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Mit dem Asyl fangen die Probleme erst an

Der Kies knirscht unter den Schuhen, jeder Schritt wirbelt feinen Staub auf. Er legt sich über die wenigen Sitzgelegenheiten, den verwahrlosten Spielplatz, die niedrigen Wohncontainer und die Menschen, die sich ziellos dazwischen hin- und herbewegen. Es gibt eine Moschee, ein etwas größerer Container, ein improvisiertes Café und einen "Sportraum": eine nackte Halle mit Betonboden, in der ein paar Jugendliche einen Ball umherkicken. Muhammad*, 25 Jahre, aus Afghanistan, führt über das Gelände. Schon der Ton seiner Stimme lässt keinen Zweifel daran, dass er das Camp, in dem er seit fast zwei Jahren lebt, für "keinen guten Ort" hält.

Gut 115.000 Schutzsuchende befinden sich derzeit in Griechenland. Etwa 41.000 von ihnen leben in den Hotspots auf den Inseln. 21.000 Menschen, die am meisten Schutzbedürftigen, werden vom Flüchtlingshilfswerk UNHCR in Wohnungen untergebracht, etwa 53.000 leben in Camps wie diesem hier in Malakassa, an einer Schnellstraße, 40 Kilometer vor Athen.

Muhammad schlägt eine Plastikplane zur Seite und tritt in eine Lagerhalle. Dicht an dicht sind hier Campingzelte aufgestellt. Darin wohnen die, die in den Containern keinen Platz finden. Wer auch hier nicht unterkommen kann, schlägt sein Zelt im Freien auf. Etwa 1.500 Menschen leben im Camp von Malakassa. Wochenlang hatten sie keinen Arzt, sagt Muhammad, und kürzlich sei das Wasser mehrere Tage lang ausgefallen. Eine Anfrage bei der Lagerleitung dazu bleibt unbeantwortet. Von Ersterem weiß die Lagerleitung nichts, Letzteres dementiert sie.

Zu siebt im Container

Griechenland hat gemessen an der Einwohnerzahl nach Zypern die meisten Asylanträge in Europa. Aber auch in absoluten Zahlen rangiert das Land weit oben, nämlich an dritter Stelle nach Deutschland und Frankreich. Unterstützt wird die griechische Asylbehörde weiterhin von der EU-Agentur Easo, die ihr Personal bis zum Sommer auf 1.000 Mitarbeiter verdoppeln wird. Auch die griechische Asylbehörde wird ihr Personal dieses Jahr um fast 50 Prozent aufstocken, vor wenigen Tagen erst wurden 220 neue Sachbearbeiter vereidigt. Allerdings handelt es sich dabei, wie bei den zahlreichen Mitarbeitern der Easo auch, um Zeitarbeitskräfte, die jeweils neu eingearbeitet werden müssen. Die Flüchtlingskrise hat die griechische Verwaltung doppelt getroffen: Das Asylsystem befand sich 2015, nach Jahren der Vernachlässigung, erst im Aufbau. Außerdem ist die griechische Verwaltung im Zuge der Finanzkrise stark abgebaut worden. Dabei standen nicht immer logistische Kriterien im Vordergrund.

"Das hier ist mein Container", sagt Muhammad und zeigt auf die Nummer 121. Aus Plastikplanen hat er ein Vordach geschaffen. Tagsüber hängt er hier mit Freunden ab, abends macht er sein Work-out. Er hat kleine Felsbrocken in Stoffreste gewickelt, das sind die Gewichte, mit denen er trainiert. Das Mobiliar im Container: drei Betten und eine windschiefe Kochecke. Eigentlich wohnen sie zu dritt hier, doch vor ein paar Wochen haben Muhammad und seine Mitbewohner eine vierköpfige Familie aufgenommen, die sonst im Zelt schlafen müsste. Nun sind sie zu siebt. Die Erwachsenen teilen sich die Betten, die zwei Kinder schlafen auf dem Boden. "Ich gehe eh bald", sagt Muhammad. Im Herbst hat er seinen Asylbescheid erhalten. Von diesem Tag an gerechnet hat er sechs Monate lang weiter Wohnrecht im Camp. Danach muss er sein Leben selbst in die Hand nehmen. Auch die Finanzhilfe von 150 Euro monatlich, die Muhammad noch erhält, läuft dann aus.

Einmal hat er ein paar Wochen lang in einer Metallwarenfabrik in der Region gearbeitet, aber er wurde entlassen. Warum, das hat Muhammad nicht genau verstanden, er spricht auch kein Griechisch. Sonst gebe es in der Region nur Arbeit als Erntehelfer, sagt er. Dabei habe er " skills", betont er, im Iran war er in der Metallverarbeitung beschäftigt, doch niemand in Griechenland interessiere sich dafür, so sein Eindruck. Ein paar Monate lang hat er einmal die Woche einen Griechischkurs in Athen besucht. In Athen gibt es auch eine Reihe von Nichtregierungsorganisationen, die Berufsberatung anbieten. Aber schon die Zugfahrt in die Stadt kostet vier Euro. Einfach. Muhammad interessiert dieses Angebot ohnehin nicht. Er wartet auf seine Reisepapiere, dann möchte er nach Frankfurt, wo er Verwandte hat. Dass er in Deutschland weder eine Aufenthalts- noch eine Arbeitsgenehmigung erhalten wird, hat er vage gehört, aber er hofft auf eine Lücke im Gesetz.

"Die Integration in Griechenland scheitert an vielen Faktoren", sagt Jean-Dider Totow, Vorsitzender des Griechischen Flüchtlingsrats. "Wenn jemand neu in Griechenland ankommt, schaut er als Erstes, wie es denen geht, die schon länger im Land sind." Wenn die es nicht weit gebracht haben, falle schnell die Entscheidung, es woanders in Europa zu versuchen. Also würden die Flüchtlinge gar nicht erst Griechisch lernen.

"Der Staat müsste Strukturen schaffen, um diese Menschen zu integrieren", sagt Totow, der 2012 selbst als Flüchtling nach Griechenland gekommen ist. Er war von Anfang an in einer Umweltorganisation aktiv. Das soziale Netzwerk dort hat ihm geholfen, seinen Platz in der Gesellschaft zu finden. Totow hat Informatik studiert und bereitet gerade seine Promotion vor. Ein Ausnahmefall. In der kongolesischen Gemeinde, der er ebenfalls vorsteht, sind rund 70 Prozent der anerkannten Flüchtlinge arbeitslos, schätzt er. Und in Zukunft dürfte ihre Eingliederung noch schwieriger werden. Unter der alten Regierung gab es immerhin den Willen, Integration möglich zu machen, sagt der Vorsitzende des Griechischen Flüchtlingsrats. Nun habe sich das geändert: "Seit die Regierung gewechselt hat, prallen unsere Vorschläge wie an einer Wand ab." Gleichzeitig habe sich auch das Klima im Land gewandelt. Die Diskriminierung nehme zu.

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