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Das Wohn-ABC: A wie alleine wohnen

Es ist eine Liebesgeschichte, die wie jede Verliebtheit mit viel Unsicherheit begann. Als ich mit 19 in meine erste, eigene Wohnung zog und meine besten Freunde die Möbel ausgeladen hatten, bestellten wir Pizza, tranken Bier und lachten, bis die Haustüre schließlich ins Schloss fiel. Und es zum ersten Mal ganz still war. Ich musste mich anfangs an diese Stille gewöhnen, ich fand sie komisch und auch beängstigend. Mittlerweile kann sie mir gar nicht mehr wegdenken. Ich brauche die Stille – zum Arbeiten, zum Nachdenken, zum Nichtstun und zum wieder Lust auf Lärm bekommen – sie ist zu meinem ständigen Begleiter geworden.

Ohne diese Stille hätte ich in meiner ersten, eigenen Wohnung nicht meine Bachelorarbeit und ein Buch schreiben können. Ich habe ganze Nachmittage dort in einer stillen Melancholie verbracht, in der ich oft unglücklich verliebt war und viel darüber schrieb oder dazu fotografierte. Während die Männer wechselten, war das Alleinwohnen immer die einzig wahre Liebe, die über all die Jahre blieb. In meinen ersten vier Wänden ist so viel entstanden, wenn man so will sogar mein Beruf.

Ich schleppte jedes Wochenende Dinge vom Flohmarkt an und verwandelte mein Zuhause nach und nach in ein liebevolles Sammelsurium, aber gerade, als die Wohnung fertig schien, mussten sich unsere Wege trennen. Ich hatte drei Monate in einer anderen Stadt verbracht, danach trennte ich mich nicht nur von meinem Freund, sondern auch von der ersten Wohnung, in der in jeder Ecke Erinnerungen hingen. An uns, aber auch an mich, wie ich nicht mehr war. Ich verkaufte alles und zog mit ein paar Kisten, einer Matratze und einem Hocker in eine neue Wohnung, in die mich auf Anhieb verliebt hatte: kleiner, unterm Dach, mein Turm.

Auch diese Wände haben mittlerweile viel mit mir erlebt: fünfeinhalb Jahre erwachsen werden, Geburtstage, Begegnungen, Abschiede, Trennungen, Bewerbungen, Texte, Absagen, Zusagen, gute Nachrichten und sehr schlechte. Dabei waren sie immer Refugium und Rückzugsort, sie wurden Kulisse, ohne dass etwas an ihnen haften blieb. Ich sperre hier jeden Tag die Türe auf und mir geht noch immer das Herz auf. Diese Wohnung ist meine Höhle, der Ort, an dem alles gut ist. An dem ich einfach sein und wieder Kraft für draußen tanken kann. Der Ort, an dem ich ankomme.

Eben erste hatte ich zehnjähriges Jubiläum. So viele Jahre wohne ich nun schon allein, komme nachts nach Hause und bin so laut, wie ich möchte, tanze zu schlechtem R’n’B und kaufe nur für mich ein. Niemand isst mir meine Sachen weg oder lässt seine Haare im Abfluss. Ich muss mich über niemanden ärgern, nur über mich selbst. Ich räume auf, wann ich möchte und lasse meine Sachen liegen, wenn ich nicht möchte. Ich schlafe auf der Couch ein und bleibe solange liegen, bis Netflix mich fragt, ob ich noch da bin. Ich arbeite am Sonntagmorgen oder nehme nachts noch ein Bad. Hier darf sich mein eigener Rhythmus entfalten, wie er gerade lustig ist.

Dabei habe ich mich so daran gewöhnt, zuhause allein zu sein, dass ich mittlerweile ein bisschen Angst vor dem Zusammenwohnen habe. Zehn Jahre machen einen ganz schön eigen. Ich habe meine Regeln, die man wahrscheinlich nicht mehr so leicht aus mir herausbekommt: nach dem Essen sofort den Tisch abzuräumen bis hin zu sich über verrutschte Teppiche ärgern. Ich bin ein Kauz geworden, der kompromisslos ist, weil er nie Kompromisse eingehen musste.

Zusammenzuziehen würde für mich deshalb nicht nur bedeuten miteinander zu wohnen, sondern auch einen wichtigen Teil von mir zurückzulassen. Ich wundere mich immer, wie leichtfüßig viele Menschen hier ihre Freiheit aufgeben. Wenn ich diesen Schritt irgendwann mache, dann gibt es wahrscheinlich keinen Weg mehr zurück. Es beginnt ein neues Leben, in dem ich hoffentlich immer noch meinen eigenen Raum, nicht mehr aber meine eigene Wohnungstür habe. Eines Tages zusammenzuziehen würde bedeuten: richtig erwachsen zu werden und Kompromisse eingehen zu müssen. Ich habe Lust darauf, aber auch wahnsinnig Angst davor. Angst, nie wieder alleine zu wohnen, nie wieder so frei und ungestört zu sein wie jetzt. Und trotzdem gucke ich mir manchmal ganz heimlich schon Drei-Zimmer-Wohnungen an. Weil ich auch weiß, dass Liebesgeschichten niemals zu Bequemlichkeit werden dürfen. Und wenn sie das sind, wird es Zeit für etwas Neues.

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