Unter dem Motto „Schulstreik für das Klima" begann die 16-jährige Greta Thunberg im August 2018 vor dem schwedischen Reichstag für die Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens zu kämpfen. Schüler aus aller Welt schließen sich seither jeden Freitag dem Kampf um die Rettung unserer Erde unter dem Hashtag „fridaysforfuture" an. Beim Anblick dessen, was sich da außerhalb der Klassenräume auf den Straßen abspielt, kommen unweigerlich Erinnerungen an vergangene Zeiten auf - allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: Der Digitalisierung.
Die Digitalisierung befeuert Widerstand: soziale Medien vereinfachen die Reichweite, Organisation und Sichtbarkeit von Protestaufforderungen und ermutigen junge Menschen, ihre ganz eigenen Wege zu finden, sich politisch auszudrücken. Das wird auch auf der Bühne des TdJW deutlich, auf der wir zu Beginn des Stücks „Teenage Widerstand" zunächst einmal mit den negativen Folgen dieser Entwicklung konfrontiert werden: die unbändige Nachrichten-Flut, die ungefiltert auf den Alltag der Jugendlichen einbricht. In ihrer Blase aus Schule, Hobbys und Familie konsumieren die Schüler wie selbstverständlich und unbeeindruckt das Meer an Informationen, das via Smartphone oder Fernsehen auf sie einströmt - von Protest keine Spur. Ganz im Gegenteil: Im Gleichschritt bewegen sich die 15 Heranwachsenden in die Vergangenheit, in eine von Gleichschaltung, Überwachung und Ausgrenzung dominierte Zeit, in welcher diejenigen aus der Reihe fallen, die anders sind, anders aussehen, anders denken.
So switchen wir von der Gegenwart in das Zeitalter der Leipziger Meuten und werfen einen Blick in die Geschichte des Widerstands, in der sich die jungen Schauspieler selbstbestimmt, kraftvoll und laut dem Nichtssagen musikalisch und tänzerisch zur Wehr setzen. Sie klären auf, hinterfragen und präsentieren selbstkomponierte Songs über Ablehnung, Wutbürger, Gedichte über das Freisein und teilen auf diese Weise ihren ganz persönlichen Teenage Widerstand. Hier darf also der Nachwuchs das Wort ergreifen beziehungsweise über das Bühnenmikrofon mitteilen, wo und an welcher Stelle Ablehnung beginnt. Und da sich fast alle Texte aus Aussagen der Jugendlichen selbst zusammensetzen, sind es vor allem die alltägliche Themen - Zukunftsängste, Subkulturen, freie Liebe, Umweltprobleme und Markendenken -, welche die Teenies gegenwärtig beschäftigen.
„Dies sind unsere Träume, die wir sagen. Dies ist unsere Zukunft, die wir einfordern." - Im Vordergrund der Inszenierung steht unüberhörbar die Stimme der Jugendlichen, weshalb ein Großteil der Inhalte leider gesellschaftlich unreflektiert bleibt. Andererseits umgeht die Produktion mit dieser Perspektive das Dilemma, dass Erwachsene von einem Phänomen erzählen, das von einer viel jüngeren Generation ausgeht. Das Ergebnis ist ein direktes und authentisches Bühnenstück, das nicht nur die unterschiedlichen Aspekte von Widerstand beleuchtet, sondern auch das Leben ihrer Protagonisten: Teenager, die inspiriert sind von Idolen wie Greta Thunberg und nicht in der Vergangenheit stehen bleiben wollen. Es ist es also mehr das ,Wie' als das ,Was', mit dem es den 13- bis 18-Jährigen gelingt, aus ihrer Komfortzone auszubrechen. Soll heißen: Es ist vor allem die Entschlossenheit, welche die Schüler antreibt; die Hartnäckigkeit, die sowohl in der schauspielerischen Leistung als auch in der Konsequenz der Aussagen liegt; der ungebremste Wille mit kleinen Dingen Großes zu bewirken und zu guter Letzt die Zuversicht der jungen Generation, die auch unsere - etwas vertrockneten - rebellischen Jugendaugen wiederbelebt. Am Ende der einstündigen Protest einheit an der Widerstandsschule blicken wir auf ein stolzes Ensemble und ein intensives, lustiges und nachdenkliches Stück, das uns mit einem würzigen Happen Entschlossenheit in die Freiheit entlässt.
Web: www.theaterderjungenweltleipzig.deHinter den Kulissen der Widerstandsschule:
Interview mit Caroline Mährlein, Regisseurin „Teenage Widerstand“
Für Caroline Mährlein, die selbst früh Theater-Erfahrung sammelt, steht beizeiten fest, dass sie einmal die Leitung eines Jugendclubs übernehmen möchte. Nach dem Studium der Kultur-, Medien- und Theaterpädagogik sowie unzähligen Praktika, verschlägt es die gebürtige Hallenserin 2014 an das Theater der Jungen Welt, wo sie in der Spielzeit 2018/19 nicht nur ihrem Traum nachgeht, sondern auch in die Regisseurinnen-Rolle schlüpft. Wobei Caroline Mährlein darauf besteht, dass die „Widerstandsschule“ vor allem ein kollektives Produkt ist; eine Verflechtung von Bühne und Kostüm (Elena Köhler), Choreographie (Joy Alpuerta, Lukas Steltner), Musik (Cornelia Friederike Müller), Video (Sebastian Schimmel) und Dramaturgie (Winnie Karnofka) und niemals ohne das Engagement der Jugendlichen realisiert worden wäre.
