Graizer benötigt nicht viele Bilder und Worte, um uns die Annäherung zwischen den beiden Männern zu vermitteln. Schon wenige Filmminuten später küssen sie sich leidenschaftlich; dann ist ein Jahr vergangen und Thomas und Oren führen eine Fernbeziehung, von einem Berlin-Aufenthalt Orens zum nächsten. Neben diesem geografischen Aspekt wird die Liebe zwischen den beiden durch die Tatsache erschwert, dass Oren in seiner Heimat Ehefrau und Sohn hat. Bemerkenswert ist, wie die Figuren mit dieser Situation umgehen. „Wann war das letzte Mal?", fragt Thomas seinen Geliebten mit sanftem Lächeln, aber festem Blick - und lässt sich von Oren ausführlich die ehelichen Zärtlichkeiten beschreiben. Man hat nicht das Gefühl, dass Thomas Oren oder sich selbst damit quälen möchte; vielmehr scheint es ihm darum zu gehen, nichts am Gegenüber und Miteinander auszublenden.
Abrupt in die Brüche geht diese Konstellation jedoch, als Oren sich eines Tages nach der Abreise aus Deutschland nicht mehr bei Thomas meldet - und dieser bald erfahren muss, dass Oren bei einem Unfall in Jerusalem gestorben ist. Wenn „The Cakemaker" dann den Schauplatz wechselt und die Perspektive erweitert, indem er die Lage von Orens Witwe Anat schildert und zeigt, wie Thomas in Jerusalem auftaucht und einen Job in Anats Café annimmt, ohne Anat wissen zu lassen, dass er Oren (sehr gut) kannte, könnte der Film rasch in diverse Fallen tappen. Er könnte zum trivialen Obsessions-Thriller werden, mit Thomas als ominösem Stalker, oder in Seifenoper-Gefilde abdriften, mit überzogener Dramatik und etlichen Zuspitzungen.
Diesen Fallen entgeht das Werk, da es sich in seiner Erzählweise ganz auf die Art seiner Figuren einlässt. Thomas ist ein ruhiger, introvertierter Mensch - und mit entsprechender Zurückhaltung fängt die Inszenierung Thomas' Handlungen ein. Es gibt keine Wertung, weder eine Verurteilung für das Verschweigen der Wahrheit noch eine aufdringliche Rechtfertigung oder Sentimentalisierung seines Versuchs, Oren weiterhin irgendwie nahe zu sein. Und auch Anat lässt sich in kein dramaturgisches Klischee pressen. Sie ist keine tragisch-ahnungslose Heldin, sondern eine glaubhaft gezeichnete Person, die in aller Widersprüchlichkeit, mit zahlreichen Ecken und Kanten ihren beruflichen und privaten Alltag zu bewältigen versucht. Tim Kalkhof und Sarah Adler verleihen diesen Rollen etwas sehr Authentisches: Es wird klar, dass Thomas und Anat trauern - und es gibt nun mal keine richtige und keine falsche Art des Trauerns.
Zum Herzstück des Films wird eine Sequenz zwischen den beiden in der Küche von Anats Café, die ohne Schnitte, ohne Musik, ohne Ablenkungen auskommt: Als Thomas und Anat gemeinsam für einen Großauftrag Kuchen backen, wird aus Freundlichkeit Liebkosung, aus anfänglichem Zögern körperliche Entschlossenheit. Anat - die zu diesem Zeitpunkt bereits ahnt, dass ihr Mann sie betrogen hat, aber nicht weiß, dass ausgerechnet Thomas dessen Geliebter war - macht die ersten Schritte, Thomas schreckt zunächst zurück, bis er Anats Berührungen endlich zulässt. Nichts in dieser langen Einstellung wirkt choreografiert, nichts herbeikonstruiert. Wunderbar ist zudem, wie sich die Ambivalenz dieser Situation in der nächsten Szene noch einmal in Anats Gesicht widerspiegelt. Mehrmalig-freudiges Auflachen, ungläubiges Strahlen, leichtes Kopfschütteln, sichtbare Zweifel und Tränen - all das vereint dieser Moment, der keine Dialogzeile braucht, um die emotionale Konfusion zum Ausdruck zu bringen, in die Anat und Thomas geraten sind.
Immer wieder gelingt es Graizer, Oren als „unsichtbaren Dritten" anwesend erscheinen zu lassen, etwa durch ein Kleidungsstück. Weder Thomas noch Anat kriegen den Verstorbenen aus dem Kopf und dem Herzen; er wird von beiden stets mitgedacht, mitempfunden. Das Skript könnte den Figuren endlose Ausführungen über trianguläres Begehren in die Münder legen; stattdessen begnügt sich Graizer mit dezenten Details und einem abschließenden, kitschfrei-anrührenden Blick in den Himmel. „The Cakemaker" mag von einer Dreiecksbeziehung handeln, die gängigste Zutat „Eifersucht" wird dabei aber ganz unaufgeregt aus dem Plot-Rezept gestrichen.
So wie die deutsch-israelische Co-Produktion ohne große Worte von fließender sexueller Identität erzählt, befasst sie sich auch präzise und unaufgeregt mit den Themen Religion und Tradition. Anat ist nicht religiös, dennoch ist es für sie - auch aus wirtschaftlichen Gründen - wichtig, dass ihr Café als koscher eingestuft wird. Thomas wiederum zeigt zwar großes Interesse an den jüdischen Ritualen, gerät wegen ihnen in Jerusalem aber oft in die Position des Außenseiters. So kann eine gut gemeinte Tat wie das Backen von Keksen als Geburtstagsüberraschung zum Konflikt führen, da Thomas noch nicht mit allen jüdischen Speisevorschriften vertraut ist. Auch Feinheiten wie diese machen Graizers Film letztlich zu einem Leinwand-Gebäck, das raffinierter ist, als es zunächst vielleicht den Anschein hat.