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Rechte "Feindesliste": Keine Bedrohung - trotz Anschlagserie in Neukölln?

Ein Transparent bei einer Gedenkveranstaltung für die Opfer des rechtsextremen Anschlags in Hanau am Hermannplatz. Auch Neukölln selbst wird seit Jahren von einer Anschlagsserie erschüttert. Foto: imago images/F. Bungert/Future Image

Ab wann ist eine von Rechtsextremen angelegte Datensammlung eine rechte „Feindesliste"? Einige Berliner*innen müssen sich mit dieser Frage quälen - und die Polizei bietet bislang keine Antworten. Ein Kommentar von Aida Baghernejad.

Ein Transparent bei einer Gedenkveranstaltung für die Opfer des rechtsextremen Anschlags in Hanau am Hermannplatz. Auch Neukölln selbst wird seit Jahren von einer Anschlagsserie erschüttert. Foto: imago images/F. Bungert/Future Image

Seit Jahren schwelt eine rechtsextreme Anschlagsserie in Neukölln. Erst kürzlich wurde vor der Konditorei Damaskus ein Transporter in Brand gesteckt und die Umgebung mit rechtsextreme Schmierereien verunstaltet. In Süd-Neukölln gehören Anschläge auf die Autos und Häuser von Mitbürger*innen, die sich gesellschaftlich und politisch engagieren, fast zur Tagesordnung. Seit Jahren schon gibt es Hauptverdächtige, doch Festnahmen und Aufklärung? Bislang Fehlanzeige.

Mittlerweile hat die Polizei die Sonderermittlungsgruppe BAO Fokus eingesetzt, die in ihrem Zwischenbericht unter anderem von "Versäumnissen" bei der Auswertung der Daten spricht. Und genau diese Sonderermittlungsgruppe verschickte letzte Woche Post an einige Berliner*innen: Text-, Video- oder Bildmaterial von ihnen sei auf einem beschlagnahmten Datenträger gefunden worden.

Rechte „Feindesliste": „politische Gegener" im Fokus

Aber man könne beruhigt sein: daraus lasse sich keine "konkrete Gefährdung" ableiten, es sei keine "Feindesliste", wie andere Medien berichteten. Nein, es sei lediglich eine "Datensammlung über Institutionen, Organisationen und Personen, die von den Urhebern als 'politische Gegner'" angesehen würden.

Das soll wohl beruhigen - doch Betroffene sehen das anders. "Es ist natürlich eine Frechheit, dass in diesem Schreiben steht, ich sollte es nicht als 'Feindesliste' wahrnehmen. Aber als was denn sonst?" erzählt Torsun Burkhardt, Sänger der Band Egotronic, und fährt fort: "Das ist eine dreiste Verharmlosung, die die Polizei in dem Brief betreibt, das macht mich ganz schön zornig. Die sammeln die Informationen ja nicht aus Spaß."

Rechte Bedrohung wird zum Alltag

Er ist seit früher Jugend schon in antifaschistischen Kreisen aktiv, und auch seine Band ist für klare linke Positionen bekannt. Deswegen habe ihn der Brief auch nicht überrascht, auch wenn es das erste Mal sei, dass die Polizei ihn warne. Er habe schon lange vermutet, auf so einer rechten „Feindesliste" zu landen. Für ihn ändere das daher nichts an seinem Alltag. Er rechne seit geraumer Zeit mit der Gefahr und versuche sich zu schützen, so gut es geht. Die Bedrohung wird zum Alltag.

Andere trifft es völlig aus dem Blauen. Privatpersonen zum Beispiel, die politisch bislang nicht auftreten, aber sich beispielsweise in der subkulturellen Musikszene Berlins engagieren. Oder auch einfach nur wohl mit den vermeintlich „falschen" Personen befreundet sind oder waren. Dass auch über solche Personen Daten gesammelt wurden, zeigt die Willkür des Hasses. Politischer Gegner, das scheint jeder sein zu können, jeder, der sich für ein vielfältiges Berlin einsetzt.

Zu behaupten, es wäre keine konkrete Gefährdung abzuleiten, wenn beispielsweise Bildmaterial von einem selbst auf der Festplatte eines mutmaßlichen Terroristen auftaucht, wirkt angesichts brennender Autos, regelmäßiger Einschüchterungsversuche und terroristischer Anschläge wie Hohn. Das einzusehen würde auch der Berliner Polizei gut zu Gesicht stehen - und wäre ein wichtiger Schritt in Richtung eines Berlins, in dem sich alle sicher fühlen können. Und nicht nur die Täter.

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Schon 2011 haben wir über die Neonazi-Szene in Berlin und rechtsextreme Umtriebe in Neukölln berichtet. Derzeit wird viel über die Umbenennung des U-Bahnhofs M*hrenstraße gesprochen: Wie integer muss ein Namensgeber sein? Aber auch Mobilität ist ein großes Thema in Berlin: So sollen 19 Milliarden Euro verteilt werden.

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