Klingt, als seien die Teenager nicht nur die Helden unserer Zeit, sondern auch die Helden ihres eigenen Stücks. Wie bist du auf die Kids aufmerksam geworden?
Es gab ein Casting (lacht) – bzw. eher eine Art Workshop, in dem die Jugendlichen von ersten Widerstandsmomenten berichten sollten. Auf diese Weise konnten wir Eindrücke darüber gewinnen, wie sie sich auf der Bühne bewegen. Ein Lied, von diesem Tag ist übrigens auch im finalen Stück gelandet.
Heißt, die Inhalte stammen von den Kids selbst?
Ja. Vor dem Casting stand eigentlich nur die Idee: Ziel sollte sein, die Lebenswelten der jungen Menschen abzubilden. Zeitgleich bin ich auf den Stoff der Leipziger Meuten aufmerksam geworden, der inhaltlich sehr gut zu dem Alter und zu den Ereignissen passte, die sich parallel dazu in der Öffentlichkeit abspielten. Emma Gonzalez, die Vorfälle in Chemnitz, Greta Thunberg – um nur einige Beispiele zu nennen –, all das spielte sich während unserer Vorbereitungen und Proben ab. Wir haben dann die Jugendlichen gebeten, selber Texte zu diesem Thema zu verfassen. Maria hat dann beispielsweise einen autobiographisches Text über die Chemnitz-Demo verfasst, Johannes einen satirischen Wutbürger-Song auf dem Akkordeon und Laura aus Kolumbien ein Gedicht über das Freisein – allesamt waren so gut, das wir daran kaum etwas geändert haben. Der Text des Stücks generierte sich also größtenteils aus individuellen Schreibaufgaben, autobiografischem Material und Spielimprovisationen sowie historischen Fragmenten zu den Leipziger Meuten. Auf der Bühne zu erleben ist eine Collage aus Musik, Tanz und Schauspiel.
Waren persönliche Widerstandsmomente ein Teilnahmekriterium?
Nein, aber es ist schon so, dass die Inhalte den Jugendlichen teilweise die Augen geöffnet haben, sodass sie sich seither auf unterschiedliche Weise auch selbst engagieren. So ist Freya beispielsweise während der Proben auf Greta Thunberg aufmerksam geworden und seither Teil der „Fridays For Future“-Bewegung – sie kam glücklicherweise trotzdem gerade so pünktlich zu der Konzeptionsprobe. (lacht)
Teenage Widerstand thematisiert aber nicht nur politischen Protest, sondern weist auch darauf hin, dass Widerstand – je nachdem, wie wir den Begriff definieren – im Kleinen beginnt, oder?
Das stimmt. Wir haben auch versucht zu beleuchten, was der Begriff im Alltag bedeutet. Protest beginnt auch Zuhause, wenn man gegenüber Eltern oder Mitschülern zu seiner Sexualität stehen muss.
Da gibt es ja sicherlich Unterschiede zu den Protestbewegungen, die sich zu Zeiten des Nationalsozialismus abspielten?
Ich bin der Meinung, dass der Pathos, also der Idealismus, der dem Widerstand zugrunde liegt, gleich geblieben ist. Dieser positive, hoffnungsvolle Blick, mit dem Jugendliche früher wie heute in die Zukunft blicken, liegt jungen Menschen einfach inne. Der größte Unterschied ist natürlich, dass in Deutschland mittlerweile keine Diktatur mehr herrscht, sondern wir im Vergleich zur NS-Zeit in einem freien, emanzipierten Land leben – noch! Dahingehend hat unsere Generation der vorherigen etwas voraus. Zum heutigen Widerstand kommen die sozialen Medien, die es den Jugendlichen viel leichter machen, sich weltweit zu vernetzen. Auf der anderen Seite birgt das Netz aber auch die Gefahr der Informationsflut: zu viele Nachrichten, die tagtäglich – teilweise überbordend – auf die Jugendlichen einschmettern. Es ist sicherlich auch eine Herausforderung sich in so einer Welt zurechtzufinden, auch wenn man dadurch nicht mehr behaupten kann, man habe Dinge nicht mitbekommen. Prinzipiell würde ich mir aber nicht anmaßen zu wissen, wie es 1968 als Protestler war oder eben zu Zeiten des Nationalsozialismus, auch wenn wir im Stück den Perspektivwechsel wagen.
Warum geht uns dieser Idealismus, von dem du sprachst und der auch im Stück deutlich zu spüren ist, im Alter verloren?
Schwierige Frage – um das beantworten zu können, müsste man eine Begegnung von Jung und Alt initiieren. Aber ich könnte mir vorstellen, dass es dieser Schritt aus der Komfortzone ist, der vielen Erwachsenen so schwer fällt, der Ausbruch aus dem Alltagsstrudel, den die meisten nach der Medienbeballerung nicht wagen: Der Weg über das zur-Kenntnis-Nehmen und Analysieren hinaus in das Machen, das wirklich was-verändern-Wollen.
Sind Jugendliche am Ende die konsequenteren Protestler?
Ich würde sagen ja. Jugendprotest funktioniert ein bisschen spontaner, emotionaler und situativer. Jugendliche fangen da an zu rebellieren, wo unsereiner aufgegeben hat. Daher bin ich auch der Meinung, dass es Teenage Widerstand immer geben sollte und wird. Der Glaube an eine bessere Welt, die zwar noch vor den Heranwachsenden liegt, aber die sie gestalten sollen und wollen, ist existenziell. Deshalb heißt es Durchhalten und wie wir es in unserem Widerstands-Rezept formulieren: Schmausdauer haben!