„Jede Erfahrung hat ihre Berechtigung und sollte gehört werden"
Wenn Frauen über Mutterschaft schreiben, wird es entweder für banal gehalten oder eklig oder anmaßend, nach dem Motto: Warum macht sie so viel Lärm um ihre trivialen Erfahrungen?Eine der verächtlichen Reaktionen, die mich tatsächlich verletzt hat, kam von einer Journalistin vom Guardian. Sie ist in meinem Alter, sie war jemand, den ich bewunderte, ich las ihre Kolumnen, sie ist Feministin, sehr witzig. Eines Tages ging es in ihrer Kolumne um mich: „Wie kann sie denken, dass sich jemand für ihr blödes Baby interessiert?" Es war sehr unerfreulich, schrecklich, ich war geschockt, ich kann seitdem nichts mehr von ihr lesen, wirklich traurig. Zwei Jahre später bekam sie selbst ein Kind, nach sechs Monaten schrieb sie eine Kolumne mit dem Titel „Ich und mein Baby".
Wenn Frauen darüber reden, wie hart es manchmal ist, Mutter zu sein, wenig zu schlafen, die Karriere den Bach runtergehen zu sehen, heißt es oft: Die Mütter von heute beschweren sich nur noch. Wie kann man Klartext übers Mutterwerden sprechen, ohne im Beschwerdemodus stecken zu bleiben?Sie dürfen nicht denken, dass es nur darum geht, sich zu beschweren.
So wird es wahrgenommen.Jede Erfahrung hat ihre Berechtigung und sollte gehört werden. Ich habe eine Freundin, sie ist in meinem Alter, sie hat sehr spät ihr erstes Kind bekommen, sie wollte es so sehr, hat alles dafür getan. Sie ist Künstlerin und eine sehr ehrliche Person. Jetzt sagt sie: Ich hasse es, Mutter zu sein! Es ist schrecklich! Solche Sätze sind manchmal schwer auszuhalten, aber sie müssen doch gesagt werden dürfen. Ich bin für schonungslose Ehrlichkeit.
Eine Konsequenz Ihrer eigenen Ehrlichkeit war, dass Sie nach Ihrer autobiografischen Erzählung „Aftermath" eine Schreibkrise erlebten. Sie wurden danach von der Kritik als angeblich „meistgehasste Frau Englands" beschimpft. Als Sie dann ihre Roman-Trilogie schrieben, ließen Sie die Erzählerin fast verschwinden hinter den Erlebnissen der Menschen, denen sie begegnet. Sehen Sie da einen Zusammenhang?Es hat mich nie interessiert, mein Schreiben von meinen eigenen Erfahrungen zu trennen, ich hätte nie einen Roman über den Ersten Weltkrieg schreiben wollen. Als ich Kinder bekam, musste ich darüber schreiben. In dieser Zeit schien die Vorstellung, einen Roman in die Hand zu nehmen und über Menschen zu lesen, die sich jemand ausgedacht hat, absolut unmöglich. Eine autobiografische Erzählung ist die Form der intimen Erfahrung, während der Roman versucht, diese Erfahrungen in einen sozialen Kontext zu stellen. Bei „Aftermath" stellte ich aber fest: Das funktioniert nicht. Ich machte mich selbst zum Ziel, die Leute konnten sagen: Oh, sie schreibt die ganze Zeit nur über sich selbst und sie fühlt all diese Sachen, die wir nicht fühlen. Also dachte ich: Wenn ich noch etwas sagen will, muss ich einen neuen Weg finden, und „Outline" [Der erste Teil von Cusks Trilogie, Anm. d. Red.] war das, was mir dann einfiel. Ich musste lange darüber nachdenken, bevor ich wusste, was nicht funktioniert hatte. Mich selbst zu entblößen war das, was nicht funktionierte. Ich entblöße mich nicht weniger in meinen neuen Büchern, vielleicht sogar mehr, aber auf eine Weise, die niemand sehen kann.
