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Reportage spécial

Die Kunst-Therapeutinnen von Rom


Sie zählen zu den besten Restauratorinnen der Welt. In ihrem Atelier im Zentrum Roms empfangen Valeria Merlini und Daniela Storti die großen alten Meister der Malerei. Und neuerdings auch kunstbegeisterte Besucher. Wir waren vor Ort. 

 

 

Valeria Merlini trägt einen weißen Kittel und eine Lupenbrille auf der Nase. Auf dem Tisch neben dem rund vierhundert Jahre alten Ölgemälde eines neapolitanischen Meisters liegen Tupferzangen aufgereiht wie OP-Besteck. Eine Standleuchte wirft gleißendes Licht auf das goldgerahmte Krippengemälde. Die Operation kann beginnen. „Als Restaurateurin muss man die richtigen Fragen stellen“, sagt Merlini, während sie eine dünne Schicht Watte um die Spitze eines Holzstäbchens wickelt und diese in ein Glas mit Lösungsmittel taucht. „Wie ein Arzt, der versucht, ein medizinisches Problem und zu entschlüsseln und das richtige Mittel zu wählen.“

 

Valeria Merlini wollte eigentlich mal Ärztin werden. Daraus wurde nichts. Dafür zählt die gebürtige Turinerin heute zu den besten Restauratoren der Welt. In ihrem römischen Atelier unweit des Pantheons empfangen sie und Co-Inhaberin Daniela Storti die Granden der Malerei, vor denen die Kunstwelt niederkniet. Caravaggio, Raffaello, Tintoretto, Lucas Cranach, Canaletto – um nur einige zu nennen. Seit kurzem öffnen die beiden Star-Restauratorinnen ihre Werkstatt im ebenerdigen Gewölbe eines Palazzo auch für interessierte Besucher. Eine Premiere in ihrem Metier, das meistens hinter blickdichten Gerüstverkleidungen und verschlossenen Ateliertüren stattfindet. 

 

„Unsere Arbeit ermöglicht eine andere, intimere Art, Kunst zu erleben“, sagt Merlini, während sie mit dem Wattestäbchen behutsam über das Barthaar Josefs auf dem Krippenbild tupft – mit einer Geduld, die den darüber flatternden Engeln gerecht werden würde. Die Reinigung ist der erste Schritt der Restauration und zugleich der heikelste. Millimeter für Millimeter wird die über die Jahrzehnte gelblich gewordene Harzfirnis in einem zuvor mit weißen Kreidestrichen eingegrenzten Bereich abgetragen. Bloß nicht zu viel wegnehmen, nur das nicht. „Es gibt diesen Moment, wenn man mit der Reinigung beginnt und damit die Stabilität des Bildes aufbricht“, beschreibt Merlini den initialen Schnitt. Auch heute noch schlägt ihr Herz da jedes Mal ein bisschen schneller. Auf der anderen Seite stehen 30 Jahre Erfahrung. So lange teilen die Restauratorinnen Storti und Merlini schon die gemeinsame Passion und das großräumige Atelier. 

 

Aus dem Radio säuselt leise Musik, es riecht nach Lösungsmitteln und ein bisschen modrig. An den Wänden reihen sich die zum Teil Jahrhunderte antiken Pretiosen der Malerei wie in einer Postergalerie. Alte Meister, zum Anfassen nahe. Auch weil Storti und Merlini ihnen – bei allem gebotenem Respekt – auf der Augenhöhe eines behandelnden Therapeuten begegnen. „Du brauchst Mut und Forza“, sagt Daniela Storti. „Du darfst vor einem Deckenfresko oder einem Caravaggio nicht in die Knie gehen. Man muss sich schon trauen, ihm zu alter Schönheit zu verhelfen.“

 

Wo tut es weh? Wo klafft eine Wunde? Bei ihrer Anamnese gehen Storti und Merlini mit wissenschaftlicher Präzision vor. Schwierige Fälle kommen unter das Röntgengerät, das ein zur Kunst konvertierter ehemaliger Nuklear-Wissenschaftler bedient. Bei einfacheren Diagnosen helfen Aufnahmen der Infrarot-Kamera und ein spezifisches Blaulicht, das alte Reparaturarbeiten und Übermalungen sichtbar macht. „Jede Restaurierung ist wie eine Entdeckungsreise“, sagt Merlini. „Du weißt nie, wohin sie dich führt und welche Probleme unterwegs auftauchen.“

 

