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Ostdeutsche in der neuen Bundesregierung

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Ein grauer Vormittag in der Waldsiedlung Wandlitz, eine Autostunde nördlich von Berlin. Hier, mitten im brandenburgischen Kiefernwald lebte früher die DDR-Führungsriege - Ulbricht, Honecker, Mielke – abgeschottet und bewacht von der Staatssicherheit. Mittlerweile ist hier ein Rehazentrum eingezogen, zwei Pflegeheime, einige Wohnhäuser. Beschaulich könnte man meinen.

OT Seniorin „Für uns ältere Leute hier, wir haben nichts zum Einkaufen hier. Wir müssen immer mit dem Bus fahren. Wir haben immer gehofft, dass mal ein Supermarkt hierher kommt.“

Sagt eine Seniorin und stellt sich ins gläserne Wartehäuschen. Mehrmals in der Stunde kommt ein Bus vorbei, im Nachbarort Bernau gibt es eine S-Bahn-Station. In vielen Orten Ostdeutschlands ist die Anbindung deutlich schlechter. Ein paar weitere Seniorinnen kommen dazu.

OT Voxpop Bushaltestelle „Was gemacht werden muss? Na, da werden wir heute nicht mehr fertig, wenn ich Ihnen das alles erzähle. / Mehr Ordnung, mehr Schutz gegen Terror und so weiter. / Man hat einfach Angst. Ich geh abends hier nicht mehr irgendwo hin.“

Die Probleme der Leute hier würden von den Mächtigen vergessen, das glauben viele in der Waldsiedlung.

OT „Da sind in den letzten Jahren Fehler gemacht worden. Dass sich wirklich Regionen abgehängt fühlen – und nicht nur fühlen – sondern das ist so.“

Sagt Stefan Zierke. Geboren 1970 im brandenburgischen Prenzlau, seit 2013 für die SPD im Bundestag, Wahlkreis Uckermark-Barnim.

OT „Das sehe ich ja aus meiner Uckermark: Wenn ich da in Teilen unterwegs bin, dann ist es so und da müssen wir reagieren.“

Auch Zierke ist heute in der Waldsiedlung Wandlitz – zu Besuch in einer Kindernachsorgeklinik. Er kommt in neuer Funktion: Seit Kurzem ist Zierke Parlamentarischer Staatssekretär im Familienministerium und damit einer der wenigen Ostdeutschen in der neuen Regierung.
Neben Bundeskanzlerin Angela Merkel hat nur die neue Gesundheitsministerin Franziska Giffey ostdeutsche Wurzeln. Von den 35 Parlamentarischen Staatssekretären kommen gerade mal vier aus den östlichen Bundesländern. Für Zierke ein Manko: Denn die Erfahrung der Ostdeutschen müsse sich auch in der Bundesregierung wiederspiegeln.

OT „Ostdeutschland ist auch schon in Teilen in Westdeutschland angekommen. Da kann ich selbst in Bayern den Frankenwald nehmen, wo wir Wegzüge haben, wo eine Überalterung der Gesellschaft ist. Von daher werden wahrscheinlich viele Regionen gucken: Wie ist denn Ostdeutschland damit umgegangenen? Wie haben die das bewältigt? Welche Rezepte haben die denn dafür?“

Der Osten als Vorbild – das hört man auf Regierungsebene eher selten. Für mehr ostdeutsches Selbstbewusstsein, wenn auch mit anderer Stoßrichtung, streitet auch Christian Hirte, seit kurzem Bundesbeauftragter für die neuen Bundesländer.

OT „Ich glaube, dass wir in den neuen Bundesländern eine reichere Geschichte haben als unsere westdeutschen Mitbürger. Ohne die neuen Bundesländer wäre Deutschland gar nicht denkbar. Die Dichter und Denker waren eben nicht in Bayern oder auf der Schwäbischen Alp, sondern eben in Weimar. Wir haben die industriellen Kerne vor dem Krieg und vor der DDR in Sachsen-Anhalt gehabt und in Sachsen.“

Der Jurist aus dem thüringischen Bad Salzungen sitzt seit 2008 für die CDU im Bundestag. Bisher galt er eher als unauffällig. Von seiner neuen Aufgabe als Ostbeauftragter erfuhr er erst wenige Tage vor Amtsantritt Mitte März. Und so klingt seine Strategie für den Osten zunächst nach Altbewährtem: Wirtschaftsförderung, vor allem für den Mittelstand.

