren, als aus denen mit kurzen.


Für die Autoren liegt das an immer stärker gestiegenen Erwartungen an eine möglichst gute Work-Life-Balance. So wollen gerade in den Ländern, wo über die Jahre die gesetzlich erlaubte maximale Arbeitszeit sukzessive gesenkt wurde, die meisten Arbeitnehmer noch weniger arbeiten.


Das betrifft vor allem Länder wie Kanada, Dänemark oder Schweden. Besonders hervor stechen die Niederlande: Die durchschnittliche Arbeitszeit beträgt hier laut ISSP gerade einmal knapp 34 Stunden je Woche - und gut 45 Prozent der Arbeitnehmer wünschen sich, noch weniger Zeit mit ihrem Beruf zu verbringen.


Höhere Erwartungen schüren Unmut

Wer die Vorzüge einer verkürzten Arbeitszeit einmal gewohnt ist, will immer mehr davon, so die Erkenntnis der Autoren. Während aber die Erwartungen an eine möglichst harmonische Koexistenz von Arbeits- und Privatleben somit immer weiter steigen, fallen gleichzeitig schon kleinste Störungen negativ ins Gewicht und es macht sich schneller Unmut breit. Freilich erfasst die Studie mit ihrem Fokus auf die reine Arbeitszeit nur bedingt auch die Möglichkeit von zu Hause zu arbeiten. Bei Homeoffice ist die Trennung von Job und Familienleben naturgemäß komplizierter.


Zusätzlich verstärkt wird diese Wahrnehmung von kulturellen Aspekten, wie die Studie zeigt. So kommen gerade aus Ländern, wo vor allem Wert auf das Kollektiv gelegt wird, wie zum Beispiel Japan oder Taiwan, weniger Beschwerden. Gleichzeitig wird hier zumeist deutlich mehr gearbeitet als in stärker individualistisch geprägten Kulturen.


Gerade diese unterschiedlichen kulturellen Prägungen beeinflussen die Arbeitnehmer in ihrer Wahrnehmung von Problemen bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, argumentieren die Autoren. Gesetzliche Regelungen zur Begrenzung der Arbeitszeit hätten dagegen keinen signifikanten Einfluss. Doch wehren sich Ruppanner und Maume gegen den Schluss, Gesetze zur Regelung der Arbeitszeit seien völlig nutzlos. Erst sie hätten nämlich das Bewusstsein für das Problem geschärft und die Erwartungen an einer bessere Work-Life-Balance geschürt.

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