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Ohne Knautschzone

Eine junge Frau fährt mit dem Rad zur Arbeit. Sie nähert sich einer Kreuzung, die Ampel ist rot. Die Frau hält und wartet, so wie der Lkw neben ihr. Die Ampel springt auf Grün, beide fahren los, sie geradeaus, der Laster zieht nach rechts - und überrollt die Radfahrerin. Die 35-Jährige stirbt am Unfallort. So geschehen am Morgen des 7. April in Winterhude, nahe dem U-Bahnhof Lattenkamp. Knapp drei Monate zuvor, am 13. Januar, war ein 76-Jähriger auf ähnliche Weise verunglückt. Er wurde von einem abbiegenden Müllwagen überrollt.

Nach jedem tödlichen Abbiegeunfall beginnt wieder dieselbe Diskussion. Zeitungsberichte werden mit einem anklagenden "Schon wieder!" überschrieben. Menschen kommen zu Mahnwachen zusammen, legen Blumen nieder, zünden Grablichter an. Demonstranten bemalen Schilder mit Parolen wie "Lkw raus!" und legen sich aus Protest stumm auf den Asphalt. Stets schwingt eine Frage mit: Wie gefährlich ist Radfahren in Hamburg?

Fahrradfahrer zählen seit vielen Jahren zu den am stärksten gefährdeten Verkehrsteilnehmern. Jedes Jahr verunglücken in Hamburg zwischen 2000 und 2500 von ihnen, ungefähr jeder zehnte schwer. Allerdings nimmt der Radverkehr stark zu. Da die Unfallzahlen fast stabil bleiben, mit Schwankungen je nach Wetterlage, kann man sagen: Das Risiko des einzelnen Radfahrers, in einen Unfall verwickelt zu werden, ist in den vergangenen Jahren eher gesunken.

Das gilt auch für Unfälle mit Lkw. Die Polizei erfasste in den vergangenen zehn Jahren im Schnitt etwa 150 solcher Zusammenstöße jährlich. Da der Güterverkehr in dieser Zeit stark zunahm, gibt es Verkehrsexperten, die sagen: Vor diesem Hintergrund sind vier tödlich überrollte Radfahrer wie im vergangenen Jahr nicht sehr viele.

Dem lässt sich entgegnen: Jeder Tote ist einer zu viel. Die Unfälle mit Lkw sind zwar selten, doch enden sie besonders oft tödlich. Jeder, der schon einmal mit seinem Rad neben einem Laster stand oder am Steuer sitzend beinahe einen Radfahrer übersah, weiß, wie haarig solche Situationen sein können. Das weckt oder bestärkt Ängste - und auch das ist ein Problem.

In einer repräsentativen Studie des Sinus-Instituts gaben zwar die meisten Befragten an, gern Rad zu fahren. Doch nur jeder zweite fühlt sich im Hamburger Verkehr sicher. Als Gründe, die gegen das Radfahren sprechen, werden die Gefährdung durch andere Verkehrsteilnehmer und schlecht ausgebaute Radwege genannt. Auch das Klima auf der Straße ist nicht gerade einladend: 83 Prozent der Befragten schreckt der Umgang der Verkehrsteilnehmer miteinander ab. Ernüchternde Ergebnisse für eine Metropole, die "Fahrradstadt" sein möchte.

Was kann Hamburg tun, um Radfahrer vor Unfällen zu bewahren? Es liegt nahe, beim Verhalten der Verkehrsteilnehmer anzusetzen, mit strengen Kontrollen, klaren Vorschriften und wo nötig harten Strafen. Nur für ein Drittel der Radunfälle in der Stadt sind die Radfahrer selbst verantwortlich. Die Hälfte verursachen Autofahrer. Typische Fehler hinter dem Steuer sind ein fehlender Schulterblick beim Abbiegen, zu enges Überholen und zu hohe Geschwindigkeit. Die neue Straßenverkehrsordnung, seit Ende April in Kraft, setzt dort an. Geschwindigkeitsverstöße werden stärker geahndet, es gilt ein Mindestabstand von 1,50 Metern beim Überholen von Radfahrern in der Stadt, außerhalb sind es zwei Meter. Schwere Lkw dürfen innerorts nur noch in Schrittgeschwindigkeit abbiegen. Würde das konsequent durchgesetzt, wäre für die Radfahrer schon viel erreicht. Doch kontrolliert wird bislang eher selten.

Manchmal braucht es auch die richtige Technik, um Abbiegeunfälle zu verhindern. Deren Tragik besteht oft darin, dass alle Beteiligten sich noch so umsichtig verhalten können - befindet sich ein Radler im toten Winkel des Lkw-Fahrers, ist er nicht zu sehen. Elektronische Abbiegeassistenten leuchten diesen toten Winkel mit Ultraschallsensoren und Kameras aus und warnen den Fahrer mit Pieptönen und Leuchtsignalen. Seit Jahresbeginn beteiligt sich Hamburg an der "Aktion Abbiegeassistent" des Bundesverkehrsministeriums und verspricht, in alle 2200 städtischen Lkw Sicherungssysteme einzubauen. Das kostet bis zu sechs Millionen Euro.

Doch die meisten Lkw, die Hamburg durchqueren, gehören nicht der Stadt. Und eine Pflicht, Abbiegeassistenten einzubauen, führt die EU erst ab dem Jahr 2022 ein, und dann auch nur für neue Fahrzeuge. Bis die letzten Lastwagen ohne diese Technik aus dem Straßenverkehr verschwinden, dürfte es also noch Jahrzehnte dauern. Hamburg appelliert an die Firmen, ihre Fahrzeuge schneller nachzurüsten, doch viele Betriebe scheuten die Investition: Zwischen 1500 und 3000 Euro kostet die Montage eines Assistenten, je nach Hersteller. Fördermittel des Bundes von fünf Millionen Euro waren im vergangenen Jahr schnell aufgebraucht. Dieses Jahr vergibt der Bund noch einmal zehn Millionen. Ob das reicht? In der Logistikbranche ist die Skepsis groß, der Verein Hamburger Spediteure fordert zusätzliches Geld von der Stadt. Einen eigenen städtischen Fördertopf, wie es ihn in Berlin gibt, plant Hamburg bislang allerdings nicht.

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