Seine Vorgängerin als Ostbeauftragte, Iris Gleicke von der SPD, galt vor allem als starke Stimme gegen Rechtsextremismus. Von Hirte kommen nun andere Töne: Statt auf Demokratieprogramme setzt er auf wirtschaftliche Absicherung. Die grassierende Fremdenfeindlichkeit in Sachsen, Thüringen oder Mecklenburg-Vorpommern – für ihn eine Spätfolge des gesellschaftlichen Umbruchs.

OT „Zu diesen starken Veränderungsprozessen gehört auch der Zuzug von Ausländern. Das kannte man in den neuen Bundesländern überhaupt nicht. Ich bin aufgewachsen in der DDR ohne je einen farbigen Menschen gesehen zu haben. Das war nicht Teil unserer gesellschaftlichen Realität. Und Leute reagieren – das ist beinahe natürlich – mit Angst auf Dinge, die sie nicht einschätzen können und nicht kennen.“

Das klingt wie eine Entschuldigung. Doch die löse keine Probleme, sagt SPD-Mann Zierke.

OT „Gerade für ostdeutsche Länder, sehen wir auch anhand der Wahlergebnisse, dass wir hier schauen müssen, dass Demokratie gelebt wird. Da gibt es viel zu tun und das ist eigentlich so der Hauptschwerpunkt“.

Einen anderen Schwerpunkt setzt Marco Wanderwitz. Der Jurist aus dem Erzgebirge ist Parlamentarischer Staatssekretär im neu geschaffenen Heimatministerium.

OT „Die eigentliche Herausforderung ist, dass sich ganz viele Menschen, die in strukturschwachen ländlichen Regionen leben, fragen, ob die Generation nach ihnen, ihre Kinder und Enkel, in dieser Region weiterhin noch eine Zukunft haben.“

Strukturschwache Regionen, davon gibt es im Osten viele. Doch auch dort sollen Lebensverhältnisse garantiert werden, die vergleichbar sind mit denen in wohlhabenderen, westdeutschen Regionen. „Heimat mit Zukunft“ heißt das entsprechende Kapitel im Koalitionsvertrag. Für Wanderwitz bedeutet das:

OT „Zum Beispiel zu sagen: Kann da nicht mal eine Behörde aus der großen Stadt ins Land ziehen? Kann man nicht einen Ableger einer Universität, einer Hochschule in den ländlichen Raum bringen?“

So eine Dezentralisierung und Umverteilung könnte vor allem dem Osten zu Gute kommen. Denn so gut wie alle Behörden des Bundes liegen in den alten Bundesländern.
Daneben will Wanderwitz die Integration fördern, plädiert für einen „deutschen Islam“. Es sei beispielsweise problematisch, dass die Imame in vielen Moscheen aus dem Ausland kommen und von dort finanziert werden. „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ – diesen Satz seines neuen Chefs, also von Innenminister Horst Seehofer, hält er aber für wenig hilfreich – das lässt Wanderwitz durchblicken.
Überhaupt verfolgt der Erzgebirgler eine andere Strategie als so manche seiner konservativen Parteifreunde: Im Umgang mit der AfD setzt Wanderwitz auf klare Abgrenzung. Zuletzt bezeichnete er die AfD-Abgeordneten via Twitter als „hasserfüllte, hochmütige Geisteskranke“.

OT „In der Tat bin ich für maximale Abgrenzung von denen die dort in übergroßer Zahl die Amts- und Mandatsträger sind. Weil das sind alles Gefallene am Wegesrand der Demokratie, das muss man ganz klar sagen.“

In seinem Wahlkreis, dem Erzgebirge gebe es „gefestigte rechtsradikale Strukturen in der Fläche“, sagt Wanderwitz. Auch das ist eine Perspektive, die die Ostdeutschen in die Regierung mit einbringen.
SPD-Mann Zierke ist dennoch um Zuversicht bemüht.

OT „Ich glaube, wenn die Menschen sich wieder wohlfühlen oder zumindest ihnen die Ängste genommen werden, Zukunftsängste, ich denke, dann haben wir einen großen Schritt getan, um viele wieder für dieses tolle Deutschland, für diese Demokratie zu begeistern.“

Nicht nur in der Waldsiedlung Wandlitz, so scheint es, könnte das viel Arbeit bedeuten.

Veröffentlicht am 06.04.2018 bei Deutschlandfunk