›„Fieber“ lautet das Motto der 20. Internationalen Schillertage am Nationaltheater Mannheim. Das passt zu Friedrich Schiller, der sich in Mannheim mit Malaria infizierte, und es passt zur Gegenwart. An seinem 20. Geburtstag misst das Festival globale Temperaturerhöhungen. Es geht um Hysterie, politische Überhitzung oder Verfolgungswahn und welche Rolle die Kunst dabei spielt. Ein Gespräch mit dem Schauspiel-Intendanten und künstlerischen Leiter der Schillertage Christian Holtzhauer.
Herr Holtzhauer, die Schillertage beschäftigen sich mit fiebrigen Phänomenen. Ersetzt der Festivalbesuch einen Termin beim Arzt? Wir fanden die Frage interessant, ob man die Gesellschaft aus medizinischer Sicht beschreiben kann und was heute alles unter den Begriff Fieber fallen könnte. Wir haben eine ganze Reihe von Assoziationen gefunden und dazu passende Arbeiten eingeladen.
Verstehen Sie Fieber dabei stets als etwas Negatives? Nein, es gibt auch das Fieber der Begeisterung oder das Saturday-Night-Fever - das ist positiv besetzt. Aus medizinischer Sicht ist Fieber einerseits mit Krankheit verbunden, andererseits Ausdruck der Selbstheilungskräfte des Körpers. Diese Ambivalenz, dass Fieber sowohl etwas Negatives als auch etwas Positives sein kann, wollen wir zeigen.
Viele der eingeladenen Künstlerinnen und Künstler kommen von außerhalb Europas, aus dem Kongo, Uganda und Brasilien. Gibt es dort andere Fieberträume als bei uns? Es ist eher erstaunlich, wie sich die Themen gleichen. Das hat mit dem Zeitalter der Globalisierung zu tun. Gerade Künstlerinnen und Künstler sind international sehr gut vernetzt und dadurch auch gute Seismografen für das, was gerade in der Welt passiert.
Warum legen Sie dennoch Wert auf eine starke internationale Ausrichtung? Der internationale Vergleich und auch der außereuropäische Blick sind mir im Zusammenhang mit Schiller wichtig. Das hat mehrere Gründe. Zum einen war Schiller zu seinen Lebzeiten der meist gespielte oder rezipierte deutsche Autor im Ausland. Schiller war in all jenen Ländern geschätzt, in denen es große gesellschaftliche Umbruchs- und Befreiungsbewegungen gab. Zum anderen ist Schiller ein Exponent der Ideen der Aufklärung. Und die Aufklärung wird heute sehr kritisch als ein europäisches Menschheitsbeglückungsprojekt betrachtet. Im Namen der Aufklärung sind im Kolonialzeitalter des 19. und 20. Jahrhunderts schreckliche Verbrechen begangen worden. Daher gehört der außereuropäische Blick dazu, wenn man einen Bogen von Schiller in die Gegenwart beschreiben will. Damit beginnen wir bei dieser Festivalausgabe und ich hoffe, dass wir diesen Aspekt in den nächsten Ausgaben noch weiter entwickeln können.
