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„Deutschland spricht": „Selbst mit zehn Masken hätte ich nicht das Gefühl, ich trage einen Maulkorb"

Es gibt wenige Menschen, die keine Maske tragen können - eine davon ist Karin Attner. Die 62 Jahre alte Frau hat etwas Traumatisches erleben müssen, das zu intim ist, um hier konkret benannt zu werden. Jedes Mal, wenn sie in der Vergangenheit versucht hat, eine Maske zu tragen, kamen die Erinnerungen daran wieder hoch und sie wurde panisch. Bei ihrem letzten Versuch ist sie in einem Geschäft ohnmächtig geworden und zusammengebrochen. Ihrem Gesprächspartner, Christopher Feiertag, der ihr über Zoom aus Chemnitz zugeschaltet ist, erzählt sie ganz offen davon. Die IT-Managerin Attner sitzt an ihrem Küchentisch in Berlin.

Feiertag ist Befürworter der Maskenpflicht und fühlt sich weder dadurch noch durch andere Corona-Vorschriften in seinem Alltag eingeschränkt. „Für mich persönlich macht es in meiner Lebensqualität nicht den geringsten Unterschied, ob ich mich jemandem auf einem oder fünf Meter nähere", sagt er.

Was die Abstandsregel betrifft, gibt Attner ihrem Gesprächspartner recht. Allerdings ist sie der Meinung, dass Abstand allein ausreiche, um sich selbst und andere vor dem Coronavirus zu schützen. Sie findet, dass auf Menschen wie sie, die keine Maske tragen können, zu wenig Rücksicht genommen werde. Sie erzählt, dass sie ohne Mund-Nasen-Schutz zum Arzt gehen wollte, dort aber der Praxis verwiesen wurde.

Auch andernorts werde sie beschimpft, weil sie keine Maske trage. Attner kritisiert, dass sich die Politik für Menschen wie sie keine Alternative zur Maske habe einfallen lassen. „Für mich ist es eine Mutprobe, irgendwohin zu gehen und zu sagen, dass ich von der Maskenpflicht befreit bin", sagt sie. Deshalb lebt sie mittlerweile weitgehend zurückgezogen und bittet andere darum, ihre Einkäufe zu erledigen.

Sie bezweifelt, dass Masken wirklich schützen

Aus diesem Grund hat sich Karin Attner auf die Suche nach Menschen gemacht, die ebenfalls Schwierigkeiten haben, Maßnahmen wie die Maskenpflicht einzuhalten; sei es aus gesundheitlichen Gründen oder aus persönlicher Überzeugung. Der Austausch habe sie dazu gebracht, sich Gedanken zu machen, erzählt sie. „Was für Gedanken?", will Feiertag wissen. „Gedanken darüber, wie sinnvoll solche Maßnahmen sind", antwortet sie. Sie bezweifelt, dass Masken wirklich schützen. Ihr Vater leide schwer an einer chronischen Lungenkrankheit, berichtet Attner, sie mache sich mehr Sorgen, ob er mit einer Maske vor dem Mund noch genug Luft bekomme, als dass er andere anstecken könnte.

Feiertag teilt Attners Meinung nicht. „Ich nehme Frau Merkel und alle Verantwortlichen in Schutz, weil sie die 84 Millionen sehen", sagt er. Da sei es zwangsläufig so, dass man keine Rücksicht auf den Einzelfall nehmen könne. Feiertag gibt sich als bekennender CDU-Wähler und Fan der Bundeskanzlerin zu erkennen. Attner kommt, wie sie selbst sagt, „eher aus der links-grünen Ecke." Angela Merkels Handeln in der Flüchtlingskrise sei das Einzige, was sie an ihrer Politik gut gefunden habe.

Feiertag zeigt Verständnis für Attners Situation. Das Gefühl, ein Einzelfall zu sein, kenne er. Er ist mit einem sogenannten „offenen Rücken", Spina bifida in der Fachsprache genannt, zur Welt gekommen. Aufgrund des Handicaps ist er heute, mit 34 Jahren, bereits in Erwerbsminderungsrente. „Gerade deshalb bin ich dankbar, in einem Land wie Deutschland zu leben, in dem ich nicht für jeden Arztbesuch und jede medizinische Behandlung zahlen muss", sagt er. Selbst in anderen hochentwickelten Ländern wie den Vereinigten Staaten sei das nicht so. Dem stimmt Attner zu: „Wir haben eigentlich eines der letzten Sozialsysteme der Welt".

Wie gute Bekannte

Obwohl sich die beiden Diskutanten im Rahmen von „Deutschland spricht" an diesem Abend zum ersten Mal am Bildschirm sehen, wirken sie nicht wie Fremde, sondern wie gute Bekannte. Sie zeigen beide deutlich, dass sie sich für die Ansichten des anderen interessieren, ohne ihn von der eigenen Meinung überzeugen zu wollen.

„Was sagen Sie dazu, dass es auch Wissenschaftler gibt, die eine andere Meinung haben?", fragt Attner geradeheraus. „Von denen halte ich gar nichts", antwortet Feiertag und verweist auf den umstrittenen Mediziner Sucharit Bhakdi. Seine Thesen hält er weder für logisch noch für überprüfbar und daher für extrem bedenklich. Mit den Ansichten der Querdenker kann Feiertag nichts anfangen. „Zur Freiheit gehört immer Verantwortung", sagt er. Die fehle diesen Menschen oftmals. Seiner Meinung nach seien viele „blank dagegen", ohne Argumente abzuwägen.

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