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Interview

Rich Brian: Nothing Was The Same

Ein Wunderkind erblickt das Licht der Welt – und zunächst weiß niemand etwas davon. So geschehen, als Brian Imanuel alias Rich Brian kurz vor der Jahrtausendwende in Indonesiens Hauptstadt Jakarta geboren wird. Der introvertierte Junge ist anders als die anderen. Er wird zu Hause unterrichtet, anstatt mit Gleichaltrigen zur Schule zu gehen. Als Zehnjähriger entdeckt er YouTube, Twitter und Vine für sich – und bringt sich die englische Sprache bei, die er heute besser beherrscht als manch Muttersprachler. Erst schießt Brian Kurzvideos ins WWW, dann – er ist gerade mal 16 Jahre alt – folgt der erste Hit: Dat $tick. Mehr Persiflage als musikalisches Meisterwerk. Plötzlich schaut die ganze (Rap-)Welt auf diesen Jungen.

Brian zieht in die USA und schließt sich dem Kreativkollektiv 88rising an. Sein Debüt-Album Amen peakt Anfang 2018 auf Platz 18 der Billboard-Charts. Ein Aufstieg, der selbst an Wunderkind Brian nicht spurlos vorbeigeht. Diesen Weg und seine Folgen verarbeitet er auf The Sailor, seinem kürzlich erschienenen Zweitwerk. Merklich reifer wirkt Brian, ohne dabei seinen Humor verloren zu haben. Und doch erinnert fast nichts mehr an Rich Chigga, jenes fleischgewordene Meme, mit dem Brian einst die Musiklandschaft auf den Kopf stellte.

Deine ersten Worte auf Yellow, der Lead-Single von The Sailor, lauten: »How do I disappear without anybody knowing? / Will anybody even miss me when I’m gone?« Ist alles okay bei dir, Brian?
Es geht mir wieder gut! (lacht) Als ich diesen Song schrieb, in dem es um Asian Identity geht, habe ich eine komische Zeit durchgemacht. Ich hatte eine Tour hinter mir, vier Monate lang eine Schreibblockade und wusste nicht, was ich machen soll. Als ich dieses Instrumental hörte, hat mich das unglaublich inspiriert – ich habe aufgeschrieben, wie ich mich fühlte. Ich wollte so ehrlich wie möglich sein und sicherstellen, dass ich etwas schreibe, das andere Leute ermutigt. Denn dieser Song ist in drei Akte unterteilt: Im ersten Teil ringe ich mit mir selbst, im zweiten reiße ich mich los und im dritten geht es um das triumphale Gefühl, einen Struggle überstanden zu haben.

Auch wenn die Veröffentlichung von Amen erst anderthalb Jahre zurückliegt, wirkt es so, als wärst du in der Zwischenzeit sowohl musikalisch als auch persönlich enorm gewachsen. The Sailor ist im Vergleich zu Amen tiefgründiger und autobiografischer.
Lyrisch habe ich mich wirklich sehr entwickelt. Mir ist klar geworden, dass ich in meiner Musik buchstäblich über alles sprechen kann. Ein anderer Teil meines Wachstums bestand darin, loslassen zu lernen und mit anderen Leuten zusammenzuarbeiten: Das komplette Album habe ich zusammen mit Bekon & The Donuts produziert (Amen war fast ausschließlich von Brian selbst produziert; Anm. d. Verf.). Das war eine Riesenhilfe. Ich habe mehrere Monate nur über Beats gerappt, die sie produziert haben und musste mir keine Gedanken ums Produzieren machen.

In einem Interview mit Pharrell und Scott Vener meintest du vor gut zwei Jahren, dass du nicht an feste Beziehungen glaubst. Hat sich auch das inzwischen geändert?
Nein. (lacht) Ich würde vielleicht nicht mehr sagen, dass ich nicht an Beziehungen glaube – momentan ist das aber immer noch nichts für mich. Tatsächlich habe ich, kurz bevor ich mit dem neuen Album anfing, eine Trennung durchgemacht. Es war cool, in einer Beziehung zu sein. Ob ich jetzt gerade in einer sein möchte? Auf gar keinen Fall! (lacht) Ich habe keine Kapazitäten dafür.

In erster Linie steht auf The Sailor deine persönliche »Reise« von Indonesien nach Amerika und generell deine Neugierde im Vordergrund. Auf einer zweiten Ebene ist das Album aber auch metaphorisch für all jene zu verstehen, die in die USA einwandern, weil sie von einem besseren Leben träumen. Warum ist es dir gerade jetzt so wichtig, diese Botschaften zu vermitteln?
Ich kann mich selbst gut damit identifizieren: Ich habe darüber nachgedacht, dass ich eines Tages mal Kinder haben werde – in Amerika. Mir kamen all die vorherigen Generationen in den Sinn, die hierhergezogen sind. Da habe ich zum ersten Mal gecheckt, dass auch ich irgendwann mal das Elternteil sein werde, das einst nach Amerika kam, um eine Familie zu gründen. Mir das bewusst zu machen, war eine verrückte Erfahrung. Was das angeht, war Yellow der Wendepunkt: Ich habe realisiert, dass ich eine große Plattform habe, diese Dinge aber nie zuvor thematisiert habe.

