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Wer jetzt vom Dieselkompromiss profitieren kann

Konzept der Regierung

Wer jetzt vom Dieselkompromiss profitieren kann

03.10.2018, 11:14 Uhr | Florian Müller, AFP

Regierung einigt sich bei Diesel und Zuwanderung

Kompromisse: Die Regierung hatte sich zuletzt beim Thema Diesel geeinigt. (Quelle: Reuters)

Mehr als drei Jahre dauert die Dieselkrise an - und nun ging plötzlich alles ganz schnell: Mitten in der Nacht stellte die Bundesregierung ihr Konzept gegen Fahrverbote vor. Wem wird es nutzen?

Die Bundesregierung hat ihr neues Konzept zur Vermeidung von Fahrverboten vorgestellt. Unter anderem will sie regional begrenzt Umrüstungen fördern und den Autobauern nochmal ins Gewissen reden. Viele Details sind aber weiterhin offen.

Handwerker und Lieferdienste sollen ihre Lieferwagen mit 80 Prozent staatlicher Förderung nachrüsten können. Dazu berechtigt sollen Firmen sein, die in den 65 belasteten Städten sowie in den angrenzenden Landkreisen ihren Sitz oder nennenswerte Aufträge in der Stadt haben. Insgesamt betroffen sind laut Regierung maximal 190.000 Fahrzeuge. Wer die restlichen 20 Prozent Umrüstungskosten trägt, will das Verkehrsministerium mit den Autobauern verhandeln.

Die Regierung geht davon aus, dass diese Maßnahmen ausreichen, um die Grenzwerte in den meisten belasteten Städten einzuhalten.

14 Städte in Deutschland verzeichnen besonders hohe Belastungen von mehr als 50 Mikrogramm Stickoxid pro Kubikmeter Luft und sind deshalb laut Regierung besonders von Fahrverboten bedroht. In diesen Städten will die Regierung weitere Maßnahmen ergreifen.

Am meisten verspricht sich die Regierung von Umtausch-Aktionen, bei denen die Hersteller alte Dieselautos der Euronormen 4 und 5 in Zahlung nehmen und noch zusätzlich einen Rabatt gewähren. Anders als bei den früheren Umweltprämien sollen die Autohändler nicht nur Neuwagen, sondern auch saubere Gebrauchtwagen gegen die Altfahrzeuge tauschen. Die Regierung fordert, dass die Hersteller dabei den Wertverlust durch den Dieselskandal ausgleichen. Sie ist dabei auf deren Willen zur Zusammenarbeit angewiesen.

Will ein Halter eines Euro-5-Diesels sein Auto nicht abgeben, soll er es mit einem Katalysator nachrüsten dürfen - sobald geeignete Systeme verfügbar sind. Der Bund erwartet von den Herstellern, dass sie komplett für die Umrüstung zahlen. BMW verweigert sich dem laut Regierung aber komplett, Daimler hat auch keine Zusage gegeben und mit Volkswagen müssen Details geklärt werden. Auch Opel lehnt Hardware-Nachrüstungen ab.

Laut Regierung haben die deutschen Hersteller bereits Tauschprämien zugesagt. Bei Volkswagen sollen sie zwischen 4. 000 und 8.000 Euro liegen, bei Daimler bei bis zu 5.000 Euro und bei BMW pauschal 6.000 Euro. Auch von den Importmarken erwartet die Regierung entsprechende Prämien. Renault hat als erste eine Prämie von bis zu 10.000 Euro angekündigt.

Die Regierung hält die Umtausch-Aktionen für besonders wirksam, weil sie sofort beginnen können. Der Duisburger Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer ist allerdings skeptisch, ob die Prämien genügend Anreiz zum Umstieg bieten. Er befürchtet, dass die Hersteller die Prämien mit den bereits bestehenden hohen Rabatten aufrechnen, sodass der reale Preisvorteil gering ausfällt.

Von einer "doppelten Nulllösung" spricht die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Dieselfahrer könnten nicht ihr Auto zurückgeben und sich den Kaufpreis beziehungsweise einen um 20 Prozent erhöhten Zeitwert erstatten lassen. Auch bei der Nachrüstung von Motoren sei die Bundesregierung mit ihren Forderungen gescheitert. "Weder ist die Automobilindustrie bereit, die Kosten für den Austausch verbindlich zu übernehmen - die Bundesregierung erwartet dies nur", sagt DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch. Noch würden die verantwortlichen Hersteller die Gewährleistung übernehmen.

Wohl ja. Hamburg hat ohnehin schon ein Fahrverbot eingeführt, Frankfurt/Main (Februar 2019) und Stuttgart (Januar 2019) werden folgen. Dabei werde es wohl auch bleiben, sagt BaWü-Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne): "Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich da groß etwas ändert."

Die Maßnahmen würden die Luftqualität kaum verbessern, sagt Resch. Weitere Fahrverbote könnten die Folge sein. Dieses Jahr stünden noch Gerichtsentscheidungen zu acht weiteren Städten an.

Die Regierung will gesetzlich festlegen, dass Diesel mit Euro-4 und Euro-5 dann in Fahrverbotszonen einfahren dürfen, wenn sie weniger als 270 Milligramm Stickoxid pro Kilometer ausstoßen. Zum Vergleich: Bislang stoßen Euro-4-Diesel laut Umweltbundesamt im Schnitt 670 Milligramm aus, Euro-5-Diesel rund 900 Milligramm.

Ob ein Dieselauto unter der neuen Schwelle liegt, sollen die Behörden anhand des Kennzeichens über die Zulassungsdaten kontrollieren. Eine spezielle Plakette soll es nicht geben. Die vieldiskutierte Blaue Plakette ist also vom Tisch.

Insgesamt haben die Hersteller den Behörden Software-Updates für 6,3 Millionen Fahrzeuge zur Genehmigung vorgelegt. Davon wurde bis Ende August die Software von 3,2 Millionen Autos aktualisiert. Außerdem haben die Autobauer Prämien von bis zu 10.000 Euro gewährt, um Dieselbesitzer zum Kauf moderner Autos zu bewegen. Davon machten mehr als 200.000 Autohalter Gebrauch.

"Insbesondere für betrogene Familien und Normalverdiener wirkt das wie der blanke Hohn, da diese sich ein Neufahrzeug in aller Regel trotz Kaufprämie nicht leisten können," sagt dazu etwa Detlev Schulz-Hendel, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im niedersächsischen Landtag.

Das Förderprogramm "Saubere Luft" will die Regierung auf kommunale Fahrzeuge wie Müllautos oder die Straßenreinigung ausdehnen. Diese sollen ab 2019 mit einem sogenannten SCR-Katalysator nachgerüstet werden, wobei der Bund für 80 Prozent der Kosten aufkommt. Das betrifft laut Verkehrsministerium etwa 28.000 Fahrzeuge in den 65 Städten mit Grenzwertüberschreitung und ist besonders effektiv, weil diese ständig in der Stadt unterwegs sind.

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