Ich kann klarträumen. Das bedeutet: Ich erlebe meine Träume bewusster als andere. Die meisten Menschen empfinden Träumen ja als Kontrollverlust: Sie schlafen ein, etwas Seltsames geschieht mit ihnen. Und wenn sie aufwachen, erinnern sie sich meist kaum mehr daran. Bei mir ist das anders: Ich kann mitgestalten, wie meine Träume verlaufen.
In einem fand ich mich zum Beispiel mal in einem Zirkus wieder. Eine Freundin und ich haben inmitten von Artisten getanzt, dann kam eine pompöse Zirkusdame auf uns zu, sie hatte toupierte rote Haare. Sie tanzte mit uns und hüllte uns in ihr buntes Gewand ein.
In meinen Klarträumen versuche ich manchmal, die Figuren, die mir begegnen, anzusprechen, sie nach ihrer Rolle zu fragen. Also fragte ich die Zirkusdame: "Was möchtest du von mir?" Darauf sagte sie: "Schau doch mal, wie du glänzt, wie du dich bewegst - du weißt, dass du auf eine Bühne gehörst." Noch im Traum habe ich darüber nachgedacht, was das bedeuten könnte.
Das ist ja das Tolle am Klarträumen: dass man damit sein Unbewusstes erreichen kann. Tatsächlich wollte ich als Schülerin Kunst oder Theater studieren. Stattdessen habe ich mich für Psychologie entschieden. Gerade schreibe ich meine Masterarbeit über "Luzides Träumen als Fähigkeit". So werden Klarträume wissenschaftlich genannt.
Es gibt Studien, die belegen, dass Klarträume das Wohlbefinden im Schlaf steigern, was zu Wohlbefinden im Wachzustand führt. Es ist auch bewiesen, dass Traumapatienten so Ängste reduzieren oder Sportler ihre Motorik schulen können.
Viele Klarträumer versuchen natürlich, etwas Schönes oder Aufregendes zu träumen. Sie wollen durch Wände gehen oder fliegen. Aber es gibt auch jene superluziden Träumer, die im Schlaf mathematische Formeln knacken oder Argumente dem Chef gegenüber einstudieren wollen.
Das Klarträumen kann man trainieren. Ich zum Beispiel schaue mehrmals am Tag einige Sekunden auf meine rechte Hand. Die Handfläche und die einzelnen Finger nehme ich dann ganz bewusst wahr und frage mich: "Wie sieht die Hand im Traum aus?" Manchmal schreibe ich mir auch ein "RC" auf die Hand, was für Reality-Check steht. So konditioniere ich mich schon im Wachzustand auf die Hand. Wenn ich dann nachts träume, schaue ich sie an. Meistens sieht sie seltsam aus, weil sie verzerrt ist oder weil das "RC" fehlt. In dem Moment merke ich: Jetzt träume ich, jetzt kann ich loslegen.
Janina Rieger
27, studiert Psychologie in Freiburg.
Aufgezeichnet von Benedict Wermter
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