Das Mikrofon ist aufgestellt, die Gesprächspartner sind versammelt, eigentlich sollte nun alles passen. Wir sitzen in einer Hafentaverne, für eine entspanntere Atmosphäre, und wir blicken aufs Meer, um unser Thema nicht aus den Augen zu verlieren. In unserem Gespräch soll es um eine prähistorische Siedlung gehen, die direkt hier, vor der Küste des Peloponnes, nur ein paar Meter tief unter dem Wasser liegt. Ich nehme also das Meer ins Auge, dann blicke ich meinen Gesprächspartner an: ob er als Kind von der versunkenen Stadt wusste. Aber natürlich, sagt Pantelis, sie seien dort oft geschnorchelt, hätten nach Seeigeln gefischt oder nach Oktopus. Man konnte die Fundamente erkennen, ergänzt sein Tischnachbar Theodoros: die Straßen, die Häuser, die einzelnen Zimmer. Genau das hatte ich zu hören gehofft, mental reibe ich mir die Hände. Wenn das Interview so weiterläuft, habe ich bald Feierabend und kann selber schnorcheln gehen. Die Bewohner der untergegangenen Siedlung hätten das wohl Hybris genannt. Gerade hat Pantelis noch von einem Totenkopf erzählt, den er einmal dort gefischt hat, da unterbricht er jäh. "Aber das ist lang her", sagt er, "lass uns lieber über heute sprechen".
Es ist der Satz, den ich in der Krise zu fürchten gelernt habe, denn er bringt jedes sorgsam aufgebaute Interview binnen Sekunden zum Einsturz. "Genau, lass uns über heute sprechen", nimmt sein Freund Theodoros den Ball auf. „Heute" heißt in Griechenland soviel wie Krise. Es gibt das "Zuvor", was wahlweise die Antike, die Jahre des Booms rund um die Olympischen Spiele 2004 oder alles zusammen meint, und es gibt das "Heute". Das „Heute" hat viel zu tun mit Steuern. 600 Euro koste die Steuer auf seinen Fischkutter, erzählt Pantelis. 800 Euro müsse er für die Steuer auf sein Häuschen berappen, setzt Theodoros hinzu. Waren sie bisher noch etwas reserviert, so tauen meine Interviewpartner nun einer nach dem anderen auf. Die Rentenkürzungen, fängt Hryssoula an, das Demokratiedefizit, fährt Babis fort. Die Gemüter erhitzen sich. Ich setze noch einmal an, doch auch die Siedlung unter den Wogen kann sie nun nicht mehr abkühlen. Go with the flow, beschließe ich und stelle ein paar Fragen zur Krise, um dann - hoffentlich - wieder zu meinem Thema zurück zu kehren.
Es gibt in Griechenland heute viele Steuern, doch irgendwann haben wir sie durch. Puh, denke ich mir. Da kommt Mihalis, der die Unterhaltung bis jetzt wortlos mitverfolgt hat, mit einem neuen Stichwort. "Die Merkel". Den Vornamen schenkt man sich hier schon. "Die Merkel", sagt Mihalis, „die Merkel hat uns die Schlinge um den Hals gelegt". Er macht mit der Hand eine entsprechende Geste auf Höhe seines Genicks. "Frag sie, ob sie von 300 Euro im Monat leben könnte", setzt er hinzu. Allgemeines Nicken. Ich könnte die Runde jetzt darüber informieren, dass ich mit "der Merkel" nur ganz selten parliere. Es wäre vermutlich sinnlos. Ich lehne mich also zurück. Zumindest brauche ich keine Fragen mehr zu stellen, das Gespräch läuft inzwischen von selbst. Wogen türmen sich auf, Wogen glätten sich.
Irgendwann haben sie alle was gesagt, zu den hohen Steuern, den ausbeuterischen Arbeitsbedingungen, den lächerlichen Löhnen, den mickrigen Renten, zu Angela Merkel und Wolfgang Schäuble. Zum Glück haben sie vergessen, dass die SPD mitregiert, sonst wären wir immer noch dabei. Dann schaut Pantelis aufs Meer, das um diese Uhrzeit in allen Tönen von türkis bis smaragdgrün schimmert, schenkt sich ein Glas von dem billigen Wein ein, den sie hier in der Taverne servieren und sagt: "Trotzdem sind wir glücklich". "Sei bloß still", fällt ihm Mihalis ins Wort, "sonst zieht sie" - er meint die Merkel - "sonst zieht sie uns die Schlinge noch enger um den Hals". Er macht wieder diese Handbewegung. Dann fragt er: Was können wir dir noch sagen über die Stadt unter dem Meer?
Beitrag hörenStand: 11.08.2014, 17.51 Uhr