Ich bin hoffnungsvoll, denn die Karten werden nun neu gemischt, und Dinge, die wir für unabänderlich hielten, Direktiven, die wir mit geradezu religiösem Eifer befolgten, werden in Frage gestellt. Wir werden einiges wieder auf den Prüfstand stellen und neu darüber reflektieren, ob der bisherige Weg, aus der Krise zu finden, der richtige war und ob wir nicht gemeinsam eine bessere Lösung finden können.
Ein Aufatmen erhofft sich Poka-Yio gerade auch für die Kulturpolitik, die in den vergangenen Jahren in eine regelrechte Schockstarre verfallen war. Und das lag nicht nur am fehlenden Geld, erklärt der Kulturschaffende, sondern auch mit der fehlenden Flexibilität, mit der neuen Situation umzugehen. Da ist es gut, dass die neue Riege im Kulturministerium aus anerkannten Leuten vom Fach besteht, auch das ein Novum in Griechenland, wo mit den Posten im Kulturministerium gerne die Politiker versorgt wurden, die bei der Regierungsbildung leer ausgegangen waren. Auch sonst war es eine ereignisreiche Woche in Griechenland. Die neue Regierung, in deren Reihen sich außergewöhnlich viele Universitätsprofessoren und Intellektuelle finden, wurde nicht nur im Rekordtempo vereidigt, sie schaffte innerhalb weniger Tage neue Fakten: Ab sofort wird es im Parlament wieder eine Fragestunde an den Premier geben, ab sofort werden die Journalisten wieder täglich gebrieft, man setzt auf Dialog. Dinge, die man für selbstverständlich halten sollte, die es im Griechenland der Samaras-Regierung aber nicht waren. Außerdem wurden die Straßensperren, die seit den großen Demonstrationen von 2011 die Bürger vom Parlament fernhalten sollten, abgebaut.
Eine Geste, die auch die Schrifstellerin Ioanna Karystiani als zutiefst symbolisch wertet. Griechenland habe die letzten Jahre in einem Zustand der Furcht gelebt. Es ging einfach nicht mehr, erklärt sie den Politikwechsel in wenigen Worten. Mit dem Geld der Europäischen Union sei nichts außer dem dem korrupten politischen System Griechenlands gerettet worden:
Nichts ist besser geworden in den letzten fünf Jahren. Weder das Bildungssystem, noch das Gesundheitssystem noch sonst irgend etwas. Im Gegenteil, Griechenland hat heute mehr Arbeitslose, aber auch mehr Neonazis als jemals zuvor. Nochmal die Parteien zu wählen, die gemeinsam mit der Europäischen Union dieses völlig gescheiterte Rettungsprogramm umgesetzt haben, wäre eine Beleidigung für all jene Menschen gewesen, die in der Krise und durch die Krise den Tod gefunden haben, und ich kenne solche Fälle aus meinem eigenen Bekanntenkreis.
Dass heute die Linke in Griechenland an der Macht ist, ist etwas, woran die Schriftstellerin schon fast nicht mehr zu glauben wagte. Ioanna Karystiani schaut aber auch mit großem Interesse nach Europa, und da besonders nach Deutschland. Die deutsche Regierung, so die Schriftstellerin, habe in der Krise zu oft mit erhobenem Zeigefinger agiert.
Wir sehen heute überall in Europa den Aufstieg nationalistischer und rechtsextremer Parteien. Und das ist etwas, das manchen Politiker in Deutschland ernsthaft beschäftigen sollte. Es kann nicht sein, dass wir uns immer nur im Nachhinein verwundert die Augen reiben. Ich möchte nicht, dass wir in eine Situation geraten, wo sich die Griechen die Gräueltaten der Nazis im Zweiten Weltkrieg in Erinnerung rufen, das führt zu gar nichts. Was wir in Europa brauchen, ist eine Politik, die die heutigen Probleme beim Namen nennt und die ernsthaft nach Lösungen sucht.
Wenn die Europäische Union wieder einen Sinn haben solle, dann müsse sie sich an ihren Grundpfeiler der Solidarität erinnern, fährt die Schriftstellerin fort. Sonst sei auch in Griechenland der Wandel, der nun zum Greifen nahe scheine, kaum möglich. Die neue Regierung also als eine Hoffnung für das kleine Land am Rande Europas – aber mit Strahlkraft für den gesamten Kontinent, so sieht es Giorgos Kimoulis, einer der wichtigsten Theatermacher Griechenlands:
Dieser Politikwechsel ist eine Hoffnung für ganz Europa, denn die Linke hatte sich aus dem öffentlichen Diskurs zurück gezogen. Und so wirkte es fast als sei der Neoliberalismus eine Einbahnstraße. Das wird nun wieder in Frage gestellt. Der linke Diskurs tritt wieder ins Spiel, und er möchte den berühmten Spruch Margaret Thatchers widerlegen, wonach es angeblich keine Gesellschaft gibt, sondern nur Individuen. Nein, es gibt eine Gesellschaft, und der Mensch darin muss Bürger sein.
Ähnlich wie die Schriftstellerin Karystiani beschreibt auch der Theatermann den Politikwechsel in Athen als einen Traum, der wahr geworden ist. Und er setzt auf die Kraft des Sandkorns, welches das stärkste Getriebe lahmlegen kann. Die Befürchtung mancher, die linke Syriza könnte selbst zu einer systemerhaltenden Partei mutieren, teilt Giorgos Kimoulis nicht:
Tsipras ist selbst jung an die Macht gekommen, und er hat bisher gezeigt, dass er einen sehr engen und fruchtbaren Dialog mit der jungen Generation Griechenlands führen kann. So kann sich seine Partei immer wieder erneuern, und damit wäre auch ein großes Hindernis für Veränderung aus dem Weg geräumt, nämlich die Angst des Vaters, dass das neue den eigenen Tod bedeutet.
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