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Griechenland vor Machtwechsel

Seit der Europawahl, die gleichzeitig mit den Regional- und Kommunalwahlen abgehalten wurde, stehen die Zeichen in Griechenland auf Wechsel. Denn die Wähler haben die linke Regierungspartei Syriza so deutlich abgestraft, dass sich Premier Alexis Tsipras gezwungen sah noch am selben Abend Neuwahlen auszurufen. Umfragen zufolge führt die konservative Opposition mit bis zu elf Prozent Vorsprung. Falls sie den Sieg davon trägt, übernimmt sie die Regierung zu einem besonders günstigen Zeitpunkt. Die internationale Kreditfinanzierung ist abgehakt, das diplomatische Standing Griechenlands durch das Ende des Namensstreits mit Mazedonien gestärkt, außerdem zeigt die Wirtschaft leise Zeichen der Erholung.



Atmo Café

 

Ein schickes Café in der Athener Innenstadt. Junges Publikum, viele Touristen. Sieht man genau hin, erkennt man, dass die Dekoration aus fein gefaltetem Papier gefertigt ist. Das Café ist eine Initiative der Obdachlosenzeitung Shedia. Eine Designerin hat die Odachlosen geschult, nun stellen sie die Objekte, die es hier auch zum Verkauf gibt, selber her. Für viele ist die Beschäftigung hier ihre einzige Chance, sagt Hristos Alefantis, Leiter des Projekts.

 

"Die Krise mag vorbei sein, aber es gibt viele Menschen, die sich sehr schwer tun werden, wieder auf die Füße zu kommen. Manchen wird es vermutlich nie mehr gelingen. Vor allem die über 50. Wir sehen das auch bei unseren Verkäufern. Je älter sie sind, desto länger bleiben sie bei uns. Drei Leute sind schon seit Beginn dabei."

 

Die Jungen finden leichter einen Job, dann feiert das Team. Oft kommen sie freilich nach kurzer Zeit zurück, weil sie übers Ohr gehaun wurden. Der Projektleiter spricht von Wildwest-Zuständen auf dem Arbeitsmarkt. Es sind genau die Nicht-Privilegierten, auf die die Regierung Tsipras iährend der letzten vier Jahre ihr Hauptaugenmerk gelegt hat. Sie hat eine Mini-Grundsicherung eingeführt, Langzeitarbeitslosen den Zugang zur öffentlichen Gesundheitsversorgung ermöglicht und den Mindestlohn angehoben. Mit ihrem Amtsantritt 2015 waren aber auch Hoffnungen auf einen politischen Neuanfang in Griechenland verbunden. Die haben sich nur teilweise erfüllt, sagt Gerasimos Moschonas, Professor für Politik an der Athener Panteion-Universität.

 

"Zunächst einmal gab es sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, wie diese politische Erneuerung aussehen soll. Die EU wollte eine Erneuerung, aber ohne den politischen Ansatz der Syriza. Am Ende jedenfalls hat Syriza eine Politik gemacht, die derjenigen der Vorgängerregierungen recht ähnlich war. Zumindest, was die Wirtschaft betrifft. Auf der positiven Seite der Rechnung stehen: weniger Korruption und eine Reihe von Modernisierungen. Es gibt zum Beispiel erstmals einen rudimentären gesetzlichen Rahmen für die Privatsender, es gibt eine dezidiertere Sozialpolitik und damit eine geringere Armutsgefahr, die sich auch in den Statistiken niederschlägt, und dann natürlich die Einigung im Mazedonienstreit, die von den anderen Parteien nur schwer hätte erzielt werden können."

 

Am Ende ist Syriza über die Finanzen gestrauchelt. Griechenland hat sich ohnehin auf lange Sicht zu hohen Primärüberschüssen verpflichtet, also zu einem Haushaltsplus. Diese Überschüsse hat die Syriza-Regierung auch noch übererfüllt, um ihre Sozialpolitik zu finanzieren. Denn der reguläre Haushalt gibt das nicht her. Doch nach neun Jahren harten Sparens ist die griechische Bevölkerung erschöpft. 38 Prozent ihres Einkommens haben die Menschen in der Krise verloren. Im April hat die Athener Regierung zwar ihr Finanzprogramm mit einer ganzen Reihe Maßnahmen für die Mittelschicht vorgestellt, doch offenbar zu spät. Bei der Europawahl lag die Opposition in der Altersgruppe der Erwerbstätigen rund 20 Prozent vor der Regierung. Schließlich verspricht Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis Steuersenkungen im großen Maßstab. Finanzieren möchte er sie durch ein größeres Wirtschaftswachstum, unter anderem, indem er den Primärüberschuss neu verhandelt.

