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Kein Drama: Warum fällt es uns so schwer Harmonie auszuhalten?

Es ist ein wirklich schräger Moment, wenn man mit einer Freundin im Café sitzt und gerade dabei ist, anzusetzen, um das nächste Thema zu diskutieren, die nächste Bombe platzen zu lassen, zu analysieren, zu jammern, Ratschläge zu bekommen und man plötzlich merkt: Da ist gar nichts. Nichts, worüber man gerade klagen könnte. Nichts, was dringend eine Veränderung benötigt. Niemand, der einem das Herz gebrochen hat oder über den man sich bei der Arbeit geärgert hat. Ja, man traut es sich fast nicht zu sagen, aber eigentlich ist gerade einmal alles gut.


Jetzt denkst du dir bestimmt: Na und? Was ist das bitteschön für ein Problem, keine Probleme zu haben? Nun ja, auf den ersten, flüchtigen Blick natürlich gar keines, bei genauerem Hinsehen allerdings doch ein ziemlich gewaltiges, denn nicht nur, dass wir uns miteinander größtenteils über Probleme, Ärger und Frust unterhalten, man kommt sich auch irgendwie ganz schön langweilig vor, wenn das Leben sich zumindest gerade einmal in keine Richtung entwickelt.


Ob das gestört ist? Auf alle Fälle. Wer daran Schuld ist? Wie immer natürlich auch das Internet. Jeder, der hier arbeitet, wird das kennen: Ein Tag kommt einem vor wie eine Woche. Der Shitstorm von gestern Mittag ist heute längst vergessen und auf den Schreibtisch liegen längst drei neue Themen, die behandelt werden wollen. Ein Tag ohne Ereignis ist ein Tag ohne Instagram-Foto ist ein nicht vorhandener Tag. Zumindest im Internet.


Nun spiegelt Social Media uns natürlich wenig Probleme, Ärger und Frust wider, aber alleine, dass überall um uns herum so viel los ist, macht uns nachdenklich, wenn bei uns einfach mal nichts los ist. Wenn der Job der selbe bleibt und der Partner auch. Und es an beidem auch nichts auszusetzen gibt. Wenn es keine Ausschläge gibt – in welche Richtung auch immer. Zudem wollen uns sämtliche digitale Plattformen von Tinder bis Monster.de ja ständig weismachen, dass da noch Luft nach oben ist. Stillstand und einfach mal zufrieden sein ist zwischen fünf Millionen Singles und doppelt so vielen Jobs wirklich nicht angebracht.


Natürlich ist es auf der anderen Seite aber auch eine ganz persönliche Sache, denn es gibt ja immer noch genug Menschen, die trotz Internet Harmonie ziemlich gut aushalten können. Bei mir war, seitdem ich denken kann, immer irgendetwas los. Meine Eltern haben gestritten, meine Eltern haben sich getrennt, meine Mama war krank, ich habe bei meinem Papa gewohnt. Und auch dann, als ich von Zuhause auszog, wurde es irgendwie nie langweilig. Wenn ich nicht gerade viel zu viel zu tun hatte, meine Bachelorarbeit zeitgleich mit einem Praktikum machte, wurde mein Herz mal wieder gebrochen oder im besten Fall beides auf einmal.


Kurz gesagt: Wenn ich an die letzten Jahre zurückdenke, weiß ich nicht, wann jemals über längere Zeit klar war, dass alles einfach mal gut war – und dass es auch erst einmal so bleiben würde. Jedes blöde Erlebnis tat zwar weh, konnte aber auch wunderbar in Textform gegossen werden. Ich war in Bewegung. Das tat irgendwie auch gut, was ich nur nicht wusste: Man kann auch blöde Gefühle schreiben. Und man kann lernen, Harmonie auszuhalten. Bei mir hat es nun fast ein Jahr gedauert.


Manchmal merke ich noch, dass ich mir selbst Probleme mache, wo keine sind. Dass ich mich in der Arbeit mehr stresse, als angebracht wäre, dass ich irgendwo etwas hineininterpretiere, um mich darüber ärgern zu können. Und manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich innerlich nur darauf warte, bis das nächste Unheil passiert. Weil ich der Ruhe einfach nicht traue. Doch auch dann, muss ich mich nur ermahnen. Harmonie aushalten, das ist wahrscheinlich eines der schwierigsten Dinge überhaupt.


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