Warum ich weder für noch gegen den Hauptsmoorwald abgestimmt habe. Und warum das die einzig mögliche Wahl war. Eine Polemik.
Ich weiß noch gut, wie mir die Bürgerinitiative für den Hauptsmoorwald zum ersten Mal persönlich begegnete. Das waren zwei Damen, die mit ihren Klemmbrettern über das Kontakt-Festival streiften und die jungen Menschen, die dort in Gruppen beieinanderstanden, fragten: "Wollt ihr verhindern, dass der Hauptsmoorwald abgeholzt wird?"
Und weil um mich viele Freunde standen, die dem studentischen Milieu angehören, klassische Links- und Grünwähler, die auch gern mal in den Wald gehen, sammelten die Damen etliche Unterschriften.
Unredlicher StimmenfangIn diesem Moment verstand ich, dass die Initiative meine Unterschrift niemals bekommen würde. Nicht weil ich grundsätzlich für das Gewerbegebiet war, sondern weil ich das Thema - im Gegensatz zum Großteil der Unterschreibenden - verfolgt hatte und wusste, dass eben nicht der Hauptsmoorwald auf dem Spiel stand. Weil ich diese Art und Weise des Stimmenfangs unredlich fand.
Nun also fand nach Monaten des Sammelns und Streitens, Demonstrierens und Spazierens tatsächlich der Bürgerentscheid in Bamberg statt. Während ich die Diskussionen on- und offline auch mit Bewunderung beobachtete, erfüllte mich die Aufforderung, nun im Rathaus eine Stimme abzugeben, dagegen mit Abscheu. Ich wollte mich nicht zwischen Polen entscheiden, dafür oder dagegen, Gewerbe oder Natur, schwarzrot oder grün. Als würde die Welt so funktionieren.
Eine gewisse GrundskepsisZum Glück gab es ja die dritte Möglichkeit: daheim bleiben.
Schon immer hegte ich gegenüber den Ausprägungen der direkten Demokratie eine gewisse Grundskepsis. Ich bin ein Fan der Annahme, dass gewählte Vertreter dafür bezahlt werden, sich eine Fachkenntnis anzueignen, auf deren Basis sie Kompromisse finden. Mit allen Makeln dieser Annahme: Niemand garantiert mir, dass der, den ich wähle, kein Schwachkopf ist. Das muss ich aushalten.
Im Moment der direkten Demokratie gibt der Vertreter die Verantwortung wieder ab, zurück an jene, die eigentlich dafür verantwortlich sind, Kinder zu unterrichten, Menschen zu operieren, Brote zu backen, Artikel zu schreiben. Das wiederum erlaubt es dem Vertreter/der Vertreterin sich auf die hässlichen Seiten seines Geschäfts zu konzentrieren: Streiten, Debattieren, Polemisieren.
Die Debatte um den Hauptsmoorwald hat mich in meiner Skepsis nicht nur bekräftigt, sondern bestärkt. Wer aufmerksam war, konnte beobachten, wie allein die Möglichkeit der direkten Demokratie die politische Kultur auch auf lokaler Ebene pervertiert. Und wie sie komplexe Gebilde wie politische Parteien zurückzwingt in eigentlich überwundene Klischees: hier die naiven Grünen, die alles, was Gewerbe heißt, für böse und schändlich halten müssen, die radelnden Baumumarmer der 70er Jahre. Dort die industriehörigen Schwarzen, die den Wald dem Markt verschachern wollen.
Das Versprechen direkter Demokratie lautet höhere Legitimation für politische Entscheidungen. Die tatsächliche Konsequenz ist die Unsachlichkeit. Während einerseits so getan wurde, als wolle jemand den Garten Eden wegsägen, während es eigentlich um ein nicht wirklich großes, belastetes, teilversiegeltes, ehemaliges Munitionslager geht, wurde andererseits der Untergang der gesamten schönen Stadt Bamberg heraufbeschworen, wenn nicht bitte, bitte, die Gewerbesteuereinnahmen bald noch fröhlicher sprudeln. Geh weiter.
Das Problem der BeurteilungSo musste ich Wahlvieh mich letztlich selbst befragen: Was kann ich wissen? Als Mitarbeiter dieser Zeitung habe ich einen Teil der Berichte der Kollegen verfolgt, klar. Als Texter, freier Autor, Koch, Partner, Reisender blieb mir trotzdem nicht die Zeit, alles zu lesen, was zu lesen gewesen wäre. Und selbst wenn ich alles gelesen hätte: Kann ich denn beurteilen, wie sich sprudelnde oder nicht sprudelnde Gewerbesteuern auswirken? Kann ich denn einschätzen, wie harmlos oder gefährlich diese Altlasten sind? Kann ich denn vorhersagen, wie sich die Bima verhält, wenn sich die Bamberger Stadtgemeinschaft gegen ein Gewerbegebiet ausspricht? Wirklich?
Nein, nein und nein.
Also konnte ich freilich nicht abstimmen. Ich möchte mich nicht daran beteiligen, dass die Ahnungslosen regieren sollen.
VersagerIch kann nur darum trauern, wie sehr die Bamberger Politik versagt hat. Zuerst als die lauten Bürger ignoriert wurden. Dann als mit der Möglichkeit eines Kompromisses das Gleiche geschah. So ist es geschehen, dass aus einer komplexen Sachlage ein Schreiduell wurde. Dass die Bürgerinitiative als Gewinner aus diesem Duell hervorgeht, überraschte mich keine Sekunde.
In den Tagen vor der Abstimmung sagte mir ein Freund, wenn ich da nicht hinginge am Sonntag, bestätigte ich das Klischee der politikverdrossenen Jugend. Gut so. Diese Art der Politik macht mich in der Tat verdrossen. Schlimmer sind die vielen, denen es nicht so ging. Die mit wehenden Fahnen und im Glauben, das sei tatsächlich Politik, auf diesen Zug ins Bullshitland aufgesprungen sind.
Ich krieg's mit der Angst, wenn ich das sehe.