Dein Besuch bei Joko Widodo, dem indonesischen Präsidenten, war bestimmt ebenfalls ein verrücktes Erlebnis. Du hast ihm auch deinen Song Kids vorgespielt. In dem Video, das du geteilt hast, lässt sich allerdings schwer nachvollziehen, ob er den Track mochte oder nicht – er hat keine Miene verzogen. Was meinte er danach zu dir?
Um ehrlich zu sein, habe ich es vergessen, Mann. Die ganze Situation hat mich eingeschüchtert. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass er den Song mag – das möchte ich zumindest glauben. (lacht)

Wie kam es überhaupt zu diesem Treffen?
Das war super random. Zwei Tage vorher hat mir irgendwer gesagt, dass ich den Präsidenten treffen würde. Also bin ich um halb sechs aufgestanden, um mit meiner Familie, die große Anhänger von ihm sind, zu seinem Palast zu fahren. Ich weiß nicht mal, ob der Präsident wusste, wer ich bin. Ich habe ihm meine Geschichte erzählt, wie ich Englisch gelernt und angefangen habe zu rappen, wie ich zu Hause unterrichtet wurde und mit 17 Jahren zum ersten Mal nach Amerika kam. Diese schnelle Entwicklung hat den Präsidenten beeindruckt.

Ein Track, der diese Entwicklung angetrieben hat, war Thrift Shop von Macklemore & Ryan Lewis. Wann hat dich zuletzt ein Song inspiriert?
Lass mich mal eben in meiner Playlist schauen! (Holt sein Handy heraus und überlegt.) Suge von DaBaby. Seine Musik ist super hart, fast schon ignorant – gleichzeitig versteht man jedes Wort, er hat eine klare Aussprache. Sein Songwriting ist gut und erinnert mich ein bisschen an den jungen Drake. DaBaby ist ein Rapper, den ich verfolge. Und um noch einen zu nennen: YBN Cordae, der auch sehr wortgewandt ist.

Auf No Worries rappst du: »I’m bad at socializing that’s what homeschooling did for me / It also got me money and a whole new identity / So fuck a prom night, I drive a limo to a bakery«. Hat dir Homeschooling mehr geschadet oder mehr geholfen?
Es hat mir definitiv mehr geholfen. Ich hatte viel mehr Zeit, meine Hobbys zu entdecken und herauszufinden, was ich beruflich machen will. Ohne Homeschooling würde ich jetzt wahrscheinlich nicht mal Englisch sprechen! Dadurch, dass ich so viel Zeit hatte, habe ich mir YouTube-Videos angeschaut und die Sprache gelernt. Trotzdem ist es wahr, dass es mir nicht leichtfällt, unter die Leute zu gehen. Es ist besser geworden, aber immer hart für mich, einen Raum voller mir unbekannter Leute zu betreten. Ich bin echt ein Mauerblümchen! (lacht)

Du hast mal gesagt, dass es dich stört, dass sich immer mehr Künstler dem Konsumverhalten der Hörer und den Algorithmen der Streamingdienste anpassen. Dir selbst war es hingegen ein großes Anliegen, einen kohärenten Langspieler zusammenzustellen. Gibt es Platten, die dich besonders dazu angeregt haben?
Nothing Was The Same und If You’re Reading This It’s Too Late von Drake oder 2014 Forest Hills Drive von J. Cole. Acid Rap von Chance The Rapper höre ich neuerdings auch immer häufiger. Mm.. Food von MF Doom liebe ich auch. Diese Alben habe ich sehr oft gehört – schon bevor ich angefangen habe, selbst Musik zu machen. Es gibt ja Leute, die ganze Alben auf YouTube hochladen; das hat mich dazu gezwungen, mir die kompletten Alben anzuhören. Ich habe die Musik immer im Hintergrund laufen lassen und nebenbei mein Ding gemacht. Genau das vermisse ich sehr.

Welche Entwicklung in der Musikindustrie missfällt dir am meisten?
Viele Fans hetzen die Künstler regelrecht. Oft heißt es: »Wo bleibt das Album?« Das setzt einen unter Druck. Warum sollte ich etwas übers Knie brechen und veröffentlichen, bei dem ich mir nicht mal sicher bin, ob ich es selbst mag? Ich nehme mir lieber Zeit dafür, um etwas zu machen, das ich liebe. Viele neue Künstler entwickeln sich aber genau umgekehrt, indem sie ihre Musik an das anpassen, was die Leute wollen. Umso mehr liebe ich Künstler, denen vollkommen egal ist, was Leute sagen oder was gerade im Trend ist.

J. Cole ist ein solcher Künstler.
Ja! Oder Tyler, The Creator. Viele Songs auf IGOR klingen unkonventionell. Das ist mit Sicherheit kein HipHop. Gleichzeitig ist er mit dem Album aber auf die Eins gegangen. So was liebe ich.

Anfang 2018 meintest du, dass du in fünf Jahren neben Donald Glover eine Hauptrolle in einem Spider Man-Film übernehmen wirst, wenn alles gutgeht. Was ist dein Plan B, falls es nicht so kommen sollte?
Dann spiele ich im nächsten Teil von Green Lantern mit! (lacht) Mein Album ist fertig. Was Musik angeht, chille ich ein bisschen. Ich wollte schon immer schauspielern, habe aber nie etwas dafür getan. In meinem Alltag tue ich das nun, was im Grunde genommen bedeutet, dass ich oft in den Spiegel schaue, komische Gesichter mache und Selbstgespräche führe.

Dieses Interview erschien in JUICE Magazin #194 (08/2019).