Ein Freitagabend Ende Juni, Platz der Luftbrücke, der Eingang zum Polizeipräsidium liegt im Dunkeln. Wo bitte geht's zum Social Media Team? - Wat wollnse? Die Nachtwächterin schiebt ihr Ohr näher an die Glasscheibe. Könnse dit ma buchstabieren? So-ci-al... Die twittern doch heute die ganze Nacht!
Die Frau sieht endgültig verwirrt aus. Keene Ahnung, wo die da wat veranstalten. Sie probiert eine Telefonnummer. Niemand hebt ab. Was jetzt? Anchatten?
24 Stunden TwitterDie Beamten sind jedenfalls bei der Arbeit, so viel lässt sich sagen. Seit 19 Uhr twittern sie alles, was die Polizei so in der Stadt macht, vierundzwanzig Stunden lang:
Protokoll des ganz normalen Großstadtwahnsinns. Alltag der Berliner Polizei zum Mitlesen. Feinste Realsatire. Ein paar Tausend Tweets gehen bei so einem Twitter-Marathon raus. Es ist der vierte, den die Berliner Polizei veranstaltet.
Ein Imagegewinn so groß wie nieKeine Organisation hat in den vergangenen Jahren durch ihre Präsenz in sozialen Netzwerken einen derartigen Imagegewinn erreicht wie die Polizei. Der Behörde ist es gelungen, im Internet das Bild einer bürgernahen und modernen Polizei zu zeichnen.
Schätzungsweise 400.000 Nutzer folgen den beiden Twitter-Kanälen der Berliner Polizei, das sind mehr knapp doppelt so viele wie bei der Berliner Zeitung. Auf Facebook kommen noch mal rund 170 000 Fans dazu.
Einblicke auf TwitterDie Beamten geben Einblick in ihre Arbeit, der Ton ist locker, der Humor lakonisch - diese Stadt ist oft so irre, dass es für eine Pointe keinen großen Komiker braucht. Es reicht, zu berichten, was passiert:
Die Polizei, das ist in den sozialen Netzwerken ein lustiger Verein, ein aufregender Arbeitgeber, dein Freund und Follower. Wenn das Social Media Team einen Fahndungsaufruf postet, teilen das Hunderte Nutzer, liken, kommentieren: Viel Glück und danke, liebe Polizei.
Lust an der StaatsgewaltWas ist da los? Woher kommt diese neue Lust an der Staatsgewalt, mit der ein Kontakt nach der ersten Verkehrserziehung im Kindergarten eigentlich meist nichts Gutes bedeutet: #IhrePapierebitte #Überfall #MordundTotschlag.
Die alte Polizei, die kontrolliert, fahndet, festnimmt, auf Demonstrationen unverhältnismäßig hart durchgreift wie gerade beim G20-Gipfel, die gibt es ja immer noch.
Dieser Job, so rufen Polizei und Gewerkschaft seit Jahren, ist so hart wie nie. Beamte würden bespuckt und beschimpft, kein Respekt mehr, dazu Überstunden und schlechte Bezahlung. Wie geht das zusammen, die alte und die neue, die reale und die virtuelle Welt?
Twittern aus der EinsatzleitstelleIrgendwann ruft endlich die Pressestelle zurück, winkt jemand aus dem Fenster im dritten Stock des Präsidiums: Huhu! Wir holen Sie ab, einen Moment, bitte.
Das Social Media Team sitzt an diesem Abend in einem Großraumbüro, zu dem man über verlassene Gänge gelangt: die Einsatzleitstelle. Dutzende Schreibtischreihen, an jedem Platz vier Bildschirme, dazu mehrere Telefone. Hier gehen alle Notrufe ein, von hier aus werden die Funkwagen losgeschickt.
Snapchat erreicht die JungenHauptkommissarin Yvonne Tamborini und ihre Leute haben sich mit Laptops am Fenster postiert, zwischen ihnen Gummibärchen und Salzstangen, Mate und Fassbrause. Eine junge Polizistin läuft mit zwei Smartphones durch die Reihen, schießt Fotos für Snapchat, seit einem Jahr erreichen sie so auch die ganz Jungen, die Facebook längst nicht mehr interessiert.
Yvonne Tamborini hat das Social Media Team aufgebaut. Sie kam von der Kripo, hatte viele Jahre lang Gaststätten, Bordelle, Spielhallen kontrolliert, seit 2005 ist sie in der Verhandlungsgruppe der Polizei, Krisenkommunikation: Geiselnahmen, Erpressungen, Entführungen. „Es war wohl auch diese Kombination, warum ich gebeten wurde, das Thema Social Media anzugehen."
Besuch in den NiederlandenDas war 2012. Ein Jahr zuvor hatte die Polizei Hannover als erste in Deutschland ein Facebook-Konto eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt nutzten schon gut siebzehn Millionen Deutsche die Plattform. Die Bürger, denen die Polizei näherkommen will, sie sind hier, greifbar wie nie zuvor.
