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Werbepause - Himmel unter Berlin

An einem frühen Morgen im August entrollt sich an der Fassade des alten Postscheckamts mitten in Berlin-Kreuzberg eine Anklage. Der Immobilienentwickler Christoph Gröner wirft darauf dem Bezirk vor, die Bauarbeiten für Hunderte Wohnungen zu sabotieren. In der Tat hatte der Bezirk die Planung gestoppt, allerdings erst nachdem der Entwickler die Fläche der geplanten Wohnungen bedeutend reduziert hatte. Entgegen allen vorherigen Absprachen. So die Stellungnahme von Baustadtrat Florian Schmidt, dem Adressaten der Aktion. Der ordnete außerdem an, das rechtswidrig angebrachte Plakat umgehend zu entfernen. Diese Eskapade der Berliner Wohnungsbaupolitik zeigt: Auch im Jahr 2018 eignet sich eine Werbefläche ideal, um einen Eklat zu provozieren. 

Digitales Zeitalter hin oder her: Wer möchte, dass möglichst viele Menschen an einem bestimmten Ort eine Botschaft erreicht, plakatiert im Großformat. Das kommt in den meisten Fällen weniger grobschlächtig daher.

Jeden Tag „bereichern" Tausende Werbeflächen unseren Alltag. Unauffällig schieben sie sich in unseren müden Blick, haken sich ins Bewusstsein ein und durchströmen es für den Rest des Tages lautlos. Wie schön wäre es, wenn es nicht immer nur um Konsum ginge? So ähnlich muss auch die neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK) gedacht haben, als sie Anfang der 1990er begann, die Werbeflächen am Bahnsteig der U2 am Alexanderplatz für den Wettbewerb Kunst statt Werbung zu nutzen. Neu war die Idee nicht. Schon 1958 waren Grafiker in der DDR unter dem Motto Kunst im Untergrund dazu aufgerufen worden, angesichts der angespannten Weltlage für eben jene Flächen, „Plakate für den Frieden" zu entwerfen. 2008 verkauften die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) die Flächen dann doch wieder einem Werbevermarkter.

Statt sich wie 1958 an Fragen der Weltpolitik abzuarbeiten, greift der Wettbewerb in diesem Jahr mit dem Thema Plakat politisch machen: Recht auf Stadt ein Problem auf, das für den Großteil der Stadtbewohner drängender nicht sein könnte. Um 76 Prozent sind die Preise bei Neuvermietung in Berlin in den letzten zehn Jahren gestiegen. Fast genauso hoch ist die Zahl der Bewohner, die befürchtet, ihre Wohnung zu verlieren.

Nimmt man das 60. Jubiläumsjahr von Kunst im Untergrund zum Anlass, einen Blick auf die Ausstellungsthemen der Vergangenheit zu werfen, lassen sich viele Entwicklungen der letzten Jahre gut zurückverfolgen. Denn in Berlin war die Verfassung der Stadt schon immer an ihren öffentlichen Orten abzulesen. So unternahm der Künstler Folke Köbberling 2001 den Versuch, einen Diskurs über die sich verändernde Stadtlandschaft zu initiieren. 

Bevor der Alexanderplatz seiner rigorosen Umgestaltung unterzogen wurde, richtete Köbberling auf dem Bahnhof der U2 eine kostenlose Gepäckaufbewahrung für Reisende ein. Statt Geld forderte er die Reisenden auf, Beobachtungen, Gedanken und Kommentare zum Alexanderplatz mit ihm zu teilen. Es war der Versuch, Geschichten über einen Ort zu sammeln, der so bald nicht mehr existieren würde. Es war auch der Beginn einer Entwicklung, die in Berlins historischer Mitte noch über viele Orte hereinbrechen würde.

Auch das Ausstellungsthema aus dem Jahr 2005 nahm eine Debatte vorweg, die in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat. Sauberkeit - Sicherheit - Service fragte ganz grundlegend danach, was (Lebens-)Qualität im öffentlichen Raum eigentlich bedeutet. Ist ein guter öffentlicher Ort einer, an dem man sich sicher fühlt? Lieber unbeobachtet? Damals begannen immer mehr Bundesländer, ihre Polizeigesetze zu verschärfen. Videoüberwachung im Stadtraum wurde zur neuen Normalität. Zeitgleich homogenisierten in Berlin die ersten Townhouse-Siedlungen Innenstadtviertel, die bisher exemplarisch für die so gern zitierte „Berliner Mischung" standen.

Es sind nicht nur die Themen von Kunst im Untergrund, die Aufschluss über Entwicklungen geben. Seitdem die BVG vor zehn Jahren ihre Werbeflächen auf dem Bahnsteig der U2 verkauft hat, befindet sich der Wettbewerb auf ober- und unterirdischer Wanderschaft quer durch die Stadt. Zum 60. Jubiläum kehrt die Ausstellung nun an den Alexanderplatz zurück. Auf dem Bahnsteig der U5 werden zu Beginn der Berlin Art Week am 28. September die Arbeiten von Mio Okido und Sven Johne gezeigt. Beide thematisieren die Entwicklung von Wohnraum, weg von einem Bürgerrecht hin zu einer Ware, die man sich leisten können muss.

Die U5 steht dabei nicht nur sinnbildlich für die Verbindung von Peripherie und Zentrum, sondern auch für die zunehmende Verdrängung der alteingesessenen Bevölkerung an die Ränder der Stadt. So ist es nur konsequent, dass die Ausstellung 16 Stationen vom Alexanderplatz entfernt, stadtauswärts im Projektraum station urbaner kulturen in Hellersdorf, ihre Fortsetzung findet. Insgesamt werden an beiden Ausstellungsorten die Perspektiven von acht Künstler*innen gezeigt. Die Mächtigen befestigen ihre Botschaften an Hausfassaden, die ihnen gehören. Ein Diskurs über die drängenden Fragen dieser Stadt findet an Orten statt, die uns allen gehören.


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