Acht tage lang recherchierte Alexander Krex in Neu Delhi und Umgebung. Der freie Journalist sollte für Geo eine Reportage über ein blindes Kind schreiben, das nach einer Operation wieder sehen kann und das Leben neu lernt. Aber die Puzzle-teile passen nicht zusammen. Protokoll einer gescheiterten Recherche.
Unser Fahrer drückt die Hupe beidhändig, was nichts daran ändert, dass der Mann vor uns Mühe hat, seinen Ochsen dazu zu bewegen, den mit Ähren beladenen Karren von der Straße zu ziehen. Wir sind auf dem Weg von Neu Delhi in den benachbarten Bundesstaat Uttar Pradesh, wo wir die Protagonisten für unsere Reportage zu finden hoffen. Neben mir auf der Rückbank sitzt die deutsche Fotografin, Rucksack auf dem Schoß, auf dem Beifahrersitz unsere Übersetzerin aus Mumbai. Auf breite Asphaltstraßen folgen schmale Plattenwege folgen schlammige Pisten. Im Dorf muss ein Händler seinen Gemüsestand abbauen, damit unser Auto die enge Kurve nehmen kann. Kurz darauf erreichen wir das flache, weiß gestrichene Lehmhaus in dem Farhana und Bushra wohnen, Schwestern, 15 und 13 Jahre alt, bis vor einiger Zeit blind. Sie müssen es sein, sie müssen meine Geschichte tragen. Unter dem gedrungenen Tamarindenbaum vor dem Eingang zieht der Fahrer die Handbremse. Tamarinde, so steht es in meinem Block, dahinter ein Fragezeichen in Klammern: Noch mal checken, heißt das. Habe ich noch mal gecheckt?
Vor zwei Jahren scheiterte ich an einem Text für das Geo Magazin. Nein, hier muss ich präziser sein: Ich scheiterte an der Geschichte. Der Text erschien trotzdem (Vom Dunkel ins Licht, Geo, 12/2017), nur in anderer Form. Ursprünglich sollte ich eine Reportage über ein blindes Kind schreiben, das nach einer Operation sehen lernt. Nach dem Pars-pro-toto-Prinzip sollte ich die Arbeit der Hilfsorganisation Project Prakash beleuchten, deren Mission es ist, Kinder aus armen Familien in Nordindien vom grauen Star zu befreien. Aus der Geschichte über ein gewendetes Schicksal wurde ein Feature über die Hilfsorganisation. Ich hatte viel erlebt, viel zu viel notiert, und doch ließ sich daraus keine dichte Reportage machen.
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