 

Er werde zu den Europäern gehen, erklärt Kyriakos Mitsotakis im griechischen Privatfernsehen, und ihnen sagen, hört her, meine Herren, Ihr wollt doch Euer Geld zurück. Und das funktioniere nicht mit einem hohen Primärüberschuss, sondern mit mehr Aufschwung. Die Europäer, so Mitsotakis weiter, werden ein Einsehen haben.

 

Daran hat sich schon die Regierung Tsipras die Zähne ausgebissen. Doch der Journalist ist begeistert, anstatt nachzuhaken. Die Beliebtheit von Kyriakos Mitsotakis lässt sich auch medienpolitisch erklären. Fast 70 Prozent der Fernsehzuschauer schalten die Nachrichten der Privatsender ein. Die gehören Wirtschaftsmagnaten, die sich durch die Bank der Wahl des neoliberalen Politikers verschrieben haben. Die Nachrichten des Staatssenders ERT dagegen verfolgen nur knapp zwei Prozent der Zuschauer.

 

Anders als die Syriza-Regierung ist Mitsotakis bereit, im großen Stil zu privatisieren. Auch die Pensionsversicherung beispielsweise. Die Finanzmärkte freut das, die zehnjährige Staatsanleihe ist gefragter denn je, erklärt der Ökonom und Journalist Spyros Dimitrelis, der für die griechische Zeitung Capital schreibt. Die versprochenen Steuersenkungen werden dennoch nicht über Nacht kommen, schätzt er:

 

"Meinen Recherchen zufolge gibt es im Augenblick definitiv kein Geld für Steuersenkungen. Falls sich aber der Optimismus der Finanzmärkte bewahrheitet und die Wirtschaft schneller wächst, schaut es natürlich anders aus. Denn im Augenblick bleiben die Ressourcen der Wirtschaft ungenutzt. Die Frage ist dann: wie werden die neuen Gewinne verteilt. Die bisherige Regierung hat sie unter denjenigen verteilt, von denen sie sich Stimmen erhoffte. Meine Einschätzung ist, dass die nächste Regierung dieses Geld an den Mittelstand weiterreicht. Vor 2021 oder 2022 rechne ich allerdings kaum mit Steuersenkungen."

 

Der Vertrauensvorschuss der Wähler ist groß. Denn mit der Nea Dimokratia würden sie am Sonntag eine der beiden Parteien wählen, die das Land in die Krise katapultiert haben. Unter dem konservativen Premier Kostas Karamanlis, der von 2004 bis zum Ausbruch der Krise regierte, explodierten die primären Staatsausgaben Griechenlands um 100 Prozent. Eine Verdopplung also. Ene Aufarbeitung der Vergangenheit hat in der Partei indes nicht stattgefunden, sagt der Politikprofessor Gerasimos Moschonas:

 

"Die Nea Dimokratia kennzeichnet sich durch einen überkommenen Politikstil. Ihr neuer Vorsitzender Kyriakos Mitsotakis möchte die Partei zwar erneuern. Doch die Frage ist, ob er die Kraft dazu besitzt. Die Wahl am Sonntag wird ihn natürlich sehr stärken. Aber auch der Wahl zum Parteivorsitzenden war er als klarer Sieger hervorgegangen, doch angesichts schlechter Umfragewerte der Partei hat er damals bald zurück gerudert. Ich hatte seine Wahl zum Parteivorsitzenden für ein positives Ereignis gehalten, aber er hat danach nicht die Schritte vollzogen, die ich erwartet hätte. Und ich weiß nicht, ob er letzlich die Größe dazu besitzt."

 

Die größte Gefahr jedoch lauert für den Premierminister in spe in den eigenen Reihen. Der Namensstreit mit Mazedonien hat tiefe Gräben in der Partei gerissen. Große Teile der Nea Dimokratia haben eine extrem nationalistische Haltung vertreten, bis hin zu wortgleichen Aussagen mit Vertretern der rechtsextremen Szene. Nun erschien Anfang vergangener Woche die wichtigste Tageszeitung des Landes, Kathimerini, mit einem ncht unterzeichneten offenen Brief auf dem Titelblatt: Mitsotakis solle sich verpflichten, den Namensdeal im Fall seines Wahlsiegs rückgängig zu machen. Die Zeitung steht seit Jahren stramm hinter der Familie Mitsotakis. Dass es Kräfte innerhalb der Konservativen gibt, die die Macht besitzen, den Abdruck eines solchen Aufrufs zu erzwingen, darf man als Kampfansage sehen.