Tamborini reiste in die Niederlande, wo die Polizei längst digital arbeitete; sie analysierte Zielgruppen und ihre Onlinenutzung, Datenschutzbestimmungen und polizeiinterne Richtlinien, beschaffte Smartphones und Tablets mit freiem Zugang zu den sozialen Netzwerken. 2014 stellte die Polizei Berlin ihren ersten Tweet ins Netz.
„Unsere ersten Tweets waren holprig", sagt Tamborini. Aber sie lernten schnell. Am Anfang waren sie zu zweit, heute arbeiten sechs Beamte, drei Männer, drei Frauen, fest im Team. „Man muss unwahrscheinlich von seinem Beruf überzeugt sein, um hier arbeiten zu können", sagt Tamborini. Sie sagt, sie selbst sei begeisterte Demokratin. Deshalb sei sie zur Polizei gegangen.
Die Grundhaltung muss sitzen. Sie sehen sich als Markenbotschafter. „Wir sagen klar, Polizist, das ist ein geiler Job."
Sir Henry und Welpe DinaAuf Facebook greift diese Polizei schon mal einen Hamster in einem Berliner Park auf, tauft ihn Sir Henry und fährt mit ihm Streife: #dafuerdich. Sie rettet alte Damen aus misslichen Lagen und stellt Bilder der Spürhundwelpen Dina und Oskar ins Netz.
Früher hätte es so eine Geschichte höchstens auf die hinteren Seiten eines Lokalblattes geschafft, jetzt sehen das Tausende Menschen, klicken „Gefällt mir" und kommentieren: Wie süß! <3
Twittern aus der Wohlfühlzone„Die Polizei bewegt sich in den sozialen Netzwerken in einer Wohlfühlzone", sagt Rafael Behr. Er ist Leiter der Forschungsstelle Kultur und Sicherheit an der Hamburger Polizeiakademie. Er nennt die Social Media Teams die Sonnenscheinpolizisten, die niemandem wehtun. „Wenn es ernst wird, wenn der Staat etwas will von seinen Bürgern, dann geschieht das ja nicht auf Twitter."
Die hohe Sichtbarkeit in den sozialen Netzwerken verschiebt die Wahrnehmung. Hierarchien weichen auf, wenn der Polizist im Netz genauso spricht wie man selbst.
Polizeiarbeit bleibt hartNatürlich ist das eine Täuschung. Und die Arbeit der Polizei ist ja so bürokratisch, oftmals dreckig und brutal wie eh und je, auch wenn virtuell gekuschelt und gebusselt wird.
Behr warnt vor einem Respektverlust durch diese neue Lockerheit, wo die Menschen eigentlich Korrektheit erwarten. Klar, wolle niemand martialisch auftretende Rambo-Polizisten. „Aber wenn es sprachlich allzu flapsig wird, droht die Polizei Autorität einzubüßen."
Twittern aus der Amtsstube
Wohlfühlzone. Sonnenscheinpolizei. Es ist ein paar Tage nach dem Twitter-Marathon, Yvonne Tamborini sitzt in ihrem Büro, das so aussieht wie jede beliebige Amtsstube. Sie grummelt. „Dass es bei uns auch mal hart zur Sache geht, weiß ja jeder", sagt sie. „Darüber berichten wir auch."
Die Reaktionen auf so einen Tweet, den das Social Media Team vergangene Woche während der Räumung eines Kiezladens in der Neuköllner Friedelstraße absetzte, sind dann überwiegend auf der Seite der Polizei. #GoodJob.
Lob vom NetzKritik fällt immer schwer, wenn das Netz sich vor Lob überschlägt. Gerade hat das Social Media Team einen offenen Brief auf Facebook gepostet. „Ja, wir haben gefeiert", so beginnt der Text. Drei Hundertschaften waren vom G20-Gipfel vorzeitig nach Hause geschickt worden, weil die Polizisten eine ausschweifende Party gefeiert haben. „In unserer Einsatzkleidung stecken Menschen", schrieb das Social Media Team.
Einen Tag später hat der Post mehr als fünf Millionen Menschen erreicht, 120 000 Likes, 30 000 Kommentare. „Der Horror", sagt Tamborini. Und meint die Wahnsinnsarbeit, die es macht, einen viralen Post unter Kontrolle zu bekommen.
Die Botschaft der Polizei auf FacebookSie hat Überstunden angeordnet, damit alle Kommentare abgearbeitet werden. Aus den allermeisten klingt diese typische Berliner Schnodderigkeit: Schnaps ist Schnaps, Dienst ist Dienst. Lasst es krachen, ihr habt's euch verdient.
Die Botschaft der Polizei ist angekommen, direkt, vorbei an den alten Zwischenhändlern, den Journalisten, die früher fast allein darüber entschieden, was die Öffentlichkeit erreicht. Auch vorbei an der Pressestelle, mit der sie sich zwar immer wieder absprechen, grundsätzlich aber hat das Social Media Team eine Autorisierung des Präsidenten.
