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Nomaden hadern mit Bergbauboom

„Bei uns in den Bergen wurde Gold gefunden", sagt Tamsbek. Er legt eine Schale mit einem goldfarbenen, kleinen Steinchen auf den Tisch seiner Jurte. Leute aus China seien hergekommen und hätten überall fotografiert, erzählt der 60-Jährige mit Schnurrbart und Schiebermütze und schaukelt seinen Enkelsohn auf seinen Knien. Goldabbau wäre sicher nicht schlecht, eine Mine schaffe Arbeitsplätze. Davon sollten jedoch Mongolen profitieren, meint der Viehzüchter etwas misstrauisch.


Hier, in der Provinz Bajan-Ölgii am westlichsten Ende der Mongolei, 1700 Kilometer von der Hauptstadt Ulan Bator entfernt, ist die Viehzucht nach wie vor weit verbreitet. Immer wieder tauchen Herden von Schafen, Ziegen oder Yaks am Horizont auf, dazwischen die weissen runden Jurten der Nomaden. Es ist ein hartes, einfaches, oftmals ärmliches Leben. Doch unter der Steppe verbirgt sich ein riesiger Reichtum. Die Mongolei, mit ihren knapp drei Millionen Einwohnern, gilt als eines der zehn rohstoffreichsten Länder der Welt. Experten wiesen rund 80 verschiedene Mineralien nach, zum Beispiel Kohle, Kupfer, Uran, Gold, Molybdän, Zink und Diamanten. Ein wahrer Bergbau-Boom hat das Land in den vergangenen Jahren erfasst. 2011 und 2012 stiegen die ausländischen Direktinvestitionen in dem Sektor auf 40 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung der Mongolei. Gleichzeitig überstieg das Wirtschaftswachstum 15 Prozent. Heute liegt der Anteil des Bergbaus an der Wirtschaftsleistung bei 20 Prozent.


Für die Nomaden bringt die rasante Entwicklung jedoch auch Gefahren mit sich. Der Bergbau bedroht ihr Weideland. Durch das Gesetz werden die Ansprüche der Viehzüchter nur schlecht geschützt. Ihr Land nutzen sie traditionell gemeinschaftlich. Wem es gehört, ist nicht klar definiert, erzählt Sukhgerel Dugersuren, Direktorin der Nichtregierungsorganisation „Mine Watch Mongolia", beim Gespräch in Ulan Bator. Dem mongolischen Bergbau- und dem Transportministerium ist es daher vorbehalten, Pachtbewilligungen für die Nutzung zu vergeben. Durch den Bergbau wird das Land zerstückelt, Strassen entstehen wo es früher fruchtbare Wiesen gab und durch den Einsatz von Chemie wird das Grundwasser verschmutzt.


Für die Nomaden bedeutet ein Verlust der Herde meist auch den Verlust der Existenzgrundlage, stellt doch für viele in der Mongolei die Viehzucht noch immer eine der wichtigsten Einnahmequellen dar. Laut Dugersuren sichern hundert Schafe oder Ziegen das Existenzminimum, ab einer Herde von tausend Tieren gilt man als reich. Bis nach China wird etwa die begehrte Unterwolle der Kaschmirziegen verkauft. Die Viehhaltung in der kargen Landschaft ist raumintensiv. Schafe oder Ziegen brauchen fünf bis zehn Kilometern auf denen sie weiden und wandern können. Kamele benötigen gar bis zu 50 Kilometer, damit sich die Tiere in den kurzen Sommermonaten genügend Fett anfressen und den harten Winter, in dem die Temperatur mitunter auf minus 40 Grad fällt, überstehen können. "Ich bin nicht gegen den Bergbau. Aber ich denke wir sollten die Ressourcen für unsere eigene Entwicklung verwenden", sagt die Expertin.


Jüngst ist die Wirtschaft allerdings deutlich langsamer gewachsen. Für dieses Jahr prognostiziert der Internationale Währungsfonds ein Wachstum von 0,4 Prozent. 2017 sollen es dann wieder 2,5 Prozent sein. Verantwortlich für den Einbruch sind die gesunkenen Rohstoffpreise und das langsamere Wachstum in China, dem wichtigsten Exportmarkt. Fast 90 Prozent aller mongolischer Exporte gehen in das Nachbarland. Der überwiegende Teil davon sind Rohstoffe. Das grösste Projekt ist die Ojuu Tolgoi Gold- und Kupferlagerstätte in der Wüste Gobi im Süden der Mongolei. Zwischen dem Bergbaukonzern Rio Tinto und der mongolischen Regierung gab es in den zurückliegenden Jahren allerdings immer wieder Unstimmigkeiten, da die Mongolei den Anteil ausländischer Investoren im Bergbausektor begrenzen wollte.


Der schwierigen Wirtschaftslage wegen muss die im Juni neu gewählte Regierung als erstes wohl ein Sparprogramm verabschieden. Das Budgetdefizit ist auf 20,6 Prozent des BIP angewachsen, Ende Juni hat der Tögrög, die mongolische Währung, 20 Prozent an Wert verloren. Die Vorgängerregierung hatte der Bevölkerung günstigere Häuser und eine bessere Infrastruktur versprochen. Neben Hochhäusern, Bürogebäuden und Einkaufszentren gibt es in der Hauptstadt Ulan Bator ganze Quartiere aus Jurten ohne fliessend Wasser, Kanalisation und Heizung. Da im Winter direkt in den Öfen Kohle verbrannt wird, droht die Stadt regelmässig im Smog zu ersticken.


All dies scheint in Tamsbeks Jurte fern zu sein. Der Viehzüchter erzählt, dass er noch bis Ende August mit den zwei Jurten seiner Familie im Sommerlage in einem steinigen Flusstal bleibt. Dann wird die Jurte abgebrochen und wie jedes Jahr samt dem ganzen Hausrat auf einen Lastwagen verladen und die Familie zieht in das zwei Kilometer entfernte Herbstlager auf der anderen Seite des Berges. Das Leben und die Arbeit der Nomaden ist kräftezehrend. Vor allem für die jüngere Generation erscheinen die Perspektiven in der Stadt attraktiver. Auch Tamsbeks jüngerer Sohn arbeitet als Koch in einer Kleinstadt. „Es ist gut, dass er arbeitet und etwas verdient", erzählt Tamsbek. Er könne ja immer wieder zurückkehren und als Viehzüchter arbeiten wenn er die Arbeit verliert, findet sein Vater. Zurück bleibt die Frage, welchen Platz die Nomaden in Zukunft in diesem Land haben, welches seinen Weg zwischen Modernisierung und Bewahrung der eigenen Identität sucht.

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