Ihr neues Buch trägt den Titel „Kudos", was man mit Anerkennung übersetzen könnte. Was bedeutet das für Sie?Die Frage, die mich bewegte, lautete: Ist Leiden sinnlos? Ich wollte herausfinden, ob diese klassische griechische Idee, dass man leidet und am Ende dafür belohnt wird, stimmt. Alle Figuren im Buch erzählen davon, dass ihr Leiden ihnen einen Sinn gegeben hat. Selbst, wenn es aussah, als ob sie falsch lagen, wurden sie am Ende belohnt oder fanden ihre Freiheit. Auch die Erzählerin findet am Ende ihren inneren Frieden.
Die Hauptfigur ihrer Trilogie ist die Schriftstellerin Faye, deren eigene Lebensumstände wenig Platz einnehmen. Sie ist eher passive Zuhörerin, umgeben von Figuren, die über ihre Beziehungen, Träume und Abgründe reden. Ist es nicht interessant, dass die Bücher, in denen Sie die Ich-Erzählerin nahezu auslöschen, die Bücher sind, für die Sie das größte literarische Lob erhalten?Ja, mir wird schlecht, wenn ich daran denke.
Auf dem Umschlag des Buches preist Sie ein Kritiker als „besser als Knausgård". Es braucht anscheinend einen Mann, um zu beschreiben, was Sie tun.Und ich bin mir sicher, dass Knausgård viel mehr Geld verdient als ich.
Eine Frau kann nur als Spiegel eines erfolgreicheren Mannes existieren?Mir ist das egal. Von einem künstlerischen Standpunkt aus gesehen bewundere ich Karl Oves Projekt.
Er schreibt auch über das Häusliche und wie es ist, ein Mann zu sein. Und er wird dafür gefeiert. Wenn Frauen über solche Themen schreiben, gilt es als Frauenliteratur.Das war schon immer so. John Updike und all die anderen männlichen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts bekamen dafür Applaus, dass sie über die Spüle in der Küche schrieben. Frauen verärgert das. Aber ich sehe das nicht so. Ich würde sagen: Gebt ihnen diesen Raum! Es gibt in Männern ein großes Bedürfnis danach. Eins der lustigen Dinge, die meine Töchter sagen, ist: Es gibt nichts Schlimmeres im Moment, als ein weißer Mann der Mittelklasse von durchschnittlicher Intelligenz zu sein. Und ich sage: Okay. Gib ihm das, Baby! Das Beste für diese Männer könnte sein, sich mehr um den Haushalt zu kümmern, Erzieher oder Grundschullehrer zu werden. Wahrscheinlich sehnen sie sich danach, wie sich Frauen nach Macht sehnen. Man würde ihnen einen Gefallen tun, wenn man ihnen mehr Raum im Häuslichen gibt. Und dann könnten Frauen die Macht und die Arbeit mehr genießen. Das ist der Rat, den ich meinen Kindern gebe: Holt euch einen netten, fürsorglichen Mann.
Das können wir auch empfehlen. Viele Frauen scheinen darüber gar nicht nachzudenken. In Geburtsvorbereitungskursen trifft man gut ausgebildete Frauen, die Männer dabeihaben, die sich weigern, eine Babypause einzulegen. Und wenn sie dann als Mütter in eine traditionelle Rolle hineinrutschen, während der Partner weiter Karriere macht, scheinen sie überrascht darüber, als hätten sie das nicht bedacht. Wir sind ein wenig enttäuscht von unserem eigenen Geschlecht.Viele kultivierte Frauen, die ich kenne, geben offen zu, dass sie keinen Mann respektieren könnten, der mit dem Baby zu Hause bleibt. Sie würden ihn nicht anziehend finden, ihre Mechanismen der Anziehung würden nicht funktionieren. Da muss ich sagen: Dein Mechanismus ist falsch. Krieg das raus aus dir! Und finde heraus, warum du so konditioniert wurdest, diese Art der Maskulinität stimulierend zu finden.