Von "den Brettern, die die Welt bedeuten", schrieb Friedrich Schiller in seinem frühen Gedicht "An die Freunde" und prägte damit eine bis heute gebräuchliche Bezeichnung für das Theater und insbesondere die Theaterbühne. Der aus Uganda stammende Tänzer Robert Ssempijja und der in Berlin lebende Choreograf Christoph Winkler nehmen Schillers berühmte Verszeile zum Anlass, über zwei getrennte Welten nachzudenken. Ssempijja bringt die Bodenbretter des einzigen Tanzstudios für zeitgenössischen Tanz in Kampala nach Mannheim und mit ihnen all die Ideen, die auf ihnen entworfen und getanzt wurden. (Foto:
Die polnischen Regisseurin Marta Górnicka setzt sich in ihrem Sprechkonzert „Hymne an die Liebe" mit der Verrohung der Sprache auseinander. Internet-Trolle, nationalistische Politiker und Fundamentalisten wie Anders Breivik werden von Górnickas Chor zitiert und mit Popsongs und patriotischen Liedern konfrontiert. 28. & 29. Juni 2019, jeweils 19.30 Uhr (Foto: Magda Hueckel)
Die belgische Ausnahmetänzerin Lisbeth Gruwez arbeitete mit einigen der wichtigsten europäischen Choreografen - allen voran Jan Fabre, der mehrere Solostücke für sie schuf. Bei den Schillertage ist sie mit ihrer Performance "It's going to get worse and worse and worse, my friend" zu erleben. (Foto: Lud Depreitere)
Schillers "Kabale und Liebe" in einer Aufführung des Staatsschauspiel Dresden. (Foto: Sebastian Hoppe)
Zum Bogen in die Gegenwart passt auch, dass Sie 27 zeitgenössische Autorinnen und Autoren beauftragt haben, ausgehend von Schillers berühmten Briefen „Über die ästhetische Erziehung des Menschen" Texte über die Rolle der Kunst in unserer Zeit zu verfassen. Was hat Sie dazu bewogen? Schiller hatte einen fast ungebrochenen, naiven Glauben an die Wirkungsmächtigkeit von Kunst. Er glaubte, dass Kunst den Menschen besser machen und zur Freiheit befähigen kann. Die Briefe sind ja unter dem Eindruck der Französischen Revolution und des Großen Terrors entstanden. Schiller kam zu dem Schluss, dass die Menschen noch nicht reif für die Freiheit waren. Heute wird wieder viel über Bedeutung, Relevanz und Funktion von Kunst gesprochen. Daher hatte ich die Idee, heutige Autoren und Autorinnen - deutsche, deutschsprachige, aber auch internationale - zu bitten, sich in Briefen zu diesem Thema ins Verhältnis zu setzen. Dabei sind sehr unterschiedliche Texte entstanden, von denen jeder für sich spannend ist. Wir werden während der Schillertage aus den Texten lesen und sie in einem Buch veröffentlichen. Seit ihren Anfängen 1978 hatten sich die Schillertage vorgenommen, nicht nur Aufführungen von Schiller-Stücken zu zeigen, sondern auch die Frage zu stellen, was uns Schiller in der Zeit, in der wir uns befinden, noch zu sagen hat. Die Publikation und die Auseinandersetzung mit den Texten verstehe ich als Beitrag zu dieser Debatte.
Mit einer Stadtjury versuchen Sie, noch mehr Menschen zu erreichen. Ist das auch eine Antwort darauf, dass Kunst in manchen Kreisen mittlerweile auf pure Ablehnung stößt? Dass Kunst ein wenig diskreditiert oder in Verruf geraten ist, als elitär und kompliziert wahrgenommen wird, finde ich erstaunlich. Denn Kunst ist im weitesten Sinn Ästhetik und diese ist in unserem Alltag beherrschend. Unsere wichtigste ästhetische Sozialisationsinstanz ist heute das Internet. Von den Bildern und Filmen, die wir dort sehen, werden wir konditioniert. Deshalb nutzen wir auch für unser Erscheinungsbild bei den Schillertagen Motive, wie man sie millionenfach im Internet findet. Jedem, der mir sagt, er habe mit Kunst nichts zu tun, kann ich Beispiele dafür nennen, dass Kunst in seinem Leben eine sehr große Rolle spielt. Diese Auseinandersetzung mit Kunst, warum Kunst wichtig ist, was sie für uns leisten kann und wozu wir sie brauchen, führe ich sehr gerne. ‹
Interview: Astrid Möslinger
20. Internationale Schillertage 20. bis 30. Juni 2019 Nationaltheater Mannheim www.schillertage.de