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Brights erzählt vom Leben als Rohingya in Myanmar

Ihre Unterdrückung und Vertreibung sorgt für Schlagzeilen: Die muslimischen Rohingya gelten im mehrheitlich buddhistischen Myanmar als illegale Immigranten. Obwohl sie schon seit Jahrhunderten in Rakhine – einem Bundesstaat im Westen des Landes – leben, zählen sie nicht zu den 135 anerkannten Ethnien des Landes. Die Staatsbürgerschaft zu erhalten, ist für sie praktisch unmöglich, politische und soziale Rechte haben sie daher kaum.

Nach schweren Ausschreitungen 2012 leben viele Rohingya heute in Camps für Binnenflüchtlinge. Als die Rebellengruppe Arakan Rohingya Salvation Army (ARSA) im vergangenen August damit begann, Polizeiposten zugreifen, kochte der Konflikt wieder hoch. Die ARSA, auch bekannt als Harakah al-Yaqin (arabisch für „Bewegung der Hoffnung“) ist eine kleine Rebellengruppe. Laut der International Crisis Group, wird sie von Rohingya geleitet, die nach Saudi-Arabien emigriert sind. Ihren ersten Anschlag verübte ARSA im Oktober 2016. Durch ihre bislang schwerste Attacke am 25. August, kamen 12 Menschen ums Leben. Die Sicherheitskräfte des Landes gingen in der Folge so brutal gegen die Minderheit vor, dass Beobachter bereits von einem Genozid sprechen. Über eine halbe Million Rohingya sind seit August ins benachbarte Bangladesch geflohen.

Damit riskiert Myanmar, erneut in jene Isolation zu geraten, in der es sich bis vor kurzem befand. Jahrzehntelang war das von einer Militärdiktatur regierte ostasiatische Land vom Westen mit Sanktionen belegt gewesen. Diese wurden erst aufgehoben, als die Partei von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi 2016 die politische Führung übernahm.

Die Hoffnung auf einen damit einhergehenden, generellen Politikwechsel erfüllte sich jedoch nicht. Vor allem angesichts des Umgangs mit den Rohingya drohen USA und EU mit erneuten Sanktionen.
Mitte Oktober versprach Suu Kyi zwar Hilfslieferungen und Unterstützung für die Muslime an, bislang deutet jedoch nichts auf eine Umsetzung dieser Ankündigung hin. Schätzungen zufolge befindet sich noch etwa eine Million Rohingya im Land. Ihre Lage ist düster.

Für die profil-Serie „Ich lebe in ...“ erzählt Brights Hla Tin, was es heißt, als Rohingya in Myanmar zu leben. Seit 2012 befindet er sich im Thet Kay Pyin-Camp für Binnenvertriebene, im Westen Myanmars nahe der Stadt Sittwe, seit Mai 2016 ist profil mit ihm in Kontakt. Damals
zeigte er sich noch optimistisch. Etwa mehr als ein Jahr später beginnt er das Interview mit dem Satz: „Wir haben furchtbare Angst.“ Von der Hoffnung, die Lage könne sich entspannen, ist nicht viel geblieben.

Brights Hla Tin erzählt:

Ich bin 22 Jahre alt. Ich will studieren, etwas aus meiner Zukunft machen. Aber daraus wird wohl nichts. Wir werden hier nicht wie Menschen behandelt, wir haben keine Rechte. Die Regierung in Myanmar will das Land „säubern“, alle Rohingya beseitigen. Im Norden von Rakhine sind sie auf dem besten Weg dorthin: Jeder, der fliehen kann, flieht nach Bangladesch.
Auch ich würde das sofort tun, doch Bangladesch ist zu weit weg von hier. Ich liebe mein Land, ich möchte hier leben, hier sterben, aber ich habe keine Zukunft. Doch das spielt eigentlich keine Rolle. Wir können nicht weg, und seit August wird es schlimmer und schlimmer. Wir haben Angst, dass die Sicherheitskräfte das Camp angreifen, so wie sie es im Norden tun.

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Ich bin in Nazi aufgewachsen, einer Nachbarschaft in der Stadt Sittwe. Ich liebte die Stadt und die Schule. Es war ein sehr gutes Leben dort. Wir wohnten in einem richtigen Haus – meine Mutter, meine sechs Schwestern und ich. Heute teilen wir uns eine kleine Bambushütte.
Mein Vater ist schon verstorben, als ich noch sehr klein war, und ich bin der einzige Mann in meiner Familie. Ich muss für sie sorgen, deshalb ist es mir sehr wichtig, eine gute Ausbildung zu bekommen, damit ich später viel verdienen kann.
Außerdem will ich ein guter Mann werden, der etwas für sein Land tun kann. Ich will etwas beitragen zur Gesellschaft und das Land besser machen. Deshalb habe ich in Sittwe jede freie Minute gelernt. In der Schule und später auch im Privatunterricht am Nachmittag. Geschichte, Politik, Geographie. Mein Lieblingsfach war aber Englisch. Das hilft jetzt, weil ich viele englische Bücher lesen und der Welt erzählen kann, was hier passiert.