Polizei im ShitstormVielleicht ist es Glück, dass die Berliner Polizei sich bisher nahezu unbeschadet durch die sozialen Netzwerke bewegt hat, wo eine falsche Wortwahl schnell mal einen Shitstorm auslöst.
Die Polizei Schwerin suchte im Februar 2016 via Twitter nach „2 türkischen Tätern", von denen einer aussähe „wie ein Indianer"; ihre Kölner Kollegen benutzte an Silvester in einem Tweet das Wort „Nafri", als sie Männer nordafrikanischer Herkunft festnahmen. Es folgte eine Rassismusdebatte. Fragen der Political Correctness werden im Netz immer am lautesten diskutiert.
Seltener dringen die Mahnungen von Datenschützern durch. Bisher nimmt die Polizei in Kauf, dass sie innerhalb eines Systems arbeitet, dessen Regeln einigermaßen intransparente Konzerne machen, die sich, im Fall von Facebook, nicht an deutsche Datenschutzbestimmungen halten.
Zumindest teilt die Berliner Polizei deshalb Fahndungsfotos nur per Link und postet keine Aufnahmen von Demos. Reicht das?
Der Cyberkriminologe warntAnruf bei Thomas-Gabriel Rüdiger in Oranienburg, er ist Cyberkriminologe und statt einer Antwort stellt er erst mal eine Frage: „Sind Sie schon mal bei Rot über die Ampel gegangen? Ja? Und warum haben Sie das gemacht?" Weils mal wieder schnell gehen musste, weils alle machen. Und natürlich bleibt man stehen, wenn ein Polizist zu sehen ist.
Darauf will Rüdiger hinaus. Er nennt das das „Broken Web", das kaputte Netz, und meint damit, dass zwar auch hier Gesetze gelten, nur: „Gefühlt ist das Internet für viele ein rechtsfreier Raum." Weil kein Polizist in Sicht ist, der über die Regeln wacht: #Hatespeech #Cybermobbing #Cybergrooming.
Die Polizei in der digitalen WeltDer sexuelle Missbrauch von Kindern im Netz, wo Täter Kontakt in scheinbar harmlosen Onlineplattformen und -spielen aufbauen, ist Rüdigers Thema. Was das mit der Polizei auf Facebook zu tun hat? Wenn es nach Rüdiger ginge, würde sich die Polizei in der digitalen Welt intensiver mit ihren Aufgabe als Sicherheitsbehörde befassen als mit ihrem Image.
Sie tut das hin und wieder. Und dann mit Erfolg, was Rüdigers These stützt: Als sich auf die Facebook-Einladung zu einer Open-Air-Party im vergangenen Jahr 13.000 Interessierte meldeten, hinterließ die Polizei dort einen Kommentar, in dem sie freundlich darauf hinwies, dass so eine Feier einer Genehmigung bedarf. Die Veranstalter verlegten die Party dann in einen Club.
Rüdiger fordert mehr Polizeipräsenz im Netz. In ganz Deutschland gibt es gut 300 polizeiliche Social Media Kanäle, in den Niederlanden sind es knapp zehn Mal so viele. Wer soll im Netz für Recht und Ordnung sorgen, die Polizei oder die Betreiber von Facebook und Co? „Darüber wünsche ich mir eine ehrliche gesellschaftliche Diskussion", sagt er.
Yvonne Tamborini findet, ihre Facebook-Seite sei längst wie eine virtuelle Polizeiwache. Jeden Tag melden Nutzer ihnen Posts, die sie an die ermittelnden Kollegen weiterleiten. Dass ihre Leute aber im Netz Streife fahren, wie soll das gehen in diesem Nicht-Ort, der keine Grenzen kennt, nicht zwischen Bundesländern, nicht zwischen Staaten? Wer ist zuständig? Wer darf was? Wo hört schützende Polizeipräsenz auf, und wo fängt Überwachung an?
Twittern vom BreitscheidplatzAls 2015 die Anschläge in Paris verübt wurden, verfolgte Tamborini ganz genau, was die französischen Kollegen twitterten. Hinterher sagte sie zu ihrem Team: „Leute, wir werden irgendwann daran gemessen, wie wir mit so einer Krise umgehen."
Als am 19. Dezember 2016 Anis Amri in den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche raste, waren sie vorbereitet. Es war ihr Twitterkanal, über den die Berliner als erstes von dem Anschlag erfuhren.
Drei Tage lang war das Team im Dauereinsatz. Danach, sagt Tamborini, habe sich auch innerhalb der Polizei endgültig durchgesetzt, dass es ihre Arbeit heutzutage braucht, weil sich nirgends so schnell so viele Menschen erreichen lassen wie in den sozialen Netzwerken. So laut kann kein Polizist in ein Megafon schreien.
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