Was hat #MeToo dazu beigetragen, dass man heute Mitleid mit dem weißen, mittelalten Mann hat?Meine ältere Tochter hatte eine Phase, in der sie sagte: „All men are trash." Das war wie ein Slogan für sie - dabei sind die meisten ihrer Freunde Männer. Und sie fühlte sich bestätigt, wenn ihre Freunde auch sagten: Ja, alle Männer sind Müll. Im Sinne von: Diese Art der Männlichkeit lehne ich ab, ich werde eine andere Art Mann sein. Solche radikalen Statements sind auch die Folge von #MeToo. Ich kommentiere das nicht, aber meinen zweiten Mann regt es auf, wenn meine Tochter so redet. Er versucht dann, ihr zu erklären, dass nicht alle Männer Müll sind. Inzwischen hat meine Tochter damit aufgehört. Vielleicht auch, weil sie ernst genommen hat, was mein Mann sagt. Vielleicht auch, weil sie gemerkt hat, dass man so pauschal über Menschen nicht reden kann.
Denken Sie, dass bei der Debatte etwas herausgekommen ist, außer dass Tyrannen wie Harvey Weinstein kriegen, was sie verdienen?Der Missbrauch von Frauen in der Gesellschaft, häusliche Gewalt, Belästigungen am Arbeitsplatz, werden hoffentlich weniger akzeptiert. Ich würde mir wünschen, dass sich ein Bewusstsein dafür entwickelt, bei der Polizei, bis in die Regierung hinein. Wenn es diesen Effekt hat, wäre das schon viel. Was Männer und Frauen in ihrem Privatleben betrifft - wie soll Veränderung passieren? Ich versuche, meine Lebenserfahrung an meine Kinder weiterzugeben, sodass sie nicht noch mal dieselben Fehler machen.
Sie haben mal den britischen Schriftsteller D.H. Lawrence zitiert, dass manche Menschen einen weiten Weg gehen müssen, um Freiheit zu erlangen. Haben Sie das Gefühl, angekommen zu sein? In Ihrem Alter verschwinden Frauen oft, Schauspielerinnen bekommen keine Rollen mehr.Ich habe sehr lange gebraucht, um viele Dinge zu verstehen. Wenn ich mit achtzehn gewusst hätte, was ich heute weiß, wäre mein Leben anders verlaufen. Das tut mir sehr leid, denn ich kann dieses Leben nicht noch mal leben. Deshalb schaue ich ja auf meine Töchter: Ihr seid achtzehn, aber ihr könnt euer Leben mit all meiner Erfahrung in euch leben. All die Sachen, die ich gerne gewusst hätte, wisst ihr. Macht damit, was ihr wollt. Zumindest habe ich die Dinge aufgeschrieben, also habe ich meine Zeit nicht verschwendet. Aber ich habe mich definitiv nicht genug amüsiert.
In Ihrem Buch sinniert ein Journalist in einem Interview mit der Protagonistin darüber, welche Beziehung Autoren zu ihren Büchern haben. Einige, sagt er, erinnerten sich nicht mal an das, was sie geschrieben haben. Wie ist das bei Ihnen? Können Sie Ihren ersten Roman „Saving Agnes" noch lesen?Wahrscheinlich nicht! Aber ich erinnere mich an jeden Satz, den ich geschrieben habe - außer meine ersten zwei Bücher, die ich nur halbwach geschrieben habe. Nachdem ich einmal herausgefunden hatte, was ich eigentlich mache, erinnerte ich mich an alles. Ich kenne das, was ich geschrieben habe, sehr gut. Ich würde mich nicht unbedingt hinsetzen und es lesen, aber ich weiß, was ich dort fände. „Kudos" habe ich noch nie gelesen.
Sie haben das Manuskript abgegeben und es nie wieder angesehen?Ich habe es geschrieben, so wie es jetzt ist. Mein Lektor hatte ein, zwei Anmerkungen und das war's. „Outline" habe ich letztes Jahr zum ersten Mal gelesen, das hat mir wirklich Spaß gemacht.
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