Mein letzter Abend in Lissabon wird kein Spaß. Ich habe mir vorgenommen jenen Gemütszustand erreichen, von dem die Portugiesen behaupten, er gehöre ihnen allein: saudade. Das besondere Gespür für Unwiederbringliches und unerfüllte Träume, eine Art Phantomschmerz, weil eben das wehtut, was nicht ist. Saudade lässt sich weder mit Melancholie noch mit Sehnsucht, noch mit irgendeinem anderen Wort übersetzen, daher seine Exklusivität. Vielleicht ist ein Seufzer die beste Entsprechung? Ich ahne, wie ich es herausfinden kann. Wenn ich der saudade begegne, dann in einer Bar, auf dem Grund eines Glases.
In der Dämmerung gehe ich bergauf, mein Ziel ist der Pavilhão Chinês im Viertel Bairro Alto. An den Straßenecken stehen bis hinauf zum Dach geflieste Häuser wie riesige Kachelöfen. Die Bar hatte ich schon am Vormittag entdeckt, die abgewetzten roten Rollläden wirkten vielversprechend. Jetzt sind sie geöffnet, Licht fällt durch Großmuttergardinen auf den Gehweg, im hölzernen Windfang ein Schild: "Bestellung verpflichtend!" Fängt ja gut an, denke ich. Dahinter liegt ein Raum voller beleuchteter Vitrinen, in denen Maßkrüge ausgestellt sind, Porzellandackel, Drachenfratzen, Seemannsmützen. Dazwischen stehen Galionsfiguren, liegen Ukulelen, hängen Art-déco-Drucke. Ich fühle mich wie in den Eingeweiden eines Museums, wo alles lagert, was dem Kurator nicht ins Konzept gepasst hat. Selbst der Neunzigerjahre-Seifenblasen-Bildschirmschoner des Kassencomputers fügt sich irgendwie ein. Dazu läuft der elegische Soundtrack von Blade Runner.
Ich setze mich an die Bar und lasse mir die Karte geben, die seitenweise Cocktails auflistet. Beim Durchblättern beobachte ich die Kellner, gut rasierte Männer mittleren Alters. In ihren weißen Hemden und Blaumann-blauen Westen sehen sie aus wie Museumswärter. Die Chancen auf saudade stehen hier gut. Eine Sammlung ist ja nichts anderes als ein Eingeständnis der Vergänglichkeit, sinnstiftendes Festhalten.
Ich entscheide mich für den "Flint": weißer Rum, Cointreau und Cognac, Zitrone und Grenadine.
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