Es geht hinunter, tiefer, noch tiefer, bis es eigentlich nicht mehr geht. Sevdaliza nimmt uns auf ihrem zweiten Album mitten rein ins ewige Schwarz, in das Herz der Finsternis. Shabrang, das heißt schließlich auf Farsi, der Muttersprache der niederländischen Künstlerin, „nachtfarben" und bezieht sich auf ein mythisches Pferd im großen persischen Epos „Shahname". Und wir wissen ja alle, die Nacht ist am dunkelsten, just bevor der Tag anbricht.
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So ähnlich ist auch dieses Album mit seinem subtil-brutalen Cover zu verstehen. Selbstbewusst starrt sie vom Cover zurück, auch wenn - oder vielleicht obwohl? - sie uns hier mit einem blauen Auge entgegenschaut. Das soll schon mal ein Wink sein auf das, was uns als Hörer*innen erwartet: eine Meditation über all die negativen Erfahrungen, die die Künstlerin nicht nur in den letzten Jahren seit ihrem gefeierten 2017er-Debüt ISON gemacht hat. Über die Höhen und Tiefen, über das Gute und Böse, Licht und Schatten.
Es geht um Liebe, dabei allerdings natürlich die unglückliche, unerwiderte, es geht um Verzweiflung und Einsamkeit, aber auch um Entfremdung und um das große Weltgeschehen, um Politik und um Hoffnung und auch um Selbstheilung: „Children of the night, let down your guard", singt sie dazu auf „All Rivers At Once". Wenig später aber fährt sie geradezu verzweifelt fort: „I don't want to feel pain." Denn der Schmerz ist weiterhin da, aber die fünfzehn Songs des Albums sind zaghafte Schritte, Experimente, um durch den Schmerz hindurch auf die andere Seite zu gelangen.
Was bleibt von ihr übrig, nachdem sie sich aufgelöst hat?Auf SHABRANG lotet Sevdaliza ihre Innenwelt aus, die Grenze zwischen dem Ich und dem Rest der Welt. Was bleibt von ihr übrig, nachdem sie sich aufgelöst hat? Dazu hat die Produktion, wie so gut wie immer bei ihr in Kooperation mit ihrem Haus-und-Hof-Produzenten Mucky, ihre hypnotische Stimme in eine TripHop-lastige Soundlandschaft gefasst. Da wäre der postapokalyptische Clubtrack „Darkest Hour", in dem Sevdaliza zum Gothic-Twerk aufruft. Wäre Kurt Cobain dagegen heute noch am Leben, würde er vielleicht, nein, hoffentlich Songs wie „Rhode" produzieren, die so selbstverständlich 90er-Grunge mit zeitgenössischer Electronica mischen.
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In die Zukunft geht es wiederum mit „Oh My God", einer Art futuristischem Polit-Dancetrack, der sich mit nichts weniger auseinandersetzt als mit der fortwährenden politischen Eskalation zwischen den USA und dem Iran. Übrigens nicht das erste Mal, dass sie sich mit dem Thema beschäftigt, 2017 erschien schon „Bebin", zu Deutsch „Sieh", eine Replik auf Trumps „Muslim Ban". Aber auf „Oh My God" geht es um noch mehr, die Lyrics lassen sich auch auf die Konsequenzen von Rassismus und Exotisierung auf marginalisierte Menschen übertragen. Schließlich auch ein Thema, über das die als Kind mit ihrer Familie vor dem Iran-Irak-Krieg in die Niederlande geflohene Künstlerin oft spricht.
Beim Thema bleibt es im weitesten Sinne auf einem der Highlights des Albums, das gleichzeitig der einzige Song ist, der nicht von ihr stammt: „Gole Bi Goldoon". Sevdaliza covert einen der wichtigsten Songs der iranischen Poplegende Googoosh, deren Bedeutung für die persische Diaspora kaum in Worte zu fassen ist. Als sphärisch-minimalistisches Piano-Cover, das in eine intime Produktion mit Streichern kippt, zerreißt Sevdaliza mit ihrer intensiven und todtraurigen Delivery Herzen in Stücke, wo Googoosh in der Originalversion den Liebeskummer hinter großem Lächeln und einem Uptempo-Beat vorträgt.
Der große Pop, den unsere bizarre Gegenwart verdientTrotz der Sprünge klingt SHABRANG nie wie ein Mixtape. Hier wirkt alles trotzdem wie aus einem Guss, zusammengehalten von ihrer unverwechselbaren Stimme, die zwischen gelangweilter Distanz und schonungsloser Emotionalität und, ja, auch einer gewissen Melodramatik pendelt. Und natürlich sind die typischen Sevdaliza-Marker dabei, ein Hang zu Auto-Tune, zu Post-Internet Ästhetik und zu dem ganz eigenen Weg.
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Da ist es nur ganz logisch, dass sie auch hier wieder das Album über ihr eigenes Label Twisted Elegance veröffentlicht hat und weiterhin eigenständig bleibt, statt sich den Logiken des Musikmarktes und maximaler Durchhörbarkeit zu fügen. Denn schon allein an der Länge des Albums - über eine Stunde - zeigt sich: Sevdaliza hat eine ganze Menge zu sagen. Und ihr ist es egal, ob die Welt es nun hören will oder nicht. Leicht verdaulich ist das alles nicht, dafür aber der große Pop, den unsere bizarre Gegenwart verdient.
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