Auf Holz gemalte Gemälde zum Beispiel reagierten oft empfindlich auf bestimmte Reinigungsmittel. „Dann musst du die Strategie ändern“. Goldverzierte Rahmungen lassen sich oft nur mit Laser reinigen. Oder das Blau in den Gemälden Caravaggio, von Merlini nur „Blau-Problem“ genannt, weil der Meister die Farbe meist mit zu viel Öl anrührte. „Du musst mit dem Bild sprechen und mit dem Künstler in Kontakt gehen“, sagt Merlini. „Und natürlich musst du dich seiner Arbeit unterordnen.“

Dann passiert etwas, das Merlini als eine Art Offenbarung beschreibt. „Irgendwann während dieser Arbeit beginnt man die unglaubliche Genialität des Malers zu verstehen. Nicht nur seine Idee von dem Kunstwerk, seine Farben und seine Technik. Sondern auch seine religiöse Botschaft, die damals stets im Vordergrund stand.“

 

In den zahllosen Kirchen der Ewigen Stadt ist das häufig auch heute noch so. Als Merlini und Storti vor 20 Jahren Caravaggios weltberühmte „Pilgermadonna“ aus dem Jahr 1604/1605 in der Basilica Sant‘Agostino restaurierten, entschieden sie sich für ein verglastes Gerüst, durch das die Pilger aus aller Welt das Gemälde im linken Seitenschiff weiter betrachten konnten. „Für viele Menschen sind diese Bilder ein Ort der religiösen Verehrung“, sagt Daniela Storti, die 15 Gehminuten vom Atelier gerade die Kirche San Girolamo dei Croati von den Seitenschiffen bis unters Freskendach restauriert. 

 

Im eingerüsteten Kircheninneren steht Storti im weißen Schutzanzug vor dem Altar wie eine Hohepriesterin der Wiedererweckung und dirigiert die Arbeit der Gerüstbauer. Unter der Strickmütze wellen ihre staubbepuderten Haare hervor, die Füße stecken in schmutzigen Boots. Eitelkeit sollten sich Restauratoren verkneifen – zumindest bei der Arbeit. „Sie ist gut, wenn sie unsichtbar ist“, sagt Storti, während sie das Himmelblau für ein Wandfresko anmischt. Die Farben sind spezielle Restaurationsfarben, und die hohe Kunst besteht darin, die Originalfarbe haargenau zu treffen. „Man tastet sich ran“, sagt Storti. „Und bestimmte Farben der Meister kennt man dann auch.“ Caravaggios Blau zum Beispiel. Auch wenn es nach heutigem Maßstab zu ölig ist – verbessert wird nicht. Das war nicht immer so. Vor ein paar hundert Jahren arbeiteten Künstler häufig zugleich als Restauratoren – und nahmen sich gerne mal das Recht heraus, das Bild eines berühmten Kollegen eigenmächtig zu optimieren. In der modernen Restauratoren-Zunft gilt solcherlei heute als Frevel.

 

14 Monate werden Daniela Storti und Valeria Merlini für die Restaurierung der Kirche investieren. Dass die Chiesa trotzdem für Messen geöffnet bleibt, ist den Kunstwerkerinnnen dabei hoch willkommen. Sie sind Missionarinnen ihres Metiers. Auch bei ihrem zweiten Caravaggio, der weltberühmten „Anbetung der Schäfer“, erhoben sie die Anti-Aging-Aktion 2010 zum Event. Unter Polizeischutz wurde das Gemälde damals in einen abgesicherten Raum unweit des Parlamentsgebäudes transportiert und dort von Storti und Merlini vor den Augen Öffentlichkeit restauriert. Passanten konnten dem der „Offen Restauration“ durch ein großes Schaufenster beiwohnen. „Wer Restaurierung zeigt, ermöglicht eine empathischere Rezeption des Werks“, sagt Storti, die es begrüßt, dass ihr Beispiel auch in immer mehr Museen Schule macht, die den Restaurationsprozess neuerdings gerne in Ausstellungen dokumentieren oder als „work in progress“ integrieren. „Schon bald“, glaubt Merlini, „wird das ein selbstverständlicher Teil des Kunsterlebnisses sein.“  

 

Ihr persönliches Kunsterlebnis in den Museen allerdings wird weiter eher das einer Therapeutin bleiben, die potentielle Patienten betrachtet. „Es ist schrecklich, aber ich kann einfach nicht anders, als darauf zu achten, ob ein Bild nach allen Regeln der Kunst restauriert wurde“, sagt Merlin. Oft zeugen Grobheiten und Reinigungsfehler von Kunstfehlern des behandelnden Operateurs. „Das zu sehen bereitet mir fast körperlichen Schmerz“, sagt die Gemälde-Doktorin. Das klingt dann doch nach einer Berufskrankheit, gegen die es kein Mittel der Wahl gibt.