Wer als Tourist in eine neue Stadt kommt, sieht meist die üblichen Wahrzeichen. Fernsehturm, Freiheitsstatue, Völkerschlachtdenkmal. Wer jedoch keine Lust hat, sich für eine klassische Stadtrundfahrt in einen Doppelstockbus zu zwängen, für den gibt es in Leipzig eine gute Alternative: Der Verein „Stadt Karawane" organisiert Expeditionen in Kleingruppen zu Leipziger Privatpersonen, die viel zu erzählen haben. Über ihr Leben, ihre Arbeit, ihre Stadt. Zwei To4ka-Reporter haben sich der Karawane angeschlossen.
SOOREN PIZZA. In großen roten Lettern prangt der Schriftzug auf dem Schaufenster eines kleinen Ladens. Vor dem Geschäft sitzt ein alter Mann auf einer Decke und raucht. Wie lange es wohl her ist, dass hier tatsächlich Pizza verkauft wurde? Nie wären wir auf die Idee gekommen, den scheinbar leer stehenden Imbiss zu betreten - würde nicht genau diese Adresse auf unserem Zettel stehen. Das kleine Papier ist der Plan, den unsere Gruppe von den Organisatoren der „Stadt Karawane" bekommen hat. „Deine Stadt durchs Schlüsselloch" verspricht die Website des Vereins, außerdem „Begegnungen, die im Alltag so nie stattfinden würden" - da werden selbst alteingesessene Leipziger neugierig. Wir atmen tief ein, drücken die Tür auf und treten ein. Drinnen: Verrauchte Luft, leise Musik und der verstaubte Charme von DDR-Möbeln.
Karawanen und Oasen
Wie es sich herausstellt, ist dieser kleine, ehemalige Pizzaladen das Büro des Vereins „Stadt Karawane". In dem grauen, quadratischen Zimmer sehen wir eine Gitarre mit gerissenen Saiten und der Inschrift „Stell dir vor, du kannst spielen". Außerdem eine Unmenge Flaschen unter einem Bartresen, alte schwarzweiße Plakate und Bücherregale mit nach Farbe sortierten Büchern. Es sieht aus wie ein Wohnzimmer oder ein etwas abgeranztes Szene-Café.
Hier treffen wir die Organisatoren der „Stadt Karawane". „Ums Geschichten erzählen geht es", darüber sind sich Jenny, Sophie, Marie und Hannes einig. Ungefähr 500 Besucher seien seit Gründung des Vereins bereits durch Leipzig gezogen und waren bei insgesamt knapp 50 Gastgebern zu Besuch.
Während wir uns noch fragen, wer extra für uns seinen Samstagnachmittag opfert, bricht unsere Gruppe zum ersten Gastgeber auf. Einmal umsteigen und 30 Minuten Straßenbahnfahrt später stehen wir im Westen der Stadt, auf der Suche nach dem „Fundbüro". Außer uns ist fast niemand auf der Georg-Schwarz-Straße unterwegs, die Lichter des Sonnenstudios gegenüber unserer Haltestelle sind schon aus. Im Eckladen brennt aber noch Licht, und schon aus der Entfernung erkenne ich im Schaufenster des Ladenlokals die alten Wohnzimmersessel meiner Oma. Wir befinden uns im Leipziger Stadtteil Lindenau. Dieser unterscheidet sich stark vom touristischen Zentrum. Die engen Straßen hier sind nur schlecht beleuchtet. Neben einem alten Haus nippen ältere Männer an ihrem Bier. Wir werden auf ein orangenes Schild aufmerksam: „FUNDBÜRO".
Hier ist unsere erste Station der Stadt Karawane. Unsere Gruppe wird von den Gastgebern Paggy und Ingrid freundlich begrüßt. Ins „Fundbüro" bringen verschiedene Menschen Erinnerungsstücke aus DDR-Zeiten. Da steht ein Dia-Projektor, wir sehen Parteiabzeichen, Ausweise. Nach einer netten Plauderei mit den Inhabern Paggy und Ingrid über die Organisation und die Ausstellung verlassen wir das Büro.
Hotdog-Art
Auf der leeren Georg-Schwarz-Straße treffen wir auf eine andere Teilnehmergruppe der Stadt Karawane. Gemeinsam gehen wir in den Laden „Beard brothers - Hot Dog Company". Es ist die nächste Station laut unserem Zettel. Durch das Fenster sehen wir die innen stehenden Besucher, eine goldrosa Tapete und eine kleine reflektierende Diskokugel. Anstatt Blumenvasen stehen überall Wasserflaschen, in denen Gerberas stecken. Am Eingang führen drei auf Bierkästen sitzende Männer eine lebhafte Unterhaltung.
Wir treten ein und treffen Christoph. Er hat zusammen mit zwei Freunden vor wenigen Monaten diesen Hotdog-Laden eröffnet und ist eigentlich Aktfotograf. Mittlerweile fotografiert er nur noch ein paar Mal im Jahr. Er sagt: „Am schwersten fällt es mir, in wenigen Stunden dem Model so nahezukommen, als ob sie meine Freundin wäre". Christoph vergleicht die Fotografie mit der Liebe. „Ich kann mich den Zicken nicht anvertrauen, die nur daran denken, wie ihr Körper auf den Fotos aussehen würde".
Zwischen der Diskokugel im Schaufenster und der glänzenden Mustertapete erzählt er uns, warum er den Laden wie das Eingangszimmer eines Bordells gestaltet hat. So kämen neben Laufkundschaft und Anwohnern auch Schlipsträger in den Laden, die sich durch das Ambiente des Gourmet-Hot-Dog-Ladens angezogen fühlten. Christoph arbeitete früher in Hamburg, hatte aber genug von der dortigen Schickeria und kam deswegen nach Leipzig. Hier fühlt er sich wohl, die Stadt sei toll, sagt er. Als ich auf die Uhr schaue, sind bereits 60 Minuten vergangen. Unsere Zeit ist damit abgelaufen, aber ich bleibe noch für einen Hot Dog und ein bisschen Lokalpatriotismus.