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Meine Jugend endete im Juni 2012. Es war Nachmittag, als die Soldaten meine Nachbarschaft stürmten. Häuser brannten, Schüsse kamen von allen Seiten, die Menschen schrien durcheinander. Eine alte Frau war gerade dabei zu beten, sie wurde vor unseren Augen erschossen. Wir hatten nichts, um uns zu verteidigen, der Angriff kam völlig überraschend.
Ich war damals 17. Die Erinnerung an diese Tage tut weh, es fällt mir nicht leicht, darüber zu sprechen. Die meisten von uns hatten keine Schuhe an, und wir hatten keine Zeit, uns anzuziehen oder unsere Sachen zu holen. Wir mussten laufen. Die Straßen fühlten sich an wie zerbrochene Glasflaschen, wir zerschnitten uns die Füße an den Steinen, Glasscherben und dem Abfall, der herumlag. Die ganze Nachbarschaft rannte nach Bume, einer Rohingya-Nachbarschaft nahe der Universität von Sittwe. Aber auch Bume stand bereits leer. Alle waren geflüchtet. Bald kamen Sicherheitskräfte und brachten uns nach Thet Kay Pyin, das Camp, in dem ich heute lebe.
Wir dachten, wir würden ein paar Tage hier bleiben. Vielleicht eine Woche. Jetzt sind es schon fünf Jahre.

Die Kämpfe 2012 haben mein Leben auf den Kopf gestellt. Ich war dabei, die Schule zu beenden und wollte zu studieren beginnen. Ich wusste noch nicht genau was, aber ich wollte auf jeden Fall mehr lernen. In der Menschenrechtscharta steht, dass jeder Mensch das Recht auf Bildung hat. Dieses Recht haben die Rohingya nicht, und ohne Bildung gibt es keine Zukunft. Sind wir keine Menschen? Es wächst gerade eine Generation auf, die kaum Schulbildung bekommt. Was soll einmal aus ihnen werden?
Ich hatte auch viele buddhistische Freunde, mit denen ich zusammen in die Schule gegangen bin. Wir konnten uns gegenseitig zuhause besuchen, haben viele Nachmittage miteinander verbracht und zusammen gelernt. Das alles ist heute nicht mehr möglich. Besuche in buddhistischen Haushalten sind Muslimen seit 2012 verboten, Buddhisten dürfen das Camp nicht betreten. Deshalb ist der Kontakt zu den meisten meiner buddhistischen Freunde abgerissen. Es ist verrückt.

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Seit August wird die Situation hier immer schlechter. Die Essenslieferungen verspäten sich. Über das World Food Programme (WFP) bekommen wir normalerweise einmal im Monat eine Lieferung mit Reis, Salz, Bohnen und manchmal zusätzlichen Essenspaketen. Wenn die weißen Säcke eintreffen, herrscht immer Aufregung im Lager. Jeder will sehen, was es diesen Monat zu essen gibt. Seit August treffen die Lieferungen aber oft zu spät ein. Fünf Tage. Siegen Tage. Das bedeutet Hungern. Aber das WFP muss den Regeln der Regierung folgen. Auch andere NGOs, die früher regelmäßig hier waren, kommen jetzt nur noch selten.
Auch die Klinik ist in den letzten Monaten oft leer gestanden. Diese Woche war sie zumindest zwei Stunden pro Tag geöffnet, dann bildete sich eine lange Schlange von Kranken, die dringend einen Arzt brauchen. Davon gibt es viele, denn die Lebensumstände im Camp sind schlecht. Menschen werden ständig krank, aber nur sehr wenige werden tatsächlich behandelt. Vergangenes Jahr ist mein Onkel schwer erkrankt. Immer wieder sind wir in der Schlange vor der Klinik gestanden. Wir haben gewartet. Wir haben die Ärzte angefleht, ihm zu helfen. Aber es gab keine Medikamente, nur Paracetamol gegen die Schmerzen. Gegen Hepatitis C hat das wenig geholfen, und er ist schließlich daran gestorben.

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Warum sich die Lage verschlechtert hat? Am 25. August attackierte die ARSA Polizeiposten, weil die Leute in manchen Dörfern Hilfslieferungen abgeschnitten waren und verhungerten. Es war Notwehr, das Militär reagiert jedoch brutal darauf. Das ist passiert, aber mich und die Gemeinschaft hier interessiert die ARSA nicht. Wir wollen nicht kämpfen. Gewalt ist nicht unsere Lösung, wir wollen reden. Und dafür brauchen wir die Unterstützung der Internationalen Gemeinschaft.
Die Militärregierung hat uns verfolgt, wir glaubten nicht mehr daran, dass sich das je ändern würde. Die Wahl von Aung San Suu Kyi hat große Hoffnungen auf Veränderung geweckt, auch bei uns. Sie sagte, sie würde für jeden in diesem Land arbeiten. Zwar war allen bewusst, dass sie unter großem politischen Druck der buddhistischen Extremisten steht, aber es gab immerhin eine Chance auf ein besseres Leben. Doch seit ihre Partei an der Macht ist, hat sie nichts für uns getan. Deshalb ist Suu Kyi schlimmer als die Militärregierung. Das ist mir sehr wichtig zu sagen. Unter der Militärregierung hatten wir noch Hoffnung. Jetzt hat Suu Kyi unsere Hoffnung zerstört.
Der Druck der Internationalen Gemeinschaft hilft ein bisschen. Nur deshalb lässt uns die Regierung hierbleiben. Aber langsam, Schritt für Schritt, setzt sie die Politik gegen uns trotzdem fort. Es ist eine sehr beängstigende Zeit. Hier in den Camps rund um Sittwe gibt es noch keine Kämpfe, aber wir haben Angst, dass das Militär hier dasselbe machen wird, wie vor wenigen Wochen im Norden: Eine ethnische Säuberung.

Mein Traum ist es, nach Sittwe zurückzugehen und dort zu studieren. Ich versuche, die Hoffnung nicht zu verlieren. Aber das fällt mir immer schwerer.

(Profil 44, 30